zurück
Würzburg/München
Samstagsbrief: Minister Aiwanger, hören Sie auf, die Demokratie schlecht zu reden!
Die Worte des Vize-Ministerpräsidenten bei der Demo in Erding hallen weiter nach. Unser Autor findet Streit in der Sache gut, verwehrt sich aber gegen Angriffe auf die Demokratie.
Seine Worte hallen nach: der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger bei seiner umstrittenen Rede auf der Demo in Erding.
Foto: Matthias Balk, dpa | Seine Worte hallen nach: der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger bei seiner umstrittenen Rede auf der Demo in Erding.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 15.07.2024 14:06 Uhr

Sehr geehrter Herr Aiwanger,

eine Woche ist Ihre umstrittene Rede bei der Demo gegen das Heizungsgesetz der Bundesregierung im oberbayerischen Erding her. Viel ist darüber schon geschrieben worden. Muss es also nochmal sein? Ich habe lange überlegt. Ja, es muss sein.

Wenn wir diese Gesellschaft nicht noch weiter spalten, wenn wir unsere Demokratie gegen Feinde im Inneren wie im Äußeren verteidigen möchten, dann darf man Ihnen - als Vize-Ministerpräsident und bayerischer Wirtschaftsminister - die Worte von Erding nicht durchgehen lassen. Vor allem diesen einen Satz, in dem Sie sagen, es sei der Punkt erreicht, "wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie zurückholen muss".

Vergeblich auf ein Zurückrudern gewartet 

Ich war tatsächlich so naiv - und dachte, dass Sie nach einem Moment des Innehaltens oder nach Rücksprache mit ihnen wohlmeinenden Freundinnen und Freunden Anfang der Woche zumindest den Versuch unternehmen, zurückzurudern. Dass sie von Missverständnissen sprechen würden, die Ihnen leidtäten. Und dass Sie betonen, keinen Zweifel daran zu haben, dass dieses Land eine gefestigte Demokratie ist, in der - bei entsprechenden Mehrheiten - ein Robert Habeck genauso Wirtschaftsminister sein kann wie ein Hubert Aiwanger.

Aber nichts davon. Im Gegenteil: Sie haben Ihre unsäglichen Worte, die ich so oder ähnlich bisher vor allem von Rechtspopulisten und anderen Demokratiefeinden kannte, mehrfach noch rechtfertigt. Mir scheint, Ihr politischer Instinkt und der gesunde Menschenverstand, den Sie ja so gern in der politischen Debatte bemühen, haben Sie verlassen.

Oder handeln Sie mit Vorsatz? Ich mag es nicht glauben. 

Aiwanger erweist Freien Wähler an der Basis einen Bärendienst

Dass die Grünen im Landtag Ihre Entlassung fordern, können Sie als Wahlkampfgetöse abtun. Dass CSU-Ministerpräsident Markus Söder und seine Berater nun überlegen, ob es tatsächlich klug war, sich lange vor dem Wahlkampf schon auf Gedeih und Verderb auf eine Fortsetzung der Koalition mit Ihnen und den Freien Wähler festzulegen, mögen Sie belächeln. Und vermutlich ist es Ihnen auch wurscht, dass Sie Parteifreunden und -freundinnen wie den unterfränkischen Spitzenkandidatinnen für Landtag und Bezirkstag, Anna Stolz und Tamara Bischof, im beginnenden Wahlkampf einen Bärendienst erwiesen haben.

Sehr geehrter Herr Aiwanger, mir geht es um etwas anderes. Man muss kein Politikwissenschaftler sein, um zu wissen, dass die Aushöhlung der Demokratie dann beginnt, wenn ihre Vertreterinnen und Vertreter, ihre Institutionen, verächtlich gemacht werden. Ganz schlimm ist es, wenn dies nicht nur am Stammtisch passiert, sondern die Politikerinnen und Politiker, die diese Demokratie eigentlich repräsentieren, sich an solchen Schmähungen beteiligen. Das ist Demokratie-zersetzend.

Bayern und Deutschland sind starke und erfolgreiche Demokratien - da muss sich niemand etwas zurückholen. Hier leben zu dürfen, dafür bin ich sehr dankbar - auch ohne, dass mir jede politische Entscheidung gefällt, die in Würzburg, München oder Berlin getroffen wird. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass die ganz große Mehrheit der Politikerinnen und Politiker, egal ob sie im Gemeinderat ihres Heimatdorfs oder im Deutschen Bundestag tätig sind, sich besten Wissens und Gewissens für das Wohl ihrer Wählerinnen und Wähler einsetzen. 

Politischer Streit um Inhalte ist richtig

Aber ja, natürlich gibt es Streit darüber, welches der richtige Weg ist. Um beim sogenannten Heizungsgesetz der Ampel-Regierung zu bleiben: Sicher, die Art und Weise, wie es zustande und wochenlang kommuniziert worden ist, beschädigt Vertrauen. Aber dass die Politikerinnen und Politiker der Regierungsparteien mit ihren Entscheidungen nicht das Ziel verfolgen, dieses Land um seinen Wohlstand zu bringen, darüber kann es keinen ernsthaften Zweifel geben.

Was konkret zu tun ist, darüber stehen Demokraten im Wettbewerb, darüber streitet die Politik. Selbstverständlich dürfen Sie Habeck, Scholz und Co. da auch sehr heftig kritisieren. Am besten begleitet von Alternativvorschlägen, wie wir in Bayern noch schneller als anderswo in Deutschland die Klimaneutralität erreichen. So hat es die schwarz-orange Koalition uns Wählerinnen und Wählern schließlich versprochen. Was die konkreten Vorschläge auf dem Weg dahin betrifft, da bleibt, das werden Sie einräumen, nicht zuletzt bei den Freien Wählern noch Luft nach oben.

Sehr geehrter Herr Aiwanger, streiten Sie weiter, fetzen Sie sich mit Habeck und Co. über den richtigen Weg, da haben Sie mich auf Ihrer Seite. Aber hören Sie auf, die Demokraten und die Demokratie schlecht zu reden - und so zu demontieren. 

Mit freundlichen Grüßen

Michael Czygan, Redakteur

Persönliche Post: der "Samstagsbrief"

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Michael Czygan
Anna Stolz
Demokratie
Deutscher Bundestag
Freie Wähler
Hubert Aiwanger
Landtage der deutschen Bundesländer
Markus Söder
Robert Habeck
Samstagsbrief
Tamara Bischof
Wirtschaftsminister
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • P. S.
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln (Behauptungen ohne Beleg) auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • K. K.
    "Minister Aiwanger, hören Sie auf, die Demokratie schlecht zu reden!"

    Liebe MP, wenn er sie schlecht geredet hätte, warum sollte er sie dann wieder haben wollen?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • R. N.
    1. Das müssen Sie schon Herrn Aiwanger fragen.
    2. Herr Aiwanger legt "Demokratie" anscheinend "sehr kreativ" aus:
    Als stellvertretender Ministerpräsident von Bayern akzeptiert er anscheinend die parlamentarische Demokratie. Auf Bayern bezogen gibt es seiner Meinung nach anscheinend keine "schweigende Mehrheit", die seinen Kurs nicht teilt. Eine absolute Mehrheit hat Herr Aiwanger und seine Partei jedenfalls nicht erreicht.
    3. Diese "schweigende Mehrheit", für die er die - selbst-definierte - Demokratie zurück haben will, gibt es anscheinend nach Meinung von Herrn Aiwanger nur auf Bundesebene. Wo er und seine Partei keine Mehrheit hat.
    4. Damit argumentiert er vergleichbar wie Herr Trump und Anhänger: Wird er gewählt, ist das ein Zeichen funktionierender Demokratie. Wenn nicht, gibt es irgendwo eine "schweigende Mehrheit", die sich die Demokratie zurückholen muss.
    Für eine genaue Einschätzung fragen Sie doch am besten bei Herrn Aiwanger direkt nach.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Veraltete Benutzerkennung
    Auf eigenen Wunsch gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • R. N.
    Sie sagen es doch selbst: "würde".
    Bis jetzt laß man seit Jahren, dass die AFD laut Umfragen so und so viel Prozente hat.
    Merkwürdigerweise waren die bisherigen Wahlergebnisse dann doch anders.
    Aber selbst wenn: Als überzeugter Demokrat akzeptiere ich jedes Wahlergebniss einer demokratischen Wahl. Auch wenn ich es nicht immer gut heiße.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • R. N.
    Im Übrigen:
    Unter rein demokratischen Aspekten wäre es ja interessant, falls die AFD eine Mehrheit bekäme (ich lehne diese Partei und alles, wofür sie steht, aus tiefstem Herzen ab!)
    Aber dann müsste die AFD endlich mal Farbe bekennen und umsetzen, WOFÜR sie steht.
    Davon höre ich bis jetzt nichts. Ich höre immer nur, was die AFD NICHT will.
    In anderen Artikeln sagen AFD-Vertreter doch selbst, sie bräuchten kein Programm. Sie freuten sich über jegliche Vorlage der anderen, wogegen sie dann sein könnten.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Veraltete Benutzerkennung
    Auf eigenen Wunsch gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • L. W.
    @ anna.mpnews

    Die Abwärts für Deutschland bekennt schon immer wieder Farbe im Bundestag bei Abstimmungen.

    Nur leider wird das kaum publiziert:

    5,5 Mrd. für den sozialen Wohnungsbau, abgelehnt von der AfD

    300 € Einmalzahlung für Rentner abgelehnt von der AfD

    Höhere Freibeträge für Alleinerziehende abgelehnt von der AfD

    Bessere Arbeitsbedingungen in der Fleisch Industrie abgelehnt von der AfD

    Kinderbonus von 300 € je Kind abgelehnt von der AfD

    Grundrente ohne Gang aufs Amt für Rentner abgelehnt von der AfD

    Wegfall des Soli für 90% der Steuerzahler abgelehnt von der AfD

    Höhere Mütterrente für 10 Mo. Rentenbezieher abgelehnt

    Neue Chancen für Langzeitarbeitslose abgelehnt

    Entlastung von Geringverdiener in der Sozialversicherung abgelehnt

    usw usw.

    Die AfD bekennt in ihrem Abstimmungsverhalten eindeutig Politik für das (Groß-)Kapital machen zu wollen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Veraltete Benutzerkennung
    Auf eigenen Wunsch gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • L. W.
    @ anna.mpnews

    Also für PR der Höcke Partei sorgen Sie vermutlich mehr mit Ihrer Verharmlosung des Geschichtslehrers.

    Und natürlich kann man alle Entscheidungen einer Partei irgendwie begründen, ob diese rational waren oder nicht spielt da vermutlich keine Rolle.

    Aber die Tendenz der AfD ist schon eindeutig: Da kommt ganz sicher keine Politik für den Durchschnittsbürger, sondern nur Politik für großes Kapital, noch radikaler als unter Lindner und Merz.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Veraltete Benutzerkennung
    ich verstehe auch nicht warum gerade die Leute denen die Abwärts für Deutschland (AfD) ans Leder geht, gerade diese unfähigen Politikpfeifen wählen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Veraltete Benutzerkennung
    Auf eigenen Wunsch gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Veraltete Benutzerkennung
    Welche Verzweiflung denn? … ich nehme gerade , bei denen, die den Mund am weitesten aufreißen eine Sattheit wahr, die dazu führt, daß kaum noch eine Herausforderung angenommen wird.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Veraltete Benutzerkennung
    Auf eigenen Wunsch gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • H. S.
    @Arcus....egal, Hauptsache niemals mehr grün!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • L. W.
    @ Gedenke.....

    Sie sollten Ihren Nickname verinnerlichen und ab und zu an die braune Zeit in Deutschland denken!

    Hauptsache keine Faschisten wäre eine Einstellung die Ihrem "Memento" eher entspricht.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • B. S.
    Sozialer Wohnungsbau für wen ?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • K. K.
    Ich habe die MP gefragt. Wenn ich Herrn Aiwanger hätte fragen wollen, hätte ich dies auch so geschrieben. Sie müssen mir nicht vorschreiben an wen ich meine Fragen stelle.
    Danke.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • K. K.
    Der Kommentar wurde doppelt abgegeben.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • A. R.
    Danke für den Brief, sehr treffend!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten