
Das Bild von der brennenden Reußenburg bei Höllrich ist dramatisch. Es soll zeigen, wie die Burg, auch Schloss Reußenberg genannt, vor 500 Jahren zerstört wurde. Am 26. Juni 1523 soll der Schwäbische Bund im sogenannten Fränkischen Krieg ein großes Heer mit 10.000 Fußsoldaten und 1000 Reitern ausgesandt haben, um 23 "Raubnester" zu zerstören. Angeblich mit dabei als Kriegsberichterstatter: Holzschnitzer Hans Wandereisen, von dem das Bild der belagerten, brennenden Reußenburg stammt – beziehungsweise angeblich stammt. Im Wikipedia-Eintrag zur Reußenburg steht, die Truppen hätten die Burg gesprengt, von der aus sich die Edelleute von Thüngen wenig edel als Raubritter betätigt haben. Aber war es tatsächlich so dramatisch?
Die Reußenburg bei Höllrich ist schon lange nur noch eine Ruine. Sie liegt prominent auf einer bewaldeten Basaltkuppe zwei Kilometer östlich des Ortes im Truppenübungsplatz Hammelburg. Der Zugang für die Öffentlichkeit ist deshalb gesperrt, ein Besuch ist nur über die Kommandantur des Lagers Hammelburg möglich. Der stellvertretende Kommandant, Hauptmann Jörg Göbel, muss auf dem Weg durchs Lager zur Burg mehrmals eine Schranke aufschließen, an der ein Schild mit der Aufschrift "Es wird scharf geschossen!" hängt. Da die zugewucherte Ruine, ein eingetragenes Denkmal, zudem einsturzgefährdet ist, ist sie seit Kurzem jedoch abgesperrt. Rein kommt man gar nicht.
Die Freiherrn von Thüngen verpflichteten sich, Würzburger und Henneberger Truppen aufzunehmen
Auffällig ist der tiefe Burggraben, der von einer stattlichen Ringmauer umgeben ist. Die Lage der Burg mitsamt ihrem Graben lässt erahnen, dass eine Belagerung oder gar Eroberung kein Kinderspiel war. Mindestens zweimal soll die Burg der widerspenstigen Thüngen erfolglos belagert worden sein.

Die Reußenburg war bei ihrem Bau wohl als strategische Befestigung gegen das Kloster Fulda gedacht. Der Würzburger Bischof Wolfram von Grumbach erlaubte 1331, befürwortet von den Hennebergern, den Brüdern Andreas, Lutz und Albrecht von Thüngen den Bau. Eigentlich hatten Würzburg und die Grafen von Henneberg 1240 ein Burgenbauverbot an dieser Stelle vereinbart, das Areal war zwischen Würzburg und Henneberg aufgeteilt worden. Ihren Berganteil scheinen die Henneberger schon frühzeitig den Edlen von Thüngen als Lehen gegeben zu haben. 1333 wurde die Burg erbaut. Die Thüngen verpflichteten sich sowohl Würzburg als auch Henneberg gegenüber, deren Truppen unentgeltlich in ihrer Burg aufzunehmen.
Die Reußenburg wurde zweimal von Würzburg belagert
Das gute Verhältnis zwischen dem Bischof von Würzburg und den Thüngen dauerte aber offenbar nur ein paar Jahrzehnte. In einer seiner Fehden verlangte der Würzburger Bischof Gerhard von Schwarzburg die Hilfe des Dietz von Thüngen. Der aber weigerte sich, die Truppen des Bischofs bei sich aufzunehmen, vermutlich auch weil er zuvor vergeblich um Schutz nachgesucht hatte, woraufhin der Bischof mit seinen Truppen 1386 die Reußenburg belagerte. Allerdings vergeblich. Über den Thüngen wurde die Acht verhängt, zumal Dietz von Thüngen im Stile eines Raubritters mehrere Raubzüge und Überfälle begangen haben soll. Dietz wurde von Johann von Eisenburg und Ulrich von Hanau wegen Landfriedensbruchs verklagt.

Es ging hin und her, gegen Dietz wurde sogar die Todesstrafe verhängt, die Thüngen weigerten sich jedoch, die nahe Burg Sodenberg zur Beilegung des Streits an Würzburg abzutreten. 1415 soll Dietz Retzbach überfallen und Geiseln genommen haben. Zwischendurch vertrug man sich wieder, 1432 wurden die Thüngen von der Pflicht entbunden, die Reußenburg für den Bischof und seine Truppen stets offenzuhalten.
Aber 1434 flammte der Konflikt zwischen Thüngen und Würzburg schon wieder auf. 1438 belagerte der nächste Würzburger Bischof, Johann II. von Brunn, erfolglos die Reußenburg, diesmal mit 100 Reitern und 3000 Mann Fußvolk, ausgestattet mit Armbrüsten und Belagerungsgerät. Unter den Belagerern soll sich jedoch die Pest ausgebreitet haben. 1439 klagte der Bischof über die Thüngen, dass sie Priester und Mönche fingen, ausraubten und nackt ins Gefängnis warfen. Sie hätten Lösegeld erpresst und sogar Bettelmönche ermordet.
Die Thüngen auf der Reußenburg betätigten sich als Raubritter
So trieben die Thüngen offenbar weiter ihr Unwesen von der Reußenburg aus. In Gemünden sollen sie nahe der Saalemündung Anfang des 16. Jahrhunderts zwei Schiffe des Bamberger Bischofs mit wertvoller Fracht auf dem Weg nach Mainz gekapert haben – mit dabei offenbar Vetter Götz von Berlichingen, dessen Mutter eine Thüngen war und der in seinen Memoiren den Überfall auf die Schiffe erwähnt.
Weil damals vielerorts Raubritter das deutsche Reich unsicher machten, hatten sich schon 1488 fränkische und schwäbische Reichsstände unter der Führung Nürnbergs zum sogenannten Schwäbischen Bund zusammengeschlossen. Durch Zusammenarbeit sollten die Angriffe auf Händler und andere Reisende vermindert werden.
Der Schwäbische Bund zerstörte mehrere Burgen – auch die Reußenburg?
Ein Raubritter, der es damals übel trieb, war Hans Thomas von Absberg, der Kaufleute aus Reichsstädten in Franken und Schwaben entführte und für ihre Freilassung ein hohes Lösegeld verlangte. Einer derjenigen, die ihn dabei unterstützten, war Hans Jörg von Thüngen. So kam es, dass der Schwäbische Bund 1523 sein großes Heer mit angeblich 100 Kanonen und 900 Zentner Schwarzpulver im Schlepptau losschickte. Es zerstörte tatsächlich mehrere Burgen. Aber was geschah mit der Reußenburg?

Richtig zerstört wurde sie offenbar nicht. In den meisten Werken, in denen die Reußenburg erwähnt ist, steht entweder zu lesen, dass dem Gemäuer von Seiten des Schwäbischen Bundes 1523 gar nichts passiert oder es nur teilweise zerstört und schnell wieder repariert worden sei. Ganz offenbar wurde jedoch immerhin ein Teil zerstört.
Der Fürstbischof von Würzburg war nun ein Thüngen
Konrad II. von Thüngen, seit 1519 Fürstbischof von Würzburg, hatte sich in Bittschreiben an den Bund für seine bedrängten Verwandten eingesetzt. Hans Jörgs Vettern Eustach, Caspar und Jörg von Thüngen, Miteigentümer der gemeinsamen sogenannten Ganerbenburg, schworen im Angesicht der anrückenden Truppen im Juni 1523 dem Bund die Treue und versprachen, künftig gegen dessen Stände keine Gewalt auszuüben.
Sie boten an, den Truppen die Burg zu öffnen und dass diese den Hans Jörg zugehörigen Teil zerreißen, verbrennen oder damit nach Belieben verfahren können. So kam es offenbar, denn Hans Jörg wiederum verpflichtete sich 1527, dass er seinen 1523 zerstörten "Tail und Sitz zum Reyssenberg" nicht rächen werde. Zur Reußenburg war wohl nur eine Abordnung des großen Heeres geschickt worden.
Offenbar war das vor 500 Jahren entstandene Wandereisen-Bild nur Propaganda
War das Wandereisen-Bild also stark übertrieben oder gar Fake News, wie es heute heißt? Es scheint so. Es stellt sich auch die Frage, ob der Ersteller überhaupt dabei war, zumal die Burg deutlich anders aussieht als die Ruine, beispielsweise fehlt der tiefe Burggraben, wobei die schematische Darstellung natürlich täuschen kann. Ist der Holzschnitzer stattdessen mit dem Hauptheer weitergereist, das gerade durch das Bamberger Land zog?
Die Urheberschaft Wandereisens ist überhaupt mehr als fraglich, offenbar stammten die Propaganda-Darstellungen der 23 zerstörten Burgen vielmehr vom Nürnberger Holzschnitzer Wolfgang Resch, dessen Witwe Wandereisen nach dessen Tod ehelichte. Fest steht jedenfalls, dass die Burg so oder so nicht mehr lange stand, denn 1525 kam sie, wie viele andere, im Bauernkrieg unter die Räder. Sie wurde nicht wieder aufgebaut. Irgendwie dort wohnen konnte man offenbar noch eine Zeitlang, denn der letzte Bewohner der Reußenburg, Philipp III., soll erst 1567 in das von ihm zuvor neu erbaute Schloss Greifenstein in Bonnland gezogen sein.
Raubritter Hans Thomas von Absberg übrigens, um dessentwillen der Schwäbische Bund vor 500 Jahren seine Streitmacht losgeschickt hatte, führte sein Unwesen auch nach 1523 fort. Er konnte sich immer wieder in böhmische Gebiete zurückziehen, bis er 1531 von einem Mitstreiter ermordet wurde.
Die Ruine ist auf absehbare Zeit nicht zugänglich
In einem Band zum Fremdenverkehr hieß es 1892: "In dem Hügelland zwischen Wern und Saale liegen reizende Dörfer, schöne Waldungen und forellenreiche Bäche. Eine Höhe, auf der die mächtige Schloßruine Reußenberg thront, läßt all dies schöne Land überschauen." Der Rundblick vom Aussichtsturm entlohne für den dreistündigen Weg ab Gemünden. Der Turm der Ruine ist allerdings in absehbarer Zeit nicht zugänglich, die Holztreppe hinauf zur Spitze laut Hauptmann Göbel schon lange morsch.
Verwendete Literatur u.a. Joseph Baader "Verhandlungen über Thomas von Absberg und seine Fehden gegen den Schwäbischen Bund 1519 bis 1530", Max Riedmann "Heimat", Albin Schütz "600 Jahre Reußenburg", Julius Seufert "Der Brand auf Reußenburg", Bodo Wüllerich "Die Reußenburg im Truppenübungsplatz Hammelburg", Wikipedia ("Reußenburg", "Wandereisen-Holzschnitte von 1523").
Aber auf den Turm kommt man tatsächlich nicht mehr hinauf, weil der Zugang zur Burg mit einem Tor gesichert ist.