
Matthias Schneider erinnert sich noch gut an die Momente, in denen er vor den Schaufenstern großer französischer Luxusmarken stand und dachte: "Vielleicht kann ich mir irgendwann mal einen Schlüsselanhänger von Louis Vuitton leisten." Heute hat der 32-Jährige, der in Marktheidenfeld aufgewachsen ist, es quasi hinter das Schaufenster geschafft: Er ist Chefdesigner für den Damenschmuck bei dem französischen Luxusunternehmen. Oder wie er es ausdrückt: "Ich habe das Gefühl, ich gehe jeden Tag basteln und werde dafür auch noch bezahlt."
Schon nach seinem ersten Besuch in Paris war für Schneider klar, dass er dort gerne einmal leben würde. "Die Stadt hat mich einfach total umgehauen", erinnert er sich an den Schulausflug mit seinem Französischkurs des Wirtschaftsgymnasiums in Wertheim. Über Kontakte, die er bei diesem Besuch knüpfte, ergatterte er schließlich ein Praktikum bei einer Pariser Eventagentur, die unter anderem Modenschauen für Karl Lagerfeld organisierte. Direkt nach dem Abitur zog er dafür nach Paris, in einer "Nacht-und-Nebel-Aktion", wie er heute sagt. "Ich habe sogar meinen eigenen Abiball verpasst", erinnert er sich.
Die mangelnden Sprachkenntnisse wurden zum Problem
Über die Naivität, mit der er damals in die französische Hauptstadt ging, kann Schneider im Rückblick nur lachen: "Ich dachte, Karl Lagerfeld spricht Deutsch, also wird das kein Problem." Dass er mit dem berühmten Modedesigner natürlich kaum direkten Kontakt hatte und es ohne gute Französischkenntnisse nicht gehen würde, wurde ihm dann aber ziemlich schnell klar. Nach einem missglückten Telefonat mit einem Kunden machte ihm seine damalige Chefin deutlich: "Entweder du lernst richtig Französisch oder wir können dich hier nicht gebrauchen."

Aufgeben und wieder zurück nach Marktheidenfeld gehen, das kam für den damals 18-Jährigen nicht in Frage. Und so nutzte er jede Möglichkeit im Alltag, um sein Französisch zu verbessern. "Ich bin alle zwei Wochen zum Friseur gegangen, habe mich in vier Läden für das gleiche Paar Schuhe beraten lassen und im Supermarkt die Kassiererin vollgequatscht", erzählt Schneider. Sein Einsatz wurde belohnt. Ein Jahr lang hat der junge Marktheidenfelder als Praktikant bei der Agentur gearbeitet und dabei wertvolle Einblicke bekommen.
Die Finanzkrise sorgte für Zurückhaltung in der Modebranche
Doch dann kam 2008 die Finanzkrise und in der Welt der Luxusmode herrschte auf einmal große Zurückhaltung. Paris verlassen wollte Matthias Schneider eigentlich auf keinen Fall. "Paris ist einfach meine große Liebe. Ich hätte mich damals auch zu McDonald's an die Kasse gestellt", sagt er. Auf den Rat eines Freundes entschloss er sich, zu studieren. Da Studieren in Paris aber sehr teuer ist, zog er nach Köln, und schrieb sich dort für Produktdesign ein.
Während eines Auslandsjahres in Mailand kam ihm dann die "Erleuchtung", erzählt er rückblickend. "Vorher war da immer diese Angst, dass ich nicht gut genug bin, nicht kreativ genug." In einem Seminar sollten er und seine Mitstudierenden Verschlüsse designen. Dabei setzte er sich gegen viele andere "wahnsinnig kreative" Menschen durch, die sich am Ende aber alle zu sehr verkünstelt hätten und deren Entwürfe schlicht nicht funktionierten.
Damals wurde ihm klar: "Am Ende ist Mode nicht nur Kunst, sondern Mode hat eine Funktion." Eine Hose hat zwei Beine, in eine Tasche muss mindestens ein Handy und etwas Geld passen. Nach diesem Schlüsselmoment war für ihn klar, dass er in der Welt der Accessoires Fuß fassen wollte, um so beides zu vereinen – die Eleganz der Mode und das Handfeste, das Greifbare.
Als Assistent für Accessoires begann Schneider beim schwedischen Großkonzern H&M, der damals eine neue Marke auf den Markt brachte. Auch wenn das nur die "Formel 3" gewesen sei – so sein Vergleich – eröffneten sich ihm damals viele Kontakte in die "Formel 1", die Welt der französischen Luxusmarken.

2014 gelang ihm dann bei der Marke Céline der Einstieg in die "Formel 1", nach einiger Zeit wechselte er zu der italienischen Familienmarke Repossi, die Teil der Louis-Vuitton-Gruppe ist. Seit Anfang dieses Jahres ist der Marktheidenfelder nun verantwortlich für das Schmuckdesign bei Louis Vuitton und hat bereits seine erste Kollektion bei einer Modenschau auf der Pariser Fashion Week für das Label präsentiert. "Das war nochmal ein richtig krasser Schritt", sagt er.
Besuche in der Heimat helfen, auf dem Boden zu bleiben
Auch wenn Matthias Schneider in Paris seinen Platz gefunden, so kommt er immer wieder gerne zurück in seine Heimatstadt Marktheidenfeld. "So sehr ich damals raus wollte, so sehr merke ich heute, wie schön der Spessart ist, wie nett die Leute sind und wie gut ein frisches Bier von der Martinsbräu schmeckt", erzählt er. Vier- bis fünfmal im Jahr schafft er es, seine Familie in Marktheidenfeld zu besuchen. "Die erste Amtshandlung, wenn ich nach Hause komme, ist im Bräustüble eine Portion Käsespätzle zu essen."
Die Besuche in seiner Heimat helfen dem jungen Designer, einfach mal zu durchzuatmen, aber auch, auf dem Boden zu bleiben. "Man kann auch sehr schnell abheben in dieser Glanz-und-Glamour-Welt", sagt Schneider. "Aber wenn ich nach Hause komme, dann bin ich Matthias aus der Fichtenstraße und nicht Matthias, der Chefdesigner für Schmuck bei Louis Vuitton."
Ganz bodenständig sind auch die Dinge, die er in Paris mit am meisten vermisst: Käsespätzle und Brezeln. Wenn die Sehnsucht nach der deutschen Küche zu groß wird, macht er einen Ausflug zu einem deutschen Supermarkt, der nur wenige Minuten entfernt von seiner Pariser Wohnung liegt: "Da kauf ich mir dann Spätzle und eine Spezi, wenn es wirklich gar nicht mehr geht."
Wertschätzung für "schöne Dinge" ist in Frankreich höher
Nicht nur kulinarisch empfindet der Marktheidenfelder zwischen Deutschland und Frankreich oft große Unterschiede. Besonders die Wertschätzung, die die Menschen in unserem Nachbarland für "schöne Dinge" haben, sei eine völlig andere. "Ich muss in Frankreich niemandem erklären, warum der Schmuck so viel kostet", sagt er. In Deutschland hingegen sei das Konsumverhalten völlig anders. "Deutschland hat Luxusautos, aber keine Luxusklamotten. In Frankreich ist es genau andersrum."
Dennoch habe er viele deutsche Kollegen in der Pariser Modewelt, die vor allem in den strategischen Positionen der Unternehmen arbeiten. Auch bei Louis Vuitton gebe es viele Deutsche. "Das Deutschsein war für mich hier bisher immer eher ein Vorteil, weil wir bekannt dafür sind, dass wir organisiert sind, dass die Sachen einfach funktionieren", sagt er.

Mit einem gängigen Vorurteil über die Franzosen möchte Schneider aber aufräumen. "Ich finde, Frankreich hat sich wahnsinnig verändert in den letzten zwölf Jahren. Früher hat wirklich niemand Englisch gesprochen", sagt er. Das sei heute nicht mehr so. Auch seit Emmanuel Macron Präsident sei, hätten sich viele Start Ups in Paris angesiedelt. Insgesamt sei die Stadt sehr lebendig und genau der richtige Platz für junge, kreative Menschen.