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Main-Spessart
6 Gründe, mit dem Kreistag Main-Spessart mal in Klausur zu gehen
Die Corona-Pandemie bringt nicht nur die medizinische Versorgung an die Grenzen und das gesellschaftliche Leben durcheinander, sondern macht auch der Politik zu schaffen.
Der Kreistag Main-Spessart tagte in letzter Zeit – wie hier über den Masterplan für das Klinikum – in der Lohrer Stadthalle.
Foto: Wolfgang Dehm | Der Kreistag Main-Spessart tagte in letzter Zeit – wie hier über den Masterplan für das Klinikum – in der Lohrer Stadthalle.
Joachim Spies
Joachim Spies
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:16 Uhr

Willkommen 2022. Es ist das Jahr, in dem der Landkreis Main-Spessart sein 50-jähriges Bestehen feiern kann. Ab 1. Juli, dem Geburtstermin, soll das mit einigen Veranstaltungen begangen werden. Viele werden dabei sagen, wie gut und richtig es war, aus den vier Bereichen Marktheidenfeld, Gemünden, Karlstadt und Lohr diesen Landkreis zu schmieden. Und natürlich wird auch wieder der Blick auf die Geburtswehen, die Entscheidung über den Kreissitz sowie auf Benachteiligungen gerichtet, die es nach Meinung einiger bis heute gibt. Aber 2022 ist nicht nur ein Jubiläumsjahr, sondern auch eines, das allen viel abverlangen wird.

Zwei Jahre unter Pandemie-Bedingungen bedeuten für jeden Einzelnen gravierende Einschränkungen und Veränderungen. Gab es eine Zeit vor der Maske, ohne Tests, ohne Sorge um andere und die eigene Gesundheit? Für manchen Selbstständigen hat es die Lebensplanung über den Haufen geworfen, in vielen Unternehmen war eine Neudefinition der Ziele erforderlich, der Betrieb in vielen Behörden lief ganz anders als geplant und im Gesundheitsbereich mussten und müssen weiterhin alle über ihre Grenzen gehen. Was die Pandemie für die Familien, die Gesellschaft, für alte Menschen heißt, braucht hier nicht aufgelistet werden.

Zuweilen etwas aus dem Blickfeld gerät, was zwei Jahre Pandemie für das kommunalpolitische Leben bedeuten. Natürlich geht etwas verloren, wenn der Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern kaum mehr direkt, sondern überwiegend digital und über Verlautbarungen stattfindet, wenn es wenig Bürgerversammlungen, Gremienarbeit oder Ideenwerkstätten gibt. Und für die Ratsgremien gilt: je größer, umso schwieriger das Zusammenfinden. Sechs Gründe, weshalb eine Klausur für den Kreistag Main-Spessart sinnvoll wäre, auch wenn deren Durchführung momentan illusorisch ist:

1. Die Hälfte des Kreistags wurde bei der Wahl 2020 ausgetauscht

Als der Kreistag nach der Wahl seine Arbeit im Mai 2020 aufnahm, war die Hälfte der Gesichter im Gremium neu. Viele altgedienten Kreisrätinnen und Kreisräte hatten aufgehört, andere schafften die Wiederwahl nicht. Dazu kamen neue Listen wie beispielsweise AfD oder UGM, die auch mal andere Wege gehen – wie etwa die UGM mit einer parteiübergreifenden Veranstaltung zu einem Kreisthema. Zum Kennenlernen unter normalen Bedingungen blieb für die Kommunalpolitiker nicht viel Zeit, denn bald drückte Corona der Kreistagsarbeit den Stempel auf. Ein Manko, um das auch Landrätin Sabine Sitter weiß. "Die Pandemie hat Kommunikation verhindert, es war kaum Beziehungsarbeit im Kreistag möglich", sagte sie vor einigen Monaten im Interview.

2. Das Machbare in Sitzungen ist noch nicht ausgelotet 

Jedes Gremium muss sich einspielen, muss seine Leistungsfähigkeit, also das Machbare ausloten. Das braucht seine Zeit, in der Pandemie weit mehr als sonst. Manche Sitzung ist einfach zu vollgepackt, zumal bei Themen mit absehbar großem Diskussionsbedarf. Wenn von 54 Kreisräten nach langer Sitzung nur noch 29 im Saal sind, also Beschlussunfähigkeit eingetreten ist, dann findet dies nicht nur Kritik bei Gremiumsmitgliedern und Leserbriefschreibern, sondern zeigt auch zwei Dinge: Dass Kreisrätinnen und Kreisräte wichtige Personen des öffentlichen Lebens mit vielen Ämtern sind, deren Terminkalender voll ist. Und dass die Kreistagsarbeit auch in der persönlichen Planung zuweilen eher nebenher läuft. So eine Sitzungsflucht schadet aber dem Ansehen des Gremiums und ließe sich vermeiden.

3. Noch fehlt ein Gespür für die Landkreisverwaltung 

Für Abgeordnete und Bürgermeister sowie langgediente Kreisräte, die Erfahrung mit Verwaltungsabläufen haben, liegen die Spielräume einer Landkreisverwaltung auf der Hand. Für andere wäre ein tieferer Einblick wertvoll, ganz abgesehen davon, dass es auf wichtigen Positionen in jüngerer Vergangenheit Veränderungen gab. In Pandemiezeiten ist ohnehin vieles anders. Einiges, was vorher leistbar war, geht eben nicht mehr oder benötigt deutlich mehr Zeit. Ein kleines Beispiel aus der Diskussion um den Schulstandort Marktheidenfeld: Dass es keine aktuelle Bestandsaufnahme der Schulgebäude im Landkreis gibt, verwunderte einzelne Kreisräte. Hier sei man leider nicht so weit, wie man es selbst gerne wäre, antwortete Bauamtsleiter Markus Krämer. 

6 Gründe, mit dem Kreistag Main-Spessart mal in Klausur zu gehen

4. Ab und zu braucht es einen Kassensturz

Jede Familie setzt sich ab und zu zusammen und redet über anstehende große Investitionen: den Hausumbau, das neue Auto, die Urlaubsreise, die Kosten der Studentenbude oder die Ausbildung der Kinder. Je weniger Entscheidungsdruck, umso ruhiger und besser die Gespräche. Dass auch für die Kreistagsfamilie so eine Runde angesagt wäre, zeigt nicht nur der Wunsch von Anna Stolz nach einer Sondersitzung zur Finanzplanung und Prioritätensetzung. Auch andere haben im Kreistag schon nach einem besseren Überblick gerufen. Bertram Werrlein: "Für eine Analyse müssen wir uns Zeit nehmen und eine Agenda festlegen." Die Verwaltung sieht das ähnlich. Der geschäftsleitende Beamte Otto Streitenberger appelliert, strategisch vorzugehen: "Der Landkreis muss sich entwickeln können."

5. Ein tragfähiges Leitbild benötigt eine breite Basis

Die Grünen haben es beantragt, der Ausschuss für Landkreisentwicklung fand es gut: Eine Steuerungsgruppe soll einen Leitbildprozess für Main-Spessart anstoßen. Auch die Öffentlichkeit soll, beispielsweise über Online-Foren, eingebunden werden. Angesichts der Pandemielage erscheint es fraglich, ob ein Entwurf für ein "Leitbild 2030", wie gewünscht, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 vorliegt. Dies aber noch im Jubiläumsjahr des Landkreises zu schaffen, wäre freilich eine feine Sache, und optimal wäre es, über den Entwurf in einer gründlichen Aussprache breiten Konsens zu erzielen.

6. Ein aktuelles Stimmungsbild zu erhalten, schadet nie

Zitat aus dem Grußwort von Landrätin Sabine Sitter zum Jahresausklang: "Gemeinsam und miteinander, das ist meine Maxime für mein politisches Handeln." Der Kontakt mit der Bevölkerung ist coronabedingt in den vergangenen zwei Jahren begrenzt gewesen. Für die Landkreisspitze und alle politisch Aktiven. Eine Klausur böte hier die Möglichkeit einer Bestandsaufnahme: Wo sehen die Menschen den Landkreis im Jubiläumsjahr, wo drückt sie der Schuh, wo sehen sie Handlungsbedarf – so ein Stimmungsbild von den Kreisrätinnen und Kreisräten aus allen Ecken des Landkreises mit ihren vielen unterschiedlichen Einblicken schärft die Sinne jedes Mitglieds im Gremium für die weitere Arbeit und das Setzen von Schwerpunkten. 

 
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  • H. M.
    mit den Schulen gebe ich Ihnen Recht, ob Modernisierung oder Neubau sinnvoller ist sei mal dahin gestellt. Was an einer klaren Mehrheitsentscheidung pro Kreisklinikum allerdings "peinlich" sein soll erschließt sich wohl nur MAR.
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    Es wurde vom Kreisrat eine Nachnutzung für das Marktheidenfelder Krankenhaus beschlossen, und dann nichts gemacht. Das ist bestimmt mit "peinlich" gemeint.
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    "Benachteiligungen ..., die es nach Meinung einiger bis heute gibt"
    Das ist sehr zurückhaltend ausgedrückt, wenn man die mehr als peinliche Geschichte der Schließung des Marktheidenfelder Krankenhauses betrachtet. Oder den überfälligen Neubau von Gymnasium, Realschule und Turnhalle in MAR, wo bestimmten Kreisräten plötzlich die Kosten wichtig sind, nachdem diese für die Schulen in anderen Regionen noch unwichtig waren. Oder das von der UGM erarbeitete ÖPNV-Konzept zur Anbindung Marktheidenfelds an Aschaffenburg, das unbearbeitet in der Schublade "hinterste Priorität" der Landrätin schlummert. Da gäbe es noch so mache Beispiele mehr. Zeit zum Umsteuern!
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