Keine Verabschiedung selbst von engen Verwandten, Beisetzungen nur im kleinsten Kreis und die Angst vor Ansteckungen: Die Corona-Pandemie hat für starke Einschränkungen bei Bestattungen gesorgt. Matthias Liebler, Vorsitzender des Bestattungsverbandes Bayern und Geschäftsführer des Marktheidenfelder Bestattungsinstituts Liebler, erzählt im Gespräch, warum er mit den gesetzlichen Vorgaben auch nach zwei Jahren Pandemie noch hadert und welche Einschränkungen für die Angehörigen am schlimmsten sind.
Matthias Liebler: Die Anfangszeit war ziemlich schwierig, weil ja keiner so richtig wusste, was ist das eigentlich für ein Virus, wie ansteckend ist das, da waren alle vorsichtig. Wie ist es bei Verstorbenen und wie lange hält sich das Virus in einem toten Körper – da mussten wir erst Erkenntnisse gewinnen. Auch bei uns gab es einen Engpass bei Hygienematerial wie Desinfektionsmittel. Und wenn man etwas bekommen hat, war das elendig teuer. Das hat sich alles normalisiert.
Liebler: Ja. Mitte November bis Ende des Jahres hatten wir hier richtig viel zu tun, circa 30 Prozent mehr als üblich. Als Vorsitzender des Bestattungsverbandes habe ich das besonders mitbekommen. Das ging mit banalen Dingen los, als zum Beispiel die Mitarbeiter aus dem Grenzgebiet von Tschechien nicht mehr einreisen durften oder nur mit anschließender Quarantäne. Oder auch die Frage, ob wir zur kritischen Infrastruktur gehören, ob wir systemrelevant sind – was wir leider immer noch nicht sind. Die Bundesregierung hat das eigentlich einmal festgestellt, aber Bayern setzt das nicht um.
Liebler: Auch mit den Behörden hatten viele Bestatter in Bayern Probleme. Denn wenn ein Verstorbener bestattet oder eingeäschert wird, braucht man bestimmte Dokumente. Und dann hatten die Behörden überall zu oder das Standesamt war im Homeoffice. Hier bei uns ging das relativ unproblematisch per E-Mail, aber in Oberbayern ging gar nichts mehr, teilweise auch aus Datenschutzgründen. In manchen Landkreisen in Bayern war das eine Katastrophe. Die Verstorbenen haben sich gestapelt, nicht weil es so viele waren, sondern weil die Voraussetzungen nicht gegeben waren. Das zieht einen ganzen Rattenschwanz nach sich. Der Verstorbene kann nicht eingeäschert werden, dann kann keine Beisetzung stattfinden, keine Rente beantragt werden und die Versicherung nicht benachrichtigt werden.
Liebler: Die Angehörigen konnten sich nicht verabschieden von den Verstorbenen. Wir Bestatter stehen da in einem Spannungsfeld. Einerseits gibt es die gesetzlichen Vorgaben. In der bayerischen Bestattungsverordnung ist festgelegt, wie mit infektiösen Verstorbenen umzugehen ist. Der Verstorbene darf nicht mehr anders angezogen werden, nicht mehr gewaschen werden, muss in mit Desinfektionsmittel getränkte Tücher eingewickelt werden, der Sarg darf nicht mehr geöffnet werden. Das war natürlich für die Angehörigen schlimm. Und der Bestatter steht zwischendrin. Wir verstehen die Angehörigen, die diese Dinge wollen, aber wir haben auch unsere Vorgaben.
Liebler: Ich hatte den Eindruck, dass das der ein oder anderen Familie nichts ausgemacht hat, weil sie ohnehin nur den kleinsten Familienkreis dabeihaben wollte. Aber für die Mehrzahl war das schon schwierig. Und das hat sich bis heute gehalten, die Beerdigungen sind nicht mehr so groß.
Liebler: Emotional war es schwierig an dem Punkt, an dem es um die Verabschiedung ging. Weil wir eben genau zwischen den Stühlen stehen. Eigentlich raten wir als Bestatter immer, dass sich die Leute, wenn es irgendwie geht, noch einmal von den Verstorbenen verabschieden sollen am offenen Sarg. Das ist ein wesentlicher Punkt der Trauerbewältigung. Sonst bleibt womöglich das Bild im Kopf, wo der Verstorbene im Krankenhaus an Schläuchen angeschlossen ist. Eine Verabschiedung am offenen Sarg wäre aus meiner Sicht durchaus möglich, wenn bestimmte Infektionsschutzmaßnahmen eingehalten werden. Aber eigentlich ist es dann immer noch illegal.
Liebler: Wir haben mal einen Livestream gemacht, mitten in Marktheidenfeld. Aber am Friedhof muss man schauen, ob es eine gute Internetverbindung gibt. Als wir das einmal gemacht haben, habe ich gesehen, was da für ein technischer Aufwand dahinter ist. Und dann bricht vielleicht plötzlich die Verbindung ab. Man kann das ja nur einmal machen und nicht wieder von vorne anfangen oder mal kurz anhalten. Wir haben es danach dann so gemacht: Wir haben die Beisetzung gefilmt, dann zusammengeschnitten und den Angehörigen einen Link geschickt oder über unsere Gedenkseiten online zur Verfügung gestellt. Aber die Livestreams sind uns zu riskant. Am Friedhof hat man ja meist nur das Handynetz und dann geht man zum Grab und dann wird aus LTE nur noch Edge und dann ist es vorbei.
Liebler: Die Gedenkseiten haben wir zu Corona-Zeiten eingeführt, da haben wir mittlerweile Tageszeitungsstatus. Als sich die Leute nicht in die Kondolenzbücher am Friedhof eintragen konnten, weil man zum Beispiel nach jedem den Stift hätte desinfizieren müssen. Im Monat haben wir auf unserer Homepage zwischen 70 000 und 90 000 Zugriffe durch die Gedenkseiten. Innerhalb von zwei, drei Stunden sind da zwanzig, dreißig Einträge. Das haben viele Bestattungsunternehmen gemacht.
Liebler: Was den Abschied der Angehörigen angeht, hat sich eigentlich nichts verändert. Der Gesetzgeber unterscheidet nicht, wie lange sich so ein Virus hält und wie es sich überträgt. Es gibt natürlich Viren, die halten sich Jahre. Aber meine private Meinung ist, dass man einen Corona-Verstorbenen unter Beachtung der Schutzmaßnahmen waschen kann, desinfizieren, ankleiden, und man kann ihn auch offen aufbahren. Selbst das RKI sagt in einer Empfehlung, dass berührungslose Aufbahrungen kein Problem sind. Der Verstorbene im Sarg atmet nicht mehr, spricht nicht mehr. Ein Verstorbener ist nicht infektiöser als ein Lebender. Das haben wir auch oft genug geäußert beim Ministerium, aber leider hat sich da nichts getan. Es gab auch vereinzelt Bestatter, die das den Angehörigen trotzdem ermöglicht haben.
Warum jetzt dieses falsche Mitleid mit den Angehörigen?