Es macht offenbar einen Unterschied, ob man vor 13.000 Menschen spricht, die ihr demokratisches Recht wahrnehmen und gegen ein umstrittenes Gesetz demonstrieren, oder vor einem kleinen Kreis Aufrechter, die das 50-jährige Bestehen jener politischen Bewegung feiern, die einem selbst ins Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten Bayerns verholfen hat.
Vor drei Wochen hat Hubert Aiwanger noch proklamiert, die "schweigende große Mehrheit dieses Landes" müsse sich die Demokratie zurückholen. Vor der kleinen Jubiläumsfeier in Marktheidenfeld hingegen wählt der Freie-Wähler-Chef sanftere Töne. Womöglich auch als Respekt vor Armin Grein, des an diesem Abend vielgelobten Gründervaters der Freien Wähler und Aiwangers Vorgänger als Landes- und Bundesvorsitzender.
Aiwanger würdigt Grein als "Vater Abraham der Freien Wähler"
Am Freitagabend um 18 Uhr beginnt die interne Jubiläumsfeier der Freien Wähler Marktheidenfeld im Freien hinter den Franck-Stuben im Franck-Haus. Aiwanger ist für 20.15 Uhr angekündigt – er will erst mit Ministerpräsident Markus Söder beim Kiliani-Bieranstich in Würzburg gesehen und fotografiert werden. Er kommt um 21 Uhr. Die Trachtenjacke hat er gegen ein Jackett in der Farbe seiner Hose getauscht, sich locker eine Krawatte angetan.
Freundlich würdigt er Grein als "Stammvater", als "Vater Abraham der Freien Wähler", um schnell in den Wahlkampmodus zu wechseln. 11,6 Prozent haben die Freien Wähler bei der Wahl 2018 erhalten. Er sei sich sicher, dass es im Oktober noch mehr werden, versprüht der Parteichef Optimismus. "Weil wir uns treu geblieben sind", begründet er seine Einschätzung. Weil die Partei "in der Regierung stärker geworden" sei.
Dann springt er zwischen Bundes- und Landespolitik hin und her, mischt Ampel-Kritik mit Eigenlob. 5000 neue Lehrerstellen wurden im Koalitionsvertrag festgelegt. Die Freien Wähler hätten bisher sogar 6000 Stellen geschaffen. Zudem den Meisterbonus von 3000 Euro durchgesetzt. Auch die Rückkehr zum neunklassigen Gymnasium und die Reform der Straßenausbaubeiträge, schreibt er den Freien Wählern auf die Fahne.
Arbeitszeitgesetz nicht mehr zeitgemäß
Das Arbeitszeitgesetz, das mit der Umsetzung einer EU-Richtlinie 1994 in Kraft trat, hält Bayerns Wirtschaftsminister nicht mehr zeitgemäß. Nach einem Acht-Stunden-Arbeitstag, so fordert er, müsse man noch drei Stunden in einem Nebenjob arbeiten dürfen, "um sich was dazuzuverdienen".
Energiepreise senken, Einkommensteuer senken - fordert der Landespolitiker von der Bundespolitik. Kehrt zurück nach Bayern, zur Windkraft - "die hammer mir scho' immer befürwortet". Hier im Freistaat wollten 200 Kommunen 500 Windräder bauen, sagt Aiwanger, 47 seien schon genehmigt. "Ich habe heute alle 18 Planungsregionen abgefragt" und sich nach Widerständen erkundigt. Oft seien es nur "Detailprobleme" wie Denkmal- oder Wasserschutz. In Sachen Wasserstoffwirtschaft - "die gesamte Welt macht sich auf den Weg" - sei Bayern in Deutschland sogar führend. Und dass es immer Schicksal der Freien Wähler gewesen sei, "dass wir immer ein paar Jahre voraus waren".
Fledermaus beendet den Auftritt
"Vom Bürger und von der Kommune aus zu denken beginnen", beansprucht er für seine Partei. "Der Input von den Bürgern unten ist unser Lebenselixier." Aufmerksam, konzentriert, gespannt hören ihm die 30 "Bürger von unten", ausschließlich geladene Gäste und Freie Wähler-Mitglieder aus Marktheidenfeld zu. Auch aus ihren Reihen hat es Kritik an Aiwangers Rede in Erding gegeben. Auf ihren Tischen brennen Kerzen. Aiwanger am Rednerpult steht inzwischen im Dunkeln. Die erste Fledermaus dreht ihre Runde über dem schmucken Hinterhof . Aiwanger nimmt dies als Zeichen dafür, seine Rede nach rund 20 Minuten zu beenden. "Gott beschütze Euch!"