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Karlstadt
Demonstration in Karlstadt: Susanne Kraut kämpft für die Rechte von Kindern mit Dyskalkulie
Für Kinder mit Dyskalkulie ist Rechnen eine Qual. Frühzeitig diagnostiziert, lässt sich die Störung gut abfedern. Genau da aber hakt es in Bayern, kritisiert die Therapeutin Susanne Kraut.
Seit Januar demonstriert die Alzenauer Dyskalkulietherapeutin Susanne Kraut (Mitte) monatlich in München - im Juli auch in Karlstadt. Ihre Forderung: Dyskalkulie soll in das bayerische Schulrecht aufgenommen werden.
Foto: Josepha Kraut | Seit Januar demonstriert die Alzenauer Dyskalkulietherapeutin Susanne Kraut (Mitte) monatlich in München - im Juli auch in Karlstadt. Ihre Forderung: Dyskalkulie soll in das bayerische Schulrecht aufgenommen werden.
Lucia Lenzen
 |  aktualisiert: 15.07.2024 14:25 Uhr

Wer eine offiziell diagnostizierte Rechenstörung hat, könnte einen Behindertenausweis beantragen. Im bayrischen Schulrecht verankert ist die Einschränkung durch Dyskalkulie aber nicht. Die Aschaffenburgerin Susanne Kraut ärgert das und sie kämpft dafür, dass es betroffene Kinder, Eltern, aber auch Lehrer in Zukunft leichter haben. Am 22. Juli kommt sie dazu nach Karlstadt, um auf dem Marktplatz öffentlich über das Thema aufzuklären und ihre Forderungen an die Politik darzustellen. Was sie genau bewegt und was die Rechenstörung eigentlich genau ist, erklärt sie vorab im Interview. 

Frau Kraut, was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Dyskalkulie?

Susanne Kraut: Dyskalkulie ist im Prinzip das Pendant zur Legasthenie, der Lese-Rechtschreibstörung, nur das es das Rechnen betrifft. Also eine Rechenstörung, die konstant ist und ein Leben lang bleibt. Das Defizit betrifft die grundlegenden Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation oder Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die beispielsweise für Algebra, Geometrie oder Integralrechnung benötigt werden.

Welche Ursachen liegen Dyskalkulie zu Grunde? Ist das angeboren?

Kraut: Es wird angenommen, dass es eine genetische Störung ist. Mittlerweile wurde mit Hilfe von Bildern im Magnetresonanztomografie-Verfahren (MRT) erkannt, dass bei Kindern mit Dyskalkulie eine veränderte Hirnaktivität vorliegt und, dass in manchen Bereichen die Kommunikationsbahnen weniger gut bis kaum entwickelt sind.  

Weil sie gesehen hat, welch großes Leid Dyskalkulie für die Betroffenen und ihre Familien bedeutet, kämpft Susanne Kraut für die Verankerung der Rechenstörung im bayerischen Schulrecht. 
Foto: Josepha Kraut | Weil sie gesehen hat, welch großes Leid Dyskalkulie für die Betroffenen und ihre Familien bedeutet, kämpft Susanne Kraut für die Verankerung der Rechenstörung im bayerischen Schulrecht. 
Wie äußert sich das dann bei den Kindern? Woran kann man die Störung erkennen?

Kraut: Meist zeigt sich das am Ende der ersten Klasse, wenn die Zahlen bekannt sind und mit ihnen gerchnet wird. Die Kinder haben zum Beispiel große Probleme mit dem Zehnerübergang, also bei Rechnungen wie 8 + 4 oder 13 - 5. Oder bei der Zerlegung von Zahlen: Dass die 7 zum Beispiel aus der  3 und der 4 gebildet werden kann, aber auch aus der 5 und der 2. Probleme macht ihnen auch, Würfelbilder auf einen Blick zu erfassen oder die Position einer Zahl am Zahlenstrahl zu erkennen .

Wie wird die Rechenstörung diagnostiziert?

Kraut: Wenn die Lehrer gut geschult sind, fällt es auf und das Problem wird erkannt. Dann können die Kinder getestet werden, entweder vom Schulpsychologen oder Kinder- und Jugendpsychiater. Diese Testung beim Arzt übernimmt auch die Krankenkasse. Wird die Dyskalkulie bestätigt, dann folgt im Idealfall zeitnah eine Lerntherapie. Die wiederum zahlt aber nicht die Krankenkasse, wodurch es für Kinder aus sozial schwachen Familien wieder schwierig wird. Zusätzlich empfehlenswert wären kleine Lerngruppen in der Schule unter Anleitung von qualifizierten Lerntherapeuten. Das würde die Lehrer entlasten und die Kinder fördern. Aber davon sind wir leider weit weg.

Genau das kritisieren Sie seit Jahren. Was stört Sie konkret? Und wofür kämpfen Sie? 

Kraut: Wer eine diagnostizierte Dyskalkulie hat, der kann einen Behindertenausweis beantragen und bekommt den sofort genehmigt. Im bayerischen Schulrecht anerkannt ist die Rechenstörung aber nicht. Anders ist das zum Beispiel bei der Legasthenie. Da ist man auf einem guten Weg. Die Dyskalkulie aber wird gesellschaftlich nicht gesehen, die gibt es offiziell nicht. Der Bundesverband Legasthenie & Dyskalkulie hat recherchiert, dass in Deutschland rund vier bis acht Prozent der Bevölkerung von der Rechenstörung betroffen sind. In den bayerischen Schulen betrifft es aktuell rund 100.000 Schülerinnen und Schüler, das sind so viele Kinder, wie zuletzt eingeschult wurden.

Was passiert, wenn die Rechenstörung unerkannt bleibt?

Kraut: Die betroffenen Kinder ziehen sich meist zurück, werden sehr still. Oft bekommen sie noch mehr Arbeitsblätter und Aufgaben zum Üben mit nach Hause. Das verschlimmert die Situation aber meist, weil sie dann noch länger davor sitzen und nicht weiterkommen, da die Aufgaben unlösbar für sie erscheinen und sich dafür schämen. Daraus kann durchaus eine Angstspirale werden, die sich im späteren Leben zu einer Depression entwickeln kann. Insofern ist das Ganze auch volkswirtschaftlich relevant

Welche Folgen kann das für die Gesellschaft haben?

Wenn wir Dyskalkulie weiterhin ignorieren, dann müssen wir auch als Gesellschaft in Kauf nehmen, eine gewisse Zahl an Menschen zu haben, die später durch die psychische Belastung in ihrer Arbeitskraft eingeschränkt, wenn nicht gar erwerbsunfähig sind. Dabei haben diese Menschen meist tolle Begabungen in anderen Bereichen, wie im sprachlichen, sozialen oder künstlerischen. Ich verstehe nicht, wie wir uns im Zeitalter des Fachkräftemangels diese begabten Menschen durch die Lappen gehen lassen.

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Warum kämpfen Sie selbst so für das Thema? Was treibt Sie an?

Kraut: Ich bin eigentlich gelernte Bankkauffrau, habe dann aber 14 Jahre lang bei einem Jugendpsychiater gearbeitet und in der Zeit auch meine Ausbildung zur Dyskalkulie-Therapeutin gemacht. Das Thema hat mich einfach interessiert: Ich mag Zahlen und Kinder. Und ich habe im Laufe der Zeit gesehen, welch großes Leid es für die Betroffenen und ihre Familien bedeutet. An dem Thema wird seit Jahren gebohrt, aber es bewegt sich nichts. Ich habe dann beschlossen, selbst durch Bayern zu laufen, um mit den Leuten zu reden und aufzuklären.  

Seit Januar demonstriert Susanne Kraut monatlich in München -  am 22. Juli steht sie auch in Karlstadt auf dem Markplatz, um für ihre Forderungen zu kämpfen. 
Foto: Josepha Kraut | Seit Januar demonstriert Susanne Kraut monatlich in München -  am 22. Juli steht sie auch in Karlstadt auf dem Markplatz, um für ihre Forderungen zu kämpfen. 
Am 22. Juli wollen Sie mit einer Demonstration auf das Thema aufmerksam machen. Warum in Karlstadt? 

Kraut: Auf meiner Wanderung bin ich von Aschaffenburg nach München zum Kultusministerium gelaufen, aber leider nicht durch den Kreis Main-Spessart gekommen. Ich habe während einer Oldtimerausfahrt deshalb Info-Karten in Lohr und Arnstein verteilt und interessante Gespräche geführt. Auf die Demo in Karlstadt bin ich gekommen, weil hier auch das Abgeordnetenbüro von Kultus-Staatssekretärin Anna Stolz ist. Bei ihr ist das Thema ja eigentlich angesiedelt. Mir ihr habe ich mich auch schon getroffen und sie hat gesagt, sie hätte die Problematik auf dem Schirm. Ich bin mir da aber nicht so sicher. Sie hat mir gesagt, sie wolle ein Pilotprojekt abwarten, dass in Oberfranken läuft. Bis das abgeschlossen ist, vergehen aber sicher noch vier Jahre. Und es hat den falschen Ansatz, denn es werden Kinder ab der 5. Klasse gefördert. Dyskalkulie ist aber ein Thema der ersten Grundschulzeithälfte.

Was wünschen sie sich konkret?

Kraut: Im Idealfall wird die Dyskalkulie im Schulrecht verankert und ist auch Thema bei der Lehrerausbildung. Vor allem in der Grundschule, denn hier sollte die Förderung anfangen, da kann sie sehr viel bewirken. Wahrscheinlich würde es reichen, wenn man sich im Lehramtsstudium einige Stunden mit dem Thema beschäftigt, einfach nur schon mal davon gehört hat. Das würde auch den Lehrern Erleichterung bringen, denn die Fragen sich ja auch: Was mache ich mit dem Kind falsch?

Die Demonstration von Susanne Kraut findet statt am 22. Juli um 11 Uhr auf dem Marktplatz in Karlstadt. Susanne Kraut ist persönlich zu erreichen unter dyskalkulie-kraut@gmx.de. Mehr Information zum Thema Dyskalkulie gibt es auf der Seite des Bundesverband unter www.bvl-legasthenie.de

 
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