Eine Frage, die für Auswärtige seltsam klingen mag, für Generationen von Kindern in Lohr jedoch bis vor kurzem zum täglichen Sprachgebrauch gehört hat: "Gehen wir ins Tschips?" Seit dem 20. Februar hat der Spielwarenladen "Tschips" in der Lohrer Färbergasse für immer geschlossen.
Birgit Braun hatte das Geschäft zusammen mit ihrer Tochter Andrea Rausch und zuletzt zwei Teilzeitmitarbeiterinnen geführt. Den Schritt, nach über 31 Jahren den Schlussstrich zu ziehen, fiel ihr nicht leicht: "Das ist ein komisches Gefühl", sagt die 76-Jährige und seufzt, "aber du kriegst halt schon irgendwann deine Grenzen gezeigt, wo du denkst, jetzt ist es gut". Abschied zu nehmen und beim Räumungsverkauf in den vergangenen Wochen zwischen immer leerer werdenden Regalen zu stehen, habe ihr dennoch einiges an Kraft gekostet.
Idee zu Ladengründung und Namen kam spontan beim Abendessen
Lieber denkt Braun an den Abend zurück, als die Idee, den Laden zu gründen, geboren wurde: "Das war sehr lustig", erinnert sie sich und lacht. Kurz zuvor hatte sie ihren Wollladen geschlossen und zusammen mit ihrer Tochter, dem Schwiegersohn und Freunden beim Essen überlegt, was dem folgen könnte. Der spontane Einfall: "Wir machen einen Spielwarenladen auf".
Doch damit nicht genug, auch ein Name musste her: "Und beim Chips essen kam dann Tschips raus – also die eingedeutschte Version. Kein tieferer Sinn, sondern reiner Spaß", erzählt Braun. Zusammen mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn hätte sie daraufhin die GmbH gegründet – am 11. Oktober 1993, wie es auf dem leicht vergilbte Gesellschaftsvertrag heißt, den Braun aus einem Ordner zieht.
Grund für das Aus ist auch das veränderte Kaufverhalten
Dass sie den Laden nun nach mehr als drei Jahrzehnten aufgibt, habe neben ihrem Alter auch damit zu tun, dass die Umsätze sehr rückläufig gewesen seien. Gründe dafür seien die schwierige Situation im Einzelhandel und die starke Konkurrenz durch den Online-Handel. Aber auch das Einkaufs- beziehungsweise Wunschverhalten der Kinder habe sich in den vergangenen Jahren drastisch gewandelt.
"Die Kinder selber sind ja alle schon online und wissen genau, was sie wollen und was nicht. Das macht uns die Beratung schwer", erklärt Braun, die selbst drei Kinder, vier Enkel und zwei Urenkel hat. Früher sei dies einfacher gewesen: "Da hat sich ein Kind eine Puppe zu Weihnachten gewünscht, vielleicht noch gesagt, ob mit Haar oder ohne Haar, und heute wollen sie ein ganz bestimmtes Teil. Du darfst ihnen nichts schenken, was nicht genau das ist, was sie in der Werbung oder online gesehen haben."
Online-Konkurrenz kann das Erlebnis eines Spielwarenladens nicht ersetzen
Dass Eltern das gewünschte Teil dann immer öfter direkt im Netz bestellen, sei da nur die logische Konsequenz. Ein Umstand, der nicht nur für Birgit Braun das Schenken und beschenkt werden zunehmend entzaubert. "Unsere Stammkunden, die, die wirklich noch regelmäßig bei uns waren, bedauern das schon sehr, dass wir aufhören", sagt sie. "In einem Spielzeugladen zu stehen ist doch etwas anders als durch einen Online-Shop zu scrollen. Für sie waren wir nicht nur draußen, sondern auch drinnen das Schaufenster der Wünsche, das man sich immer gerne angeschaut hat. Und dieses Schaufenster ist jetzt zu."
Doch auch wenn es Braun "mehr als einmal gefuchst" habe, von Eltern das Handy vorgehalten zu bekommen und erklären zu müssen, dass auch sie den im Internet ausverkauften Artikel leider nicht besorgen könne, blickt sie dankbar zurück auf die Zeit in "ihrem" Tschips. "Es hat mir Freude gemacht und mich auch im Alter noch positiv beschäftigt. Sonst hätte ich's ja nicht so lange gemacht."
Spielzeugverkäuferin verstand ihren Beruf als Privileg
So habe sie als Spielzeugverkäuferin das Privileg gehabt, mit Kindern und Eltern überwiegend schöne Momente zu teilen. "Und wenn du dann gesehen hast, wie die, die schon als Kind zu dir gekommen sind, jetzt mit ihren eigenen Kindern wiederkamen, ist das schon sehr erfüllend", sagt Braun und lächelt. "Ich habe die Leute gekannt, sie haben mich gekannt, das fand' ich einfach schön. Das war eigentlich das, was Spaß gemacht hat."
So sei sie auch überwältigt von der Fülle an lieben, dankbaren und betrübten Rückmeldungen, die Kundinnen und Kunden in den letzten Wochen an sie herangetragen hätten. "Es war immer so schön hier, wo soll ich denn jetzt hin?", sei sie häufig gefragt worden.
Der Spielzeugladen verschwindet, aber das Ladenlokal wird nicht leer bleiben
Eine Frage, die sich in Main-Spessart nicht leicht beantworten lässt. Ein Geschäft im Landkreis führt den Titel Spielwaren noch: Spielwaren Anderlohr in Frammersbach, das jedoch gleichzeitig auf Schreibwaren und Bürobedarf spezialisiert ist. Reine Spielwarenfachgeschäfte in der Größe des "Tschips" könnten sich in Kleinstädten heute nicht mehr behaupten, weiß Braun aus langjähriger Erfahrung.
Aus diesem Grund habe sie auch nicht gezielt nach einer Nachfolge gesucht. Leer stehen wird das Ladenlokal in der Färbergasse 17 dennoch nicht lange. Nach einer Renovierung werde im Sommer die Massagepraxis Kittiya aus der Turmstraße dort hinziehen. Und Braun? Ihr werde sicher nicht langweilig, sagt sie. "Ich habe ein Haus, einen großen Garten, Enkel und Urenkel. Und dann möchte ich auch einfach mal an mich denken."