Hubert Weiger: Der Druck auf Natur und Umwelt war so groß geworden, dass auch Naturschützer gezwungen waren, sich mit grundsätzlichen politischen Fragen auseinanderzusetzen: Mit der Agrarpolitik, der Verkehrspolitik, der Energiepolitik. Und es war klar: Wenn wir ein erfolgreiches Bundesgesetz haben wollen, können wir nicht isoliert von Bayern aus arbeiten – dazu müssen wir nach Bonn.
Weiger: Zum einen der zunehmende Bau von Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen. Es stellte sich heraus, dass der Kampf, den wir regional gegen diese Bauprojekte führten, aussichtslos ist. Die Entscheidungen waren längst auf Bundesebene getroffen worden. Dann begann in den 70er Jahren die Zeit der Anti-Atom-Bewegung. Damals gründeten sich überall kämpferische Umweltschutz-Bürgerinitiativen. In BUND wollten wir diese Bewegung mit dem klassischen Naturschutz verknüpfen.
Weiger: Das waren engagierte Leute aus ganz Deutschland, die sich gekannt und geschätzt haben. Insgesamt waren wir 21 Männer und eine Frau. Viele kamen aus Bayern, so unser damaliger Geschäftsführer Helmut Steininger, Gerhardt Kneitz, der Vorsitzende der BN-Kreisgruppe Würzburg und der Motor: unser damaliger BN-Vorsitzende Hubert Weinzierl. Weitere treibende Kraft war Professor Gerhard Thielke, Ornithologe aus Radolfzell. Kurz nach der Gründung waren unter den ersten Mitgliedern der Tierschützer und Tierfilmer Bernhard Grzimek und Horst Stern, ein bekannter Fernsehjournalist.
Weiger: Das lag vor allem an Dr. Friedrich Lechner, damals Vorsitzender unserer Kreisgruppe Main-Spessart und Jurist am Landratsamt in Marktheidenfeld. Der sagte damals, ich kenne da eine geeignete Wirtschaft, zentral in Deutschland gelegen, mit Übernachtungsmöglichkeiten und preisgünstig. Wir mussten das ja alles selbst finanzieren.
Weiger: Mitte der 70er Jahre waren wir Hauptgegner, was die Atomenergie anging. Und dass 2022 alle deutschen Atomkraftwerke endgültig stillgelegt werden, ist sicherlich einer der größten Erfolge. Erfolgreich war auch unser Kampf um die Luftreinhaltung Anfang der 80er Jahre in Verbindung mit dem Waldsterben. Was noch wichtiger ist: Der BUND hat einen entscheidenden Anteil an einer Grundsensibilisierung der Bevölkerung. Er hat zig tausende Vorträge über die Schönheit der Natur organisiert. Aber er hat auch für Engagement vor Ort geworben, wenn es zum Beispiel um die Rettung von Lebensräumen in der Heimat geht. Ein großer Erfolg war das Hafenlohrtal als gerettete Großlandschaft. Heute würde niemand mehr auf die Idee kommen, hier eine Trinkwassertalsperre zu bauen. Das sind unverzichtbare Lebensräume, die geben wir nicht mehr her.
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Weiger: Umsonst gesorgt haben wir uns eigentlich nie. Im Gegenteil: Manche Dinge wurden eher unterschätzt. Zum Beispiel, was die Belastung der Umwelt durch nur geringe stoffliche Einträge angeht, die sich auf Dauer allerdings extrem schädlich auswirken können, wie zum Beispiel die Anreicherung von Schwermetallen wie Quecksilber in der Umwelt.
Weiger: Was nicht gelungen ist: Die zentrale Überlebensbedeutung unserer Böden klar zu machen. Wir gehen nach wie vor so mit Böden um, als würden sie rasch an anderer Stelle neu entstehen. In Deutschland wird gnadenlos Land überbaut. Ich denke da auch an das Marktheidenfelder Umland, mit der Verlagerung der Gewerbestandorte an die Autobahnen. Unsere Böden werden aber nicht nur überbaut, sondern vor allem die Ackerböden sind durch Wasser- und Windabtrag massiv gefährdet. Vielleicht hilft die Corona-Krise, um zu erkennen, wie wichtig landwirtschaftliche Bodennutzung ist und wie abhängig wir von globalisierten Lieferketten und Arbeitskräften geworden sind.
Weiger: Nicht verändert haben sich die Leute, die sich engagieren: Die sind idealistisch eingestellt, engagieren sich für das Gemeinwohl und haben Freude an der Natur und der Vermittlung von Naturerlebnissen. Verändert hat sich die Arbeit auf Bundesebene: Diese ist vernetzter, internationaler und herausfordernder geworden. Für den Verband bedeutet das, die Themen so spannend aufzubereiten, dass sich auch die Menschen vor Ort davon angesprochen und betroffen fühlen.
Weiger: Corona ist ein Weckruf an die gesamte Gesellschaft: Wir müssen solidarischer werden. Wenn es einem Teil der Welt besonders schlecht geht, dann spüren auch wir das. Wir müssen bei aller Globalisierung dafür sorgen, dass Unverzichtbares auch bei uns nachhaltig produziert und bereitgestellt wird: Dazu gehört das Wasser, die Umwelt, aber wir müssen auch die Lebensmittel, die wir in der Region erzeugen, anders wertschätzen. Wir sollten lernen, uns an dem zu freuen, was nichts kostet, nämlich an der Natur. Und was dem Leben einen Sinn gibt wie Freundschaften und Kontakte. Das ist entscheidender als die Flucht in den materiellen Wohlstand.
Hubert Weiger: Der 73-Jährige gehörte 1975 zu den Gründungsmitgliedern des BUND. Er war zwischen Dezember 2007 und November 2019 Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie zwischen 2002 und April 2018 auch Vorsitzender des BUND Naturschutz in Bayern. Danach wurde er zum Ehrenvorsitzenden beider Verbände gewählt.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland ist mit rund 650 000 Mitgliedern und Förderer einer der großen Umweltverbände Deutschlands. Vom Staat ist er als Umwelt- und Naturschutzverband (im Rahmen des Bundesnaturschutzgesetzes) anerkannt und muss daher bei Eingriffen in den Naturhaushalt angehört werden.