Jürgen Kleespies führt die Burgsinner Familienbäckerei in sage und schreibe siebter Generation. Erstmals urkundlich erwähnt wurde sie 1747. Da er zwar der Jüngste von drei Geschwistern, aber der einzige Sohn ist, war klar, dass er in die Fußstapfen seines Vaters tritt. So richtig freuen kann er sich über das 275-jährige Bestehen im Moment nicht. Mit Blick auf den von seinem Vater großformatig angelegten Stammbaum sagt der 51-Jährige: "Ich fühle mich natürlich verantwortlich, wenn ich so etwas sehe. Das ist schon eine Last, die man auf der Schulter trägt." Denn derzeit ist es ungewiss, wie es mit der Bäckerei Kleespies langfristig weitergeht. Der Bäckermeister selbst ist gesundheitlich angeschlagen, und die Nachfolge steht in den Sternen. Hinzu kommen die massiv gestiegenen Kosten.
Zwar ist Sohn Jan Weis ebenfalls gelernter Bäcker, allerdings arbeitet er seit dreieinhalb Jahren als Fachlehrer für Bäcker an der Würzburger Don-Bosco-Berufsschule. Kleespies habe natürlich gehofft, dass sein Sohn die Bäckerei dereinst in achter Generation weiterführt, aber Weis sagt: "Momentan sehe ich meine Zukunft eher im schulischen Bereich." Natürlich könne er nicht sagen, was in zehn, fünfzehn Jahren sei. Zuletzt sah es so aus, als ob jemand aus der Backstube die Bäckerei irgendwann übernehmen könnte, aber die Hoffnung habe kürzlich einen Dämpfer erhalten, sagt Kleespies. Jetzt muss zunächst einmal wieder ein Bäcker oder eine Bäckerin gefunden werden. Seine Frau Carina sagt: "Jetzt haben wir vorne genug Verkäufer, jetzt geht's hinten wieder los." Er unterstütze seinen Vater gern bei der Suche, sagt Weis. Sollte er keinen weiteren Bäcker finden, so Kleespies, müsse er etwa darüber nachdenken, einen Werktag zuzumachen.
Die Bäckerei Kleespies gehört als Betrieb ohne Filialen einer bedrohten Art an. Jürgen Kleespies aber hat seine Überzeugungen und bekennt, dass er nie ein Freund von Filialen war. Zum einen brauche man dann zusätzliches Personal und habe Mehrkosten. Zum anderen sagt er: "Ich hab immer versucht, nicht so viel für die Tonne zu produzieren. Da blutet mir das Herz." Es sei ihm lieber, die Regale seien irgendwann leer, als dass er etwas wegwerfen müsse. Eine Filiale gab es jedoch früher, und zwar im frisch abgerissenen Diska-Markt. Kleespies beliefert stattdessen heute Dorfläden und Metzgereien. Immer noch kämen Kundinnen und Kunden aus Gemünden, die seine Brote aus der ehemaligen Filiale der Metzgerei Bald kennen würden. Er habe auch schon Brot per Express innerhalb von Deutschland an frühere Burgsinn-Urlauber verschickt. "Das hat sich nicht so durchgesetzt."
Die rund 50 Quadratmeter große Backstube aus den 60ern ist etwas für Nostalgiker. Die Fliesen versprühen einen zeitlosen Charme, manche Dinge, etwa Unterschränke, sind offenbar noch von seinem Großvater. Die Maschinen sind ebenfalls 50 Jahre und älter. Die Teigausrollmaschine aus den 70ern sei "unkaputtbar" und der "Matador"-Backofen von 1968 laufe wie ein Uhrwerk. Eigentlich hätte er vor ein paar Jahren die Backstube neu machen wollen, so wie er 2018 den Verkaufs- und Café-Bereich umgebaut hatte. Aber dann habe er es mit dem Herz bekommen. Angesichts der unklaren Nachfolgeregelung sei er inzwischen froh, dass er nicht mehrere 100.000 Euro in die Backstube gesteckt habe.
Als sein Aushängeschild bezeichnet Kleespies das "Spessarträuber"-Brot. Das Brot ist ein altes Familienrezept und hieß früher schlicht "Bauernbrot". Den Namen hat sich der Bäcker schützen lassen. Das war auch gut so, denn eine andere Bäckerei habe den Namen kopiert, musste aber dann einlenken, weshalb deren Brot nur noch "Räuberbrot" heiße. Ein gutes Brot zeichne sich dadurch aus, dass dem Teig lange Zeit gegeben werde, "lange Teigführung" nennt Kleespies das. Der Teig des "Spessarträubers" etwa sei dadurch so weich, dass er nicht "maschinengängig" sei, sondern mit der Hand weiterverarbeitet werden müsse.
Noch in den 1980ern habe die Bäckerei nur vier, fünf Brotsorten im Angebot gehabt, erzählt Kleespies. Heute gebe es 12 bis 15 Sorten. Der eigene Sauerteig – "das A und O" – werde gepflegt. "Körnersachen" seien heute gefragter, auch Brot mit Dinkel. "Die Kunden werden kritischer und fragen genauer nach", berichtet er. Er sei schon in den 90ern dazu übergangen, Getreide selber zu mahlen. Seine Rohstoffe beziehe er auch aus der Region, Dinkel etwa aus Gräfendorf. Für seine Vollkornbrote verwende er nur ungespritzte Zutaten, als "bio" darf er sie jedoch nicht bezeichnen, weil er dafür alles aufwendig dokumentieren müsste. Wie man Vollkornbrote backt, habe er einst bei einem Langzeitpraktikum in Bochum gelernt.
Die Bäckerei backe noch traditionell frisch, es werde nichts vorproduziert. Das heiße bei Brötchen aber auch: "Ich kann nicht mal schnell 500 Stück nachproduzieren." Seine Bäckerei sei auf Brot und Kuchen spezialisiert, vor allem auf Blechkuchen. "Mattekuchen geht immer", sagt er. "Matte" heißt in Burgsinn der Quark. Auch Kleespies macht die Teuerung zu schaffen. Die Mehlpreise hätten sich verdoppelt. Für einen Dreipfünder 4,30 Euro zu verlangen gehe nicht mehr lange. Immerhin läuft der alte Backofen mit Heizöl statt mit Gas, aber auch der Ölpreis, obgleich nicht ganz so stark angestiegen, sei inzwischen doppelt so hoch. Mit der EC-Karte kann man bei Kleespies noch nicht bezahlen. "So lange es geht, zögern wir es raus." Denn bei EC-Kartenzahlung müsste er einen Teil des Umsatzes als Gebühren zahlen.
Die erste Nachtschicht in der Backstube beginnt um Mitternacht, die zweite um 2.30 Uhr. Um 5 Uhr werden die Dorfläden angefahren. Kleespies selbst kann sich angesichts seiner Gesundheit nachts nicht mehr in die Backstube stellen. Für den leidenschaftlichen Bäcker ein schwerer Schlag. "Wenn Sie angestellt wären, würde ich Ihnen raten umzuschulen", habe ihm sein Kardiologe gesagt. "Mir würde das Herz aufgehen, wenn ich sehen würde, dass es weitergeht", sagt Jürgen Kleespies. Kommendes Jahr möchte er auf jeden Fall die Feier zum 275-jährigen Bestehen nachholen.