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MARKTHEIDENFELD
BUND: Seit 40 Jahren Anwalt für die Umwelt
Jubiläum 20. Juli 1975: In Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart) gründen 21 Personen den Bund für Natur- und Umweltschutz Deutschland. Bis heute ist der BUND Anwalt natürlicher Lebensgrundlagen.
WIR-HABEN-ES-SATT_2013       -  Der BUND ist für seinen Umwelt-Einsatz bekannt, wie hier bei einer Demo gegen das EU-Freihandelsabkommen TTIP. Heute wird er 40 Jahre alt.
Foto: BUND | Der BUND ist für seinen Umwelt-Einsatz bekannt, wie hier bei einer Demo gegen das EU-Freihandelsabkommen TTIP. Heute wird er 40 Jahre alt.
Tilmann Toepfer
Tilman Toepfer
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:41 Uhr

Zwei Jahrzehnte Wirtschaftswunder hatten tiefe Spuren hinterlassen. 1975 füllten zahlreiche wilde Müllkippen Mulden oder türmten sich zu Bergen, die ungezügelte Planung von Verkehrswegen und Neubaugebieten ignorierte zu oft den Wert des Bodens. Zahlreiche Gewässer glichen Kloaken, was allenthalben zu Fischsterben führte. Infolge ungehemmter Luftverschmutzung häuften sich Smog-Lagen. Das Waldsterben weckte Ängste, die Anti-Atom-Bewegung hatte regen Zulauf.

„Es lag etwas in der Luft“, erinnert sich Hubert Weiger an das „Jahr des Aufbruchs“. Der heutige BUND-Vorsitzende war 1975 als jüngstes Gründungsmitglied in Marktheidenfeld dabei. „Der Druck auf Natur und Umwelt war flächendeckend so groß geworden, dass auch Naturschützer gezwungen waren, sich mit grundsätzlichen politischen Fragen auseinanderzusetzen“, schreibt Weiger rückblickend. Über Agrarpolitik, Verkehrspolitik und Energiepolitik musste grundlegend neu nachgedacht werden.

Wie gering der Stellenwert des Themas Natur und Umwelt damals war, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass die Nachricht von der Gründung des neuen Bundesverbands der Redaktion damals gerade mal eine 29-Zeilen-Meldung wert war. Was besonders verblüfft, wenn man weiß, dass mit dem Frankfurter Zoodirektor, Buchautor und Filmemacher Bernhard Grzimek („Serengeti darf nicht sterben“), dem Dirigenten Enoch zu Guttenberg und dem wortgewandten Provokateur, TV-Journalisten und Schriftsteller Horst Stern bundesweit Prominente zu den BNUD/BUND-Gründern gehörten. Der Ingolstädter Forstwirt Hubert Weinzierl vertrat Bayern im ersten Vorstand, von 1983 bis 1998 sollte er als Vorsitzender den BUND prägen.

Heute, 40 Jahre später, kann der BUND eine überwiegend positive Bilanz ziehen. Die Debatte über das Waldsterben führte zu deutlich weniger Emissionen – und förderte den Aufstieg der Grünen.

Die Anti-Atomkraft-Bewegung erstarkte, wobei der BUND einerseits mit der Forderung nach einem Sofortausstieg klar Position bezog, auf der anderen Seite aber im Arbeitskreis Energie Vorarbeit in Richtung Energieeffizienz, Kraft-Wärme-Kopplung, erneuerbare Energien und Energiewende leistete.

Gemeinsam mit anderen Akteuren konnte die Anti-Atom-Bewegung nach dem GAU von Fukushima die Laufzeitverlängerung kippen. Acht Atommeiler wurden sofort stillgelegt, im Juni 2015 ging auch der Reaktor in Grafenrheinfeld unter dem Jubel von BUND-Aktivisten vom Netz.

Auch beim Ökolandbau, bei der verantwortungsvollen Tierhaltung sowie bei der EU-Agrarpolitik kann sich der BUND die nicht unbedeutenden Fortschritte bei der Bewusstseinsbildung auf die Fahnen schreiben. Seit über 20 Jahren informiert der BUND über die Risiken der Gentechnik für Mensch, Umwelt und bäuerliche Landwirtschaft. Auch in Unterfranken bildet der Verband das vielleicht wichtigste Bindeglied im Bündnis von Bauern, Kommunen und Umweltorganisationen für eine gentechnikfreie Region.

Bei Demonstrationen gegen die Atomkraft, die Gentechnik und umstrittene Verkehrsprojekte wie die B 26 n (Westumgehung Würzburg) marschieren Mitglieder von BUND beziehungsweise Bund Naturschutz vorne mit. Gespräche mit Politikern, Umweltbildung, Führungen, Vorträge, die Betreuung von Schutzgebieten und Stellungnahmen für Behörden sind nicht weniger bedeutsam. Längst ist der BUND mit rund 540 000 Mitgliedern und Förderern in 16 Landesverbänden zu einem nicht überall beliebten, aber allseits anerkannten Akteur und Gesprächspartner geworden, soweit es um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen geht. In Bayern hat der Landesverband, der Bund Naturschutz in Bayern (BN), mehr als 215 000 Mitglieder, in Unterfranken sind es an die 24 000.

Selbst im internationalen Netzwerk von Umweltverbänden gestaltet der BUND die Klima-, Agrar-, Verkehrs- und Energiepolitik mit. Im jüngsten Jahresbericht kündigt der Vorsitzende an, dass sich sein Verband verstärkt dem geplanten amerikanisch-europäischen Freihandelsabkommen TTIP widmen werde. „Unter dem Deckmantel eines fragwürdigen Wirtschaftswachstums drohen bewährte Umwelt- und Verbraucherstandards ausgehöhlt und demokratische Rechte ausgehebelt zu werden“, so Weiger

Bei der Arbeit in den Kreis- und Ortsgruppen sind die Streuobstwiesen als artenreiche Paradiese für seltene Tiere und Pflanzen ein Schwerpunkt. Der jüngste Jahresbericht für Unterfranken erwähnt ferner ein bedeutsames Biberprojekt in Bad Brückenau und die Wiedereinbürgerung der Wildkatze, die vor allem der Zucht und dem Auswilderungsgehege im Rothenbucher Forst mitten im Spessart zu danken ist.

Das Rhönschaf – weißes Fell, schwarzer, hornloser Kopf – ist nach 30 Jahren unter den Fittichen des Umweltverbandes Symbol für das „Land der offenen Fernen“ geworden. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts hatten Hunderttausende der vierbeinigen Landschaftspfleger zum Erhalt der artenreichen Bergwiesen und Magerrasen beigetragen. Viehseuchen, Einfuhrbeschränkungen und die aufkommende Agrartechnik machten die Schafzucht immer unrentabler, das Rhönschaf drohte auszusterben. Auf Anregung von Gerhard Kneitz, Professor für Zoologie an der Uni Bonn und damals stellvertretender Landesvorsitzender, kaufte der Umweltverband 1985 eine Herde von 39 Tieren und übergab sie an den Landwirtschafts-Meister Josef Kolb in Ginolfs. Dort wird am 13. September das Comeback des Rhönschafes gefeiert.

Ganz oben auf der Skala der Erfolge in der Region: 2008 konnten Naturschützer das Aus des seit drei Jahrzehnten heftig umstrittenen Trinkwasser-Großprojekts Hafenlohrtalspeicher im Landkreis Main-Spessart feiern. Eine Talsperre sollte das Spessart-Flüsschen Hafenlohr auf eine Länge von acht Kilometern aufstauen. Gegner des Projekts schlossen sich 1978 parteiübergreifend in der „Aktionsgemeinschaft Hafenlohrtal“ (AGH) zusammen. Vorsitzender Sebastian Schönauer, Stellvertreter von Hubert Weiger als BN-Vorsitzender, verteidigte mit seinen Mitstreitern die einzigartige Kulturlandschaft zäh und geduldig. Die AGH organisierte 31 Hafenlohrtalfeste und zahlreiche weitere Veranstaltungen. Dem konsequenten Protest konnte sich die Staatsregierung am Ende nicht verschließen. München legte die Pläne zu den Akten, der Speicher wurde aus dem Regionalplan gestrichen.

Neben Erfolgen gab es auch schmerzhafte Niederlagen. Weder konnte der Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals verhindert werden noch der fortschreitende Ausbau des Mains zur Großschifffahrtswasserstraße. „Auch die B 26n geistert noch im Bundesverkehrswegeplan herum“, bedauert Sebastian Schönauer. Nicht vergessen hat er auch das knappe Scheitern des Volksbegehrens „Aus Liebe zum Wald“, das die bayerische Forstreform verhindern sollte. Schönauer kann nicht nachvollziehen, dass so gut wie jeder Quadratmeter Wald in Bayern wirtschaftlich genutzt werden darf. „Wir brauchen natürlich auch Naturschutzgebiete im Wald“, mahnt der Überzeugungstäter an.

Die Jubiläumsfeier

Ihr 40-jähriges Bestehen feiert der BUND am Samstag, 25. Juli an jenem Ort, an dem alles begonnen hat: im Hotel „Zur schönen Aussicht“ in Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart).

Zum Festakt um 14 Uhr, bei dem der ehemalige Umweltminister und Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Klaus Töpfer, die Festrede halten wird, werden nach Angaben der Organisatoren 150 Gäste erwartet, darunter der Bundesvorsitzende Hubert Weiger und die noch lebenden Gründungsmitglieder, zu denen neben Professor Gerhard Kneitz (Remlingen, langjähriger Vorsitzender der BN-Kreisgruppe Würzburg und ehemals stellvertretender BN-Bayern-Vorsitzender) auch Friedrich Lechner, der ehemalige Kreisvorsitzende Main-Spessart des Bund Naturschutz gehört. Eine begleitende Ausstellung im Franck-Haus der Stadt Marktheidenfeld wird bereits um 11 Uhr eröffnet. Zu sehen sind Bilder von Gerhard Kneitz sowie Bilder und Informationen aus dem Hafenlohrtal. Mit Ehren- und Festgästen begeben sich die Vorsitzenden der Aktionsgemeinschaft Hafenlohrtal (AGH), Sebastian Schönauer und Erich Perchermeier, am Sonntag, 26. Juli zu einer Exkursion ins Hafenlohrtal, die von der Wasserbüffelweide bei Windheim nach Einsiedel führt. Um 10.30 Uhr fährt der Bus vom Hotel „Schöne Aussicht“, Abmarsch in Windheim ist um 11 Uhr, Ankunft in Einsiedel um 13 Uhr, um 14 Uhr findet am Hafenlohrtalbildstock der AGH ein Gottesdienst mit musikalischer Begleitung statt.

„Wir brauchen natürlich auch Naturschutzgebiete im Wald.“
Sebastian Schönauer, stellvertretender Vorsitzender des BUND Naturschutz
Vor 40 Jahren: Bodo Manstein, Herbert Gruhl (stehend), Hubert Weinzierl, Bernhard Grzimek und Helmut Steiniger gründen in Marktheidenfeld den BNUD/BUND.
Foto: Foto:BUND | Vor 40 Jahren: Bodo Manstein, Herbert Gruhl (stehend), Hubert Weinzierl, Bernhard Grzimek und Helmut Steiniger gründen in Marktheidenfeld den BNUD/BUND.
rhönschaf       -  Rhönschaf gerettet: Gerhard Kneitz (rechts) war maßgeblich beteiligt.
Foto: Heise | Rhönschaf gerettet: Gerhard Kneitz (rechts) war maßgeblich beteiligt.
Tal gerettet: Beim 31. Hafenlohrtalfest 2008 in Rothenbuch freuen sich Sebastian Schönauer (links) und Hubert Weiger, dass die Stauseepläne vom Tisch sind.
Foto: J. Schwamberger | Tal gerettet: Beim 31. Hafenlohrtalfest 2008 in Rothenbuch freuen sich Sebastian Schönauer (links) und Hubert Weiger, dass die Stauseepläne vom Tisch sind.
 
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