
Sie war nie eine Bohnenstange, nie ein Leichtgewicht. Überhaupt sei das Wort "leicht" in ihrem Leben kaum vorgekommen, sagt Susanne Lindner über ihre Schwester: "Sie hat viel schlucken müssen." Lindner, ihre Tochter Julia und die ganze Familie aus Schwarzach im Landkreis Kitzingen machen sich große Sorgen um die alleinstehende, seit langem geschiedene Elisabeth. Trotz zahlreicher gesundheitlicher Probleme fand sich für die knapp 160 Kilo schwere 68-Jährige zunächst nirgends ein Heimplatz. Und das, obwohl die Entlassung aus der Übergangspflege unmittelbar bevorstand.
Susanne Lindner, die selbst Pflegefachkraft ist, sagt: "In ihre Wohnung kann meine Schwester nicht zurück, dazu ist sie nach dem Krankenhaus-Aufenthalt zu schwach." Verzweifelt fragte sie: Was nun?
Sie habe allen möglichen Anlaufstellen kontaktiert – von der Heimaufsicht über die Pflegekasse bis zum Bürgermeister. Alle hätten sich hilfsbereit gezeigt. Doch so richtig zuständig sei niemand gewesen, sagt Lindner. "Das ist für mich das Allerschlimmste!"
Absagen von den Heimen: Kein Bett für Übergewichtige, kein Platz frei
Die 57-Jährige und ihre Tochter telefonierten sich eine Woche lang die Finger wund: "Wir haben über 60 Heime in der Umgebung angerufen, viele mehrfach." Immer hätten sie Absagen bekommen: "Wenn sie hören, dass es sich um eine schwergewichtige Patientin handelt, dann winken die Heimleiter ab." Entweder heiße es, man habe keine Betten, die auf Übergewicht ausgelegt sind, oder es fehle nötiges Gerät. Oder man hat schlicht kein Personal.
Gerne würde die Pflegefachkraft ihre Schwester, wie in den vergangenen Jahren schon, weiter im Alltag unterstützen. "Aber mittlerweile kann sie sich nicht mehr selbst versorgen. Man bräuchte jetzt Pflegepersonal für sie, allein schafft man das als Verwandte nicht mehr."
Susanne Lindner arbeitet in einem Intensivpflege-Team, das in Dettelbach eine Wohngemeinschaft von Patienten versorgt. Ihre Tochter Julia studiert Lehramt und ist auch nicht rund um die Uhr verfügbar. Dem Rest der Großfamilie gehe es ähnlich. Alle helfen gern, können die Vollversorgung einer Pflegepatientin aber nicht leisten. Bislang habe ihre Schwester Pflegestufe 2, nach den Vorfällen jetzt werde das sicher hochgestuft, sagt Lindner.

Ihre Schwester habe sich zeitlebens für andere Menschen eingesetzt. "Sie hat Jahrzehnte in die Rente einbezahlt, hat selbst andere Menschen gepflegt. Und jetzt wurde sie so unwürdig behandelt. Sie wird diskriminiert, nur weil sie dick ist", sagt Susanne Lindner.
Trotz schlimmer persönlicher Erlebnisse und einer Lymph-Erkrankung habe ihre Schwester immer gern gearbeitet: als Hauswirtschafterin in einer Kitzinger Molkerei, in den Leonischen Drahtwerken, schließlich als Pflegehelferin im Dettelbacher Wohnstift. Erst kurz vor dem regulären Rentenalter habe Elisabeth Erwerbsminderungsrente beantragt. Kaputte Knie, Asthma, chronisches Lungenleiden und eine Herzschwäche beeinträchtigten sie zu stark.
Bis Anfang Februar sei alles gut gewesen. Ihre Schwester habe zwar nicht mehr Auto fahren und nicht mehr selbst einkaufen können. "Aber sonst hat sie sich weitgehend selbst versorgt", berichtet Susanne Linder. Dann habe die 68-Jährige plötzlich Atemnot bekommen. Auf der Intensivstation der Klinik Kitzinger Land seien 15 Liter Wasser aus ihrem Körper geschwemmt worden. "Der Arzt hat uns geraten, die letzten Dinge mit ihr zu klären", sagt Susanne Linder mit leiser Stimme.
Übergangspflege in der Klinik wird nur für zehn Tage bezahlt
Doch die Schwarzenauerin erholte sich und wurde nach vier Wochen in die Missio-Klinik Würzburg verlegt. Dort habe sie Physio- und Ergotherapie bekommen, sagt Lindner. Für eine zehntägige Übergangspflege kam ihre Schwester dann noch einmal an die Klinik nach Kitzingen. "Diese Übergangspflege ist quasi der Notnagel für Menschen, die nicht wissen, wohin, für die es aber keine medizinische Notwendigkeit gibt, in der Klinik zu bleiben", erklärt Annika Behrend, Sprecherin der Klinik Kitzinger Land.
Nach den zehn Übergangstagen aber zahle die Krankenkasse nicht mehr. Dem Krankenhaus drohe eine Strafe, behalte es Patienten länger, sagt Behrend: "Das Fallpauschalen-System legt die Verweildauer genau fest. Danach ist die Klinik verpflichtet, die Betten wieder freizumachen." Die 68-Jährige aus Schwarzach sei kein Einzelfall. "So etwas kommt öfter vor."
Rettender Anruf von einem Würzburger Heim: Platz frei!
Mithilfe des Sozialdienstes der Klinik Kitzinger Land wurde die Suche nach einem Pflegeplatz für die 68-Jährige aufs ganze Bundesgebiet ausgedehnt. Der Entlassungstag rückte näher, bei der Familie lagen die Nerven blank. Kurz vor Frist-Ende kam das erlösende "Wir nehmen Sie" von einem Heim in Würzburg. "Es war zufällig gerade ein Platz bei uns freigeworden", sagt Silke Müller, die Leiterin des "Pflegezentrums Sonnenhof" in Versbach. Die Schwarzacherin könne hier dauerhaft bleiben.
Ihr sei ein "Riesenstein" vom Herzen gefallen, sagt Susanne Lindner. Doch die nervenzehrende Suche nach einer Bleibe schmerzt. "Das sind doch keine Fälle! Das sind alles Menschen." Wenn Betroffene durch Alter, Krankheit oder Körpergewicht abgeschrieben würden und sich zweitklassig fühlen müssten – "dann ist da doch ein Fehler im System".
160kg schwer wird man nicht innert weniger Monate. Als jemand, der Menschen mit dermaßen Übergewicht (und noch viel mehr) bereits beruflich gepflegt hat und weiß, welches gesundheutliche Risiko das für Einen selbst bedeutet, kann ich nur an jeden appellieren, besser auf sich aufzupassen.
Kein Pflegeheim sagt gerne Pflegeplätze ab, hier kann ich es aber nachvollziehen: fällt mir eine Pflegekraft aus, weil sie sich an einem übergewichtigen Bewohner "verhebt", haben plötzlich ganz viele Menschen Probleme: die Kollegen, die einspringen müssen, die Bewohner, deren Pflege unter einer noch schlechteren Personaldecke leidet.
Jeder sollte seinen Beitrag dazu leisten, Pflegepersonal nicht so zu verheizen.
Susanne Orf
Ein Teil unserer Bevölkerung und ein Großteil in Politik und Justiz macht sich Sorgen und Gedanken im Umgang mit Menschen fremder Kulturen.
Kindern wird "Cowboy und Indianer" verboten, die "Mohrenapotheke" muss umbenannt werden, "Eisneger" und "Negerkuss" gibt es nicht mehr.
Diese Liste ließe sich wohl endlos fortsetzen, über ihren Sinn und ihre Wirkung gegenüber den ethnischen Gruppen streiten.
Wenn es um Mobbing, Zahnspangen, psychische Probleme oder, wie hier, um pures Übergewicht geht, sind diese Menschen mindestens auf einem Auge blind.
Wo - so frage ich alle, die sich angesprochen fühlen - wo ist eure Menschlichkeit, euer Mitgefühl?
Seid ihr wirklich so abgebrüht zu sagen: "Die ist ja selbst schuld"
Sind wir schon so weit, dass es "schick" ist, die eigenen Kinder, körperlich oder seelisch Beeinträchtigten oder Andersdenkenden zu diskriminieren, als "Nazis" abzustempeln und ihnen das Recht auf Pflege zu verweigern?
Gerhard Fleischmann
Ich glaube nicht, dass man das so pauschal sehen kann. Ich würde niemanden wegen seiner Figur - und auch sonst nicht - diskriminieren.
Allerdings muss man da vernünftige Grenzen setzen, wo andere beeinträchtigt werden, wie teils hier. Das ist wie bei der Freiheit.
Wobei ich betonen möchte, dass ich damit keine Schuldzuweisungen verbinden würde.
Diese Probleme nehmen so rapide zu, dass es ohnehin seitens der Gesundheitspolitik überfällig ist, zu reagieren:
Es braucht mehr Bildung und Bewusstsein für gute Ernährung usw., vor allem mehr Selbstverantwortung - bis dahin ist das ein langer Weg, der politisch wahltaktisch völlig falsch aufgesetzt wurde, inkl. Akzeptanz bewusst falscher Infos der Industrie z.B. über Zucker o. andere vermeintlich gesunde Lebensmittel.
Nur: je nach Ursache sollten sie anteilig Kosten/Risikoprämie tragen, wie bei der privaten KV. Das Problem ufert seit Jahren enormaus, belastet die Beitragszahler und pflegende Verwandte leiden mit.
Ist das nicht vorhanden -weil die Pflegekassen dafür auch nicht adäquat aufkommen- dann kann man den Mensch nicht aufnehmen, egal wie sehr man ihn wertschätzt.
Ich kenne das Problem aus dem Rettungsdienst. Irgendwo kommt kommt jede 2-Mann (oder auch Frau) Besatzung an ihre physische Grenze, spätestens bei 150KG ist dann auch der normale Rettungswagen überfordert. Dann braucht es Feuerwehr und Spezialgerät die erst angefordert werden müssen und vieles verzögern. Auch das hat nichts mit Diskiminierung zu tun.
gibt es da mMn viele, und ich befürchte, dass die Probleme für Übergewichtige angesichts der Zunahme ihres Anteils an der Bevölkerung (s. z. B. https://de.statista.com/infografik/17609/anteil-eebergewichtiger-in-deutschland/) eher noch größer werden.
Das hat - wiederum meiner natürlich völlig unmaßgeblichen Meinung nach - viel damit zu tun, dass "die Politik" das Problem der Fehlernährung (s. z. B. https://www.tk.de/techniker/magazin/ernaehrung/uebergewicht-und-diaet/uebergewicht-ursachen-2006778?tkcm=ab) viel zu zögerlich angeht. Selbstredend/ allerdings gibt es auch Krankheiten, die zu Übergewicht führen, aber es wäre sicherlich viel gewonnen und damit gleichzeitig den wirklich Kranken bessere Bedingungen verschafft, würde man der weit verbreiteten Fehlernährung endlich konsequent an die Wurzel gehen!
Barbara Ruhsert