Kein Smartphone, kein Fernseher, noch nicht mal ein Bett, geschweige denn eine Toilette. Unvorstellbar für die meisten. Aber genau das ist seit zweieinhalb Jahren Alltag für Marcus. Er ist „fremder und freireisender Bäcker“. So nennt sich der 34-jährige Wandergeselle aus dem sächsischen Vogtland mit Verzicht auf den Familiennamen. Fremd, weil er außerhalb des sogenannten „Bannkreises“ von 50 Kilometer um seinen Heimatort generell überall fremd ist. Denn dorthin dürfen Wandergesellen während der Walz nicht zurückkehren. Und frei, weil er während der Wanderschaft an keine längeren Verpflichtungen gebunden ist. Drei Jahre dauert die Reise. Plus einen Tag. So will es der Brauch der Walz – und Marcus folgt ihm.
Zwischen Planlosigkeit und Ablehnung
„Das mache ich ohne einen richtigen Plan“, sagt der Geselle in der Backstube der Bäckerei Rudolph in Eußenheim. Dort hat er durch Zufall vor etwa zwei Wochen Arbeit gefunden. Doch bis dahin war es eine schwierige Reise. Denn bei zehn Bäckereien hatte er zuvor angefragt – ohne Erfolg. Das läuft nicht etwa über Telefon oder E-Mail ab, sondern indem er sich ganz klassisch bei Bäckereien vorstellt. Oft ende das aber schon vor dem Verkaufstresen. In Thüringen seien es sogar 20 Bäckereien hintereinander gewesen, bei denen er abgelehnt worden ist. Oft seien die Bäckermeister gar nicht im Haus oder könnten so kurzfristig keinen Gesellen eingliedern.
Unterkunft über der Arbeitsstätte
„Als ich gehört habe, dass ein Geselle bei uns arbeiten möchte, habe ich sofort zugestimmt“, sagt Andreas Schmitt. Er ist einer der zwei Geschäftsführer der Bäckerei R & S GmbH & Co. KG. Sie entstand, als die „Bäckerei Rudolph“ aus Eußenheim und „Der Bäcker Schmitt“ aus Retzstadt Anfang des Jahres fusionierten. Für ihn ist Geselle Marcus der Erste, der während der Walz Arbeit in der Backstube sucht. Vor allem bei der derzeitigen Personalknappheit sei er eine echte Hilfe. „Aber selbst, wenn wir voll besetzt wären, Arbeit gibt es immer“, so Schmitt. Der Geselle hat auch eine Unterkunft über der Bäckerei bekommen.
Nur wenige Bäcker sind auf der Walz
Der wandernde Bäcker schätzt, dass aktuell etwa zehn deutsche Bäckergesellen auf der Walz sind. „Viele sind es also nicht“, sagt er. Wie viele Wandergesellen aus Deutschland insgesamt durch die Welt reisen, weiß niemand genau. Es gibt nur Schätzungen. „Auf jeden Fall kann man aber sagen, dass auch heute noch einige Wandergesellen unterwegs sind“, so eine Pressesprecherin der Handwerkskammer Unterfranken. Normalerweise reisten in der Zunft Maurer und Steinhauer, Steinmetze und Steinbildhauer. Mittlerweile haben aber auch andere Handwerker die Möglichkeit, auf Wanderschaft zu gehen. Darunter sind Bauklempner, Schmiede oder auch Garten- und Landschaftsbauer.
Voraussetzung ist laut Handwerkskammer allerdings immer ein Gesellenbrief. Außerdem müssen die Wandergesellen ledig, kinderlos und schuldenfrei sein. Viele Schächte – das sind Handwerkervereinigungen – fordern außerdem, dass der Wandergeselle unter 30 Jahre alt ist. Marcus ist aber Freireisender und damit an keinen Schacht gebunden.
Unter Dinosauriern geschlafen
Wie alle Wandergesellen ist aber auch er ständig unterwegs, hat keine feste Bleibe und weiß oft nicht, was der nächste Tag bringt. Die klassische Montur sei dafür ein Türöffner in der Fremde und schaffe Vertrauen. Denn wer die Kluft trägt, muss sich stets ehrbar verhalten. „So wird mir unheimlich viel geholfen", sagt Wandergeselle Marcus. Das erleichtere einerseits das Trampen und andererseits mache die Kluft es leichter, bei anderen Menschen einen Schlafplatz zu bekommen. Genächtigt hat er beispielsweise schon vor einem Altar oder unter Dinosaurier-Knochen in einem Museum. „Oft wirken wir auch wie eine Touristen-Attraktion auf die Bürger“, sagt der Geselle. Denn egal, ob die Sonne scheint, es regnet oder schneit, während jedes einzelnen Tages der Walz trägt der Geselle seine Kluft.
Eine Reise durch ganz Europa
Weitere Utensilien sind der Wanderstab und das Wanderbuch. Letzteres belegt alle Arbeitseinsätze des Lehrlings. Und die haben Marcus schon durch ganz Europa geführt. Bei Knäckebrot-Bäckern in Schweden hat er ebenso mitgeholfen wie bei Bäckermeistern in Frankreich oder Rumänien. In Norwegen hatte er sogar seine eigene kleine Bäckerei. Sein Spezialgebiet sind Sauerteige und Brote.
„Für mich ist es wie eine lange Orientierungsphase“, meint er. Und diese wird ihn weiter durch Europa führen. Von Eußenheim geht es in der ersten Dezemberwoche ins oberbayerische Titting, danach möchte er wieder zurück nach Rumänien und vielleicht in die Türkei. Ob das alles noch im verbleibenden halben Jahr klappt, ist ungewiss. „Wo ich lande, kann ich eben nie so genau sagen. Das ist ja das Schöne“, meint der 34-Jährige.