Angela Merkel tritt ans Rednerpult. Zehntausende Zuhörer warten. Plötzlich taucht am Himmel ein dunkler Punkt auf, nähert sich rasend schnell. Identifizierbar ist er nicht. Keiner weiß, was die Drohne will, wer sie steuert, ob sie als Waffe eingesetzt wird. Ein Klick. Zwei schwarze Quadrocopter schießen parallel nach oben. Sekundenschnell erreichen sie die Höhe des unbekannten Flugobjekts, kreuzen seine Bahn und fangen es mit einem aufgespannten Netz ein. Kein Absturz, keiner kommt zu Schaden. Mission erfüllt. So soll es am Ende des Projektes Midras der Universität Würzburg möglich sein. Noch allerdings fliegt der Abfang-Copter nur ohne Netz und ohne Partner. Und nur über dem Rasenplatz am Hubland.
„Jeder kann heute Drohnen kaufen und sie mit guten oder schlechten Absichten nutzen. Im schlimmsten Fall, kann man damit Bomben transportieren“, sagt Sergio Montenegro, Professor am Lehrstuhl für Informationstechnik für Luft und Raumfahrt und Leiter des Projektes. Um Menschenmengen etwa in Sportstadien, Politiker bei öffentlichen Reden oder auch Flughäfen vor solchen Angriffen zu schützen, entstand das Projekt Midras.
In der Simulation funktioniert die Idee
Midras steht für Mikro-Drohnen-Abwehr-System und ist eines von insgesamt sieben Projekten, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung zur Verbesserung der zivilen Sicherheit unterstützt. Während sich andere Partner mit der Erkennung und Klassifizierung feindlicher Copter beschäftigen, mit Radar und optischem Tracking, „machen wir das Fangen“, sagt Montenegro. Allerdings ist das nicht einfach. Noch nie sind zwei Quadrocopter verbunden durch ein Netz aufgestiegen. Noch nie haben sie in der Luft eine Drohne gefangen. Und: „Wir wissen nicht, wie sie reagieren werden, wenn der Schubs plötzlich kommt“, sagt Montenegro. Aber am Computer, in der Simulation, funktioniert es.
In der Praxis steckt Midras noch in der Anfangsphase. Und da heißt es berechnen, simulieren und vor allem unzählige Stunden in der Flughalle des Uni-Campus mit den Drohnen testen.
Michael Strohmeier und Julian Rothe, die Midras am Informatik-Lehrstuhl in Würzburg betreuen, stehen in der gut zehn Meter hohen Halle. Dicke grüne Matten am Boden und an den Wänden erinnern an Schulsportanlagen. Auf dem Schreibtisch liegen Kabel, Mini-Schraubenzieher und Batterien neben dem Laptop, an dem Strohmeier den „Preflight-Check“ durchführt. Dazu setzt er einen kleinen Copter vorsichtig auf den Tisch, prüft den Akkustand und die Verbindung mit dem Computer, kontrolliert winzige Drähte und Elektroden. Dann nickt er Julian Rothe zu. Sein Kollege schiebt den Steuerknüppel nach vorne, die Propeller surren und die Mikro-Drohne schwebt nach oben.
Entscheidend ist die Agilität der Abfang-Drohnen
Sechs Kameras sind rund um das Mattenfeld angebracht, sie zeichnen mittels optischer Marker jede Bewegung des Copters auf. Die Daten werten Strohmeier und Rothe später aus, in akribischer Detailarbeit. Denn entscheidend für den Erfolg des Projektes ist es, genau zu wissen, wie sich die Abfangdrohnen in der Luft verhalten. Dabei geht es „nicht nur um Geschwindigkeit, sondern vor allem um Agilität“, sagt Montenegro.
„Ein Quadrocopter ist ein hochinstabiles System“, sagt Julian Rothe. „Man kann sich das vorstellen, wie einen Stab, den man auf der Fingerspitze balanciert.“ Wird nun an dieses wackelige System ein zweites per Netz gekoppelt, wird es enorm schwierig, die Flugbahn und Bewegungen stabil zu halten. Wenn dann noch die feindliche Drohne in das Netz einschlägt, kann es leicht zum Absturz oder zum Zusammenstoß der beiden Abfangjäger kommen.
Verschrotten gehört dazu
„Wir werden viele von unseren Experimentier-Quadrocoptern verschrotten“, sagt Montenegro lachend. Damit das nicht zu teuer wird, haben er und sein Team die kleinen Übungs-Copter entworfen und mit einem 3-D-Drucker selbst hergestellt. Schicht für Schicht wird dabei der Kunststoff in Form gebracht, einen halben Arbeitstag dauert das bei einer Mikro-Drohne. Gut 100 Euro kostet sie. Die große Version, die am Ende des Projektes als Abfangjäger aufsteigen soll, ist hingegen etwa 1500 Euro wert und wirkt wie ein Raumschiff aus einem Sience-Fiction-Film.
Vier Propeller sind an Kunststoffarmen befestigt, in der Mitte sitzt das „Gehirn“ unter einer ovalen Kuppel. Der Controller der Drohne ähnle dem in Flugzeugen, sagt Strohmeier und setzt das knapp Wasserkasten-große Fluggerät vorsichtig auf den Rasenplatz. Nur draußen wird mit dem großen Quadrocopter geflogen, in der Halle ist zu wenig Raum. Mit wenigen Handgriffen kalibriert Strohmeier die Drohne. „Vorsicht, nicht in die Propeller kommen, sonst sind die Finger ab.“ Der Copter ruckt, steigt schwankend auf und dreht drei langsame Runden um den Platz. Noch steuert Strohmeier den Flug von Hand. Später sollen die Drohnen mit einem von ihm entwickelten Autopiloten fliegen und somit schneller als jede menschliche Reaktion sein.
Bis zum Frühjahr 2020 läuft das Projekt
Im Ernstfall, wenn etwa tatsächlich eine feindliche Drohne bei einem Politikerauftritt am Himmel auftaucht und nicht anders gestoppt werden kann, heißt das: Menschen entscheiden, jetzt sollen die Abfang-Copter aufsteigen – das Fangen läuft dann computergesteuert.
Das ist das Ziel, daran wird bis zum Frühjahr 2020 in Würzburg gearbeitet. Entscheidend ist, ob die Abfangjäger schnell genug in der Luft sein können. „Die feindlichen Drohnen kommen vielleicht mit mehr als 100 Stundenkilometern angeflogen“, sagt Julian Rothe. „Damit wir eine Chance haben, muss der Copter frühzeitig erkannt werden, mindestens in 500 Metern Entfernung.“ Für diese Detektion und Klassifizierung sind Projektpartner wie das Heinrich-Hertz-Institut (HHI) in Berlin, die Elektroniksystem- und Logistik-GmbH Fürstenfeldbruck oder die Technische Hochschule Brandenburg zuständig. „Wir wollen dann auf zwei- bis dreihundert Meter die Drohne einfangen – und das innerhalb weniger Sekunden“, sagt Strohmeier. Wie viele Sekunden genau gemeint sind, darauf wollen sich die Wissenschaftler noch nicht festlegen lassen.
Erster Flug mit Netz noch in diesem Jahr
Der nächste Schritt soll erst einmal ein Parallelflug sein. „Wir steigen dabei mit zwei Quadrocoptern gleichzeitig in die Luft und arbeiten daran, dass der Abstand zwischen ihnen stimmt“, sagt Strohmeier. Gelingt das, werden die beiden Drohnen physikalisch verbunden, vermutlich zunächst mit einem Seil. Dann heißt es wieder testen, simulieren, Daten auswerten, Geschwindigkeiten und Positionen berechnen. Vollzeitarbeit, sowohl für Strohmeier als auch für Rothe. Dass die erfolgreich sein wird, steht für beide fest: „Den ersten Copterflug mit Netz planen wir noch in diesem Jahr“, sagt Rothe.
Tag für Tag mit Drohnen zu fliegen und an den Fluggeräten herumzubasteln, das mag für Technikbegeisterte nach einem lässigen Traumjob klingen, „Das Ganze soll aber nicht in einem Schubfach der Uni enden. Es sollen wirklich Produkte entstehen, die ein Chance auf dem Markt haben“, sagt Montenegro. Ein Beispiel: In einem Gefängnis in Sachsen-Anhalt wurden nachts Gegenstände mit Drohnen über die Mauern geschmuggelt; die Häftlinge fanden sie dann am nächsten Morgen beim Kehren im Hof. Das Ministerium für Justiz und Gleichstellung Sachsen-Anhalt hat folglich großes Interesse an Midras. Gleichzeitig ist die Vereinigung Cockpit Partner des Projektes. Denn immer wieder kam es in den vergangenen Monaten zu gefährlichen Beinahe-Kollisionen zwischen Drohen und Flugzeugen bei Starts oder Landeanflügen. „Ein einzelnes Abwehrsystem reicht hier natürlich nicht aus“, sagt Strohmeier.
Um mit den Abfangjägern aus dem 3-D-Drucker wirklich einen Flughafen oder ein volles Stadion schützen zu können, sei es noch ein weiter Weg. Ob der zu schaffen ist? „Es muss klappen“, sagt Montenegro. Gut zwei Jahre bleiben dafür noch.
Regeln für Drohnen und das Projekt Midras
Seit Oktober 2017 gelten in Deutschland verschärfte Regeln für den Drohnenflug: Große Geräte müssen gekennzeichnet sein, manche brauchen eine Aufstiegserlaubnis. Ist die Drohne schwerer als zwei Kilogramm, braucht der Pilot seit 1. Oktober zudem einen Kenntnisnachweis. Maximale Flughöhe sind generell 100 Meter. Über „sensiblen Zonen“ sind Drohnenflüge ganz verboten – zum Beispiel über Flughäfen.
Trotzdem haben Drohnen auch im vergangenen Jahr immer wieder Flugzeuge an den größten bayerischen Flughäfen behindert. Allein sieben Drohnen-Vorfälle zählte die Deutsche Flugsicherung in München, in Nürnberg waren es zwei. Bundesweit meldeten Piloten 88 Drohnen-Sichtungen.
Das Projekt Midras (Mikro-Drohnen-Abwehr-System) will bestehende Abwehrsysteme mit neuen Techniken zur Erkennung und Abwehr von Mikro-Drohnen erweitern. Die Abwehrmaßnahmen umfassen dabei die Störung und Beeinflussung der Funksteuerung und GPS-Signale sowie den Einsatz von Abfang-Drohnen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert, es läuft insgesamt drei Jahre lang. dpa/sp