An diesem Freitag wird der Weg der AfD und ihrer Sympathisanten ein langer sein. Die rechts-nationalistische Partei hat sich dort eingemietet, wo sie sich gesellschaftlich so gerne wähnt: in einem Bürgerhaus. Dieses ist nur einen Steinwurf vom Rathaus der 1800-Einwohner-Gemeinde Hafenlohr entfernt. In diesem Bürgerhaus wollen sich die Kandidaten der Kreistagsliste der Öffentlichkeit vorstellen.
Aber man kann es der AfD so schwer wie möglich machen, ins Dorf zu kommen. Deshalb haben die Hafenlohrer Bürger alle Parkplätze zugeparkt. Ein Busunternehmen blockiert eine ganze Straßenseite. "Wir hatten hier schon immer ein Parkplatzproblem", sagt eine Frau und schaut den Bürgermeister an. Beide lachen.
MdB Alexander Hoffmann: "Wir haben verstanden"
Die Kirchturmuhr schlägt halb sechs. In einer Stunde wird die AfD-Veranstaltung beginnen. Ums Bürgerhaus herum sind Grüppchen von Polizisten mit Strickmützen postiert. Knapp ein Dutzend Dienstwagen sind auszumachen.
100 Meter weiter haben sich rund 300 Demonstranten vor einem grünen Anhänger versammelt. Unter ihnen sind Bestatter, Handwerker, Lehrer, Verkäufer, Bürgermeister und Landratskandidaten. Auf der Ladefläche stehen zwei Schwarze, ein Orangefarbener, ein Roter und ein Grüner. Hinter ihnen hängt ein Transparent: "Main-Spessart & Hafenlohr sind bunt."
Ein Schwarzer, der Main-Spessarter CSU-Bundestagsabgeordnete Alexander Hoffmann, beginnt. "Wir wollen Präsenz zeigen, auch im Wahlkampf. Wir haben verstanden, dass die dunkelsten Stunden in Deutschland begonnen haben, als verschiedenste Bevölkerungsgruppen für Probleme in diesem Land verantwortlich gemacht wurden." Heute würden solche Dinge unverhohlen an einem Wahlstand in Würzburg wieder behauptet. Er spielt damit an auf Würzburger AfD-Politiker, die gefilmt wurden, als sie einem Muslim ins Gesicht sagten, ein "homogenes Volk" sei schön. "Das wollen wir nicht dulden." Harald Schneider von der SPD geht auch darauf ein: "Wir wollen nicht geschwiegen haben, wenn gegen Juden und Muslime gehetzt wird." Ein Rettungswagen fährt vorbei. Eine Frau ruft: "Holt se ab!" Die Menge lacht.
Größtenteils stiller Protest
Es war ein wenig zu viel Wahlkampf-Veranstaltung, wird eine junge Frau später sagen, als sie vor dem Bürgerhaus steht. Nach fünf Reden ist die Demonstration offiziell vorbei. Die meisten Demonstranten ziehen die 100 Meter weiter, um die AfD zu "begrüßen". Still. Nur ein paar versuchen, Sprechchöre anzustimmen: "Es gibt ... kein Recht ... auf Nazipropaganda." Doch die Hafenlohrer sind keine Sprechchorsinger. Währenddessen drücken sich ein paar AfD-Sympathisanten an der Wand vorbei durch die gläserne Eingangstür.
Die Hälfte der Stühle bei der AfD-Veranstaltung bleiben frei
Der eine Ordner an der Tür ist freundlich. Die Hälfte der 60 Stühle sind noch frei, die Interessierten sitzen verstreut, vier bleiben distanziert an der Wand am Eingang stehen. Vorne aufgespannt ein großes Transparent in Blau und Rot, im Raum verteilt einige Wahlplakate, am Vorhang eine Deutschlandfahne. Gedämpft dringt ein Sprechchor in den Saal. Eine Frau, Mitte 30, amüsiert sich ironisierend, tänzelt im Takt.
"Da siehst Du's wieder mal." Der Mann, der kurz vor knapp in den Saal stürmt, spricht laut, nicht nur zu seiner Frau. "Die Konservativen gehen arbeiten, zahlen Steuern, kümmern sich um ihre Familie – und die Grünen sind arbeitswillig und finden keine Stelle." Später wird sich der Mann um die 50 als Unternehmer vorstellen. Er hat einen Handwerksbetrieb in einem Nachbardorf.
Kurt Schreck begrüßt und spricht. Er war lange CSUler, dann SPDler. Heute ist der Erlenbacher Chef des AfD-Kreisverbands Miltenberg/Main-Spessart, der 80 Mitglieder zählt, und Spitzenkandidat auf der Kreistagsliste der AfD. Diese sei eine Rechtsstaatspartei, die ganz und gar auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, betont er. Dass ein Staatsrechtler es nicht für rechtens hält, dass Schrecks Kreisverband zwei Vorstandsmitglieder anonymisiert, erwähnt er nicht.
Rotzlöffel und Andeutungen
Er zitiert Horst Seehofer, der 2016 wegen der ungehinderten Einwanderung von einer „Herrschaft des Unrechts“ sprach; die Macher der satirischen Umtextung des Liedes "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" bezeichnet er als "Rotzlöffel"; über Susanne Hennig-Wellsow, die Frakionsvorsitzende der "antikapitalistischen Linken" aus Thüringen, sagt er: "Wer Blumensträuße vor die Füße schmeisst, ist auch in der Lage, andere Gegenstände entsprechend zu bewegen."
Er erzählt von Bodo Ramelow. Der war Ende der 1980er, noch vor dem Mauerfall, HBV-Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen, Schreck, damals auch noch Gewerkschafter, sein Revisor. "Es wusste jeder, dass Ramelow sich relativ häufig in der DDR, in Thüringen, aufhält", plaudert Schreck aus dem Nähkästchen, er habe also "eine gewisse politische Vergangenheit aufzuweisen".
Ein bisschen Kreispolitik schnell abgehakt
Kreistagsthemen hakt er stichpunktartig ab: Transparenz, mehr Bürgerbeteiligung, ein Krankenhaus in Marktheidenfeld erhalten, sorgsam mit Finanzen umgehen, mehr sozialen Wohnungsbau (nur auf dem zweiseitigen Info-Blatt steht "zuallererst für den schon länger hier lebenden Berechtigten"), erneuerbare Enegien "mit Maß und Ziel".
"Was ist mit dem rechten Flügel, den Identitären?", fragt ein Kerl, Mitte 20, aus der vierten Stuhlreihe nach. "Wir sind eine basisdemokratische Partei", antwortet Schreck. "Da gibt's auch manche Stimmen, wo andere den Kopf schütteln." Sitzungsleiter Rainer Eich ergänzt: "Wir nehmen niemanden auf, der von der NPD kommt."
45 Minuten sind vergangen. Draußen ist es dunkel geworden. Die Kälte ist an diesem Abend der beste Freund der AfD. Mit der Temperatur nimmt auch die Zahl der Demonstranten ab. Trotzdem stehen noch etwa 100 Leute vor der Tür des Bürgerhauses. Die Glastür zum Saal ist mit Plakaten verhängt.
Zehn der 16 Kandidaten sind da
Drinnen stellen sich die restlichen Kreistagskandidaten vor. Sechs der 16 fehlen, darunter Stefan Cartsburg, Listenkandidat zwei. Der habe nicht frei bekommen, "muss Knackis in Aschaffenburg bewachen". Wegzug verhindern, kommunale Kindergärten erhalten, formuliert Wolfgang Müller Ziele. Kinder sollten allerdings erst ab drei Jahren in den Kindergarten, jene von zwei berufstätigen Eltern bevorzugt werden, wenn's eng wird. Landarztpraxen fördern, kommunale Altersheime erhalten, Internet vorantreiben, Gewerbe ansiedeln. Zwölf Minuten ist er am Mikrofon.
Identitätspolitik und Clan-Kriminalität in Main-Spessart
Marina Münch drinnen braucht nur vier Minuten: Massentierhaltung beenden, mehr Naturheilmittel verordnen, auf Windkraft setzen, Ziele des Volksbegehrens "Rettet die Bienen" umsetzen. Irritiert wird sie später schauen, wenn Graupner verkündet, dass die AfD Klage einreichen werde, weil letzteres "eindeutig verfassungswidrig" zustandegekommen sei. Wie die Thüngenerin bekennt sich auch Martin Löhlein, Privatier aus Marktheidenfeld, dazu, früher Grün gewählt zu haben. Identitätspolitik sei ihm "sehr wichtig" und er wolle thematisieren, inwieweit "Clan-Kriminalität auch auf dem flachen Land" eine Rolle spiele. Alle weiteren Kandidaten entschuldigen sich mit "absolut nicht vorbereitet" und stehen nur kurz auf.
Die AfD hat längst dicht gemacht. Im Laufe des Abends sperren die Ordner die Tür zum Bürgerhaus zu. Zuvor habe man auf eine öffentliche Veranstaltung bestanden, sagt der Bürgermeister. Jetzt lasse man nicht mal mehr ihn rein. Schwab lacht. "Wir brauchen da gar nicht zu diskutieren. Ich hätte eh einen Schlüssel."
Richard Graupners Rundumschlag
Die nächste Dreiviertelstunde gehört Richard Graupner. Der ehemalige Republikaner-Stadtrat aus Schweinfurt und Landtagsabgeordnete schießt gegen die Linken, wettert gegen die CSU, die AfDler inzwischen "GSU" nennen - "Grüne-Söder-Union". Er beklagt Hetze und Ungleichbehandlung, dass AfD-Anträge abgelehnt werden, um später als eigene Vorschläge beschlossen zu werden, ja, dass "ideologische Verblendung" sogar dazu geführt habe, "dass man vor körperlichen Angriffen nicht sicher" sei: Eine grüne Landtagsabgeordnete habe ihm eine Glastür vor der Nase zugeschlagen. In der abschließenden Diskussion geht's dann noch um Kriegs- und Klimaflüchtlinge, das Sozialsystem und die "weltweit agierende Asylindustrie". Raus geht's nur durch den dunklen Hintereingang.
Die Glocken vom Kirchturm haben halb neun geschlagen. Der letzte Demonstrant ist längst gegangen. Es ist schweinekalt. Die Standheizung des letzten Streifenwagens vor dem Bürgerhaus läuft. Die Beamten hatten nur ein längeres Gespräch mit einem Betrunkenen. Ansonsten verbrachten die rund 40 Ordnungshüter einen ruhigen Abend in der Zuschauerrolle.
Denn Sie wissen nicht was sie tun!