Wenn man sein Auto auf dem Volkacher Rewe-Parkplatz am Zaun gegenüber der Einfahrt abstellt, hat man beim Einladen der Einkäufe den perfekten Blick auf eine große Wiese. Eine klassische Gassigeh-Fläche, eine Lücke in bester Lage am Rand des Gewerbegebiets "Im Seelein". Von dort aus ist man in fünf Minuten am Main, in gut zehn Minuten in der Volkacher Altstadt. Eigentlich auch ein guter Ort zum Wohnen, oder?
Genau das hat sich auch Unternehmer Wolfgang Weiß gedacht, der mit dieser Idee bereits im Herbst 2019 erstmals auf den Volkacher Stadtrat zukam. Er tat das erneut im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung vor einem Jahr, im Januar 2022 – und erhielt die zweite Absage. Das mag überraschend klingen angesichts der immer wieder thematisierten Wohnungsnot in Volkach, hat aber einen guten Grund: Das Grundstück liegt im Gewerbegebiet "Im Seelein" und ist umgeben von Betrieben, die Lärm machen. Also doch kein guter Ort zum Wohnen?
Doch, sagt Wolfgang Weiß, und erschien nun mit dem Thema erneut vor dem Stadtrat, erstmals im öffentlichen Teil der Sitzung. Und der potenzielle Bauherr hatte sich diesmal Unterstützung mitgebracht in Form von Arno Weimann, der anhand umfangreicher Berechnungen seines Ingenieurbüros darstellte, warum hinsichtlich des Lärms keine Gefahr drohe, weder für künftige Mieter noch für den Fortbestand der dortigen Betriebe.
Im Bebauungsplan sind dort keine Wohnungen vorgesehen
Wobei die Planungsstudio Wolfgang Weiß GmbH sowieso keine reinen Wohnhäuser in die Industriestraße bauen möchte, sondern zwei große, bis zu sechsgeschossigen Gebäude mit begrüntem Flachdach plus Tiefgarage. Darin vorgesehen sind knapp 64 Prozent Gewerbeflächen und gut 36 Prozent Wohnflächen. Aber letztere sind nun mal der Knackpunkt, denn sie sind im Bebauungsplan von 1981 nicht vorgesehen. Darum könnte Weiß sofort einen reinen Gewerbebetrieb dort bauen (lassen), für seine aktuelle Idee braucht er aber die Zustimmung des Stadtrats. Denn der müsste den Bebauungsplan dafür in ein Mischgebiet ändern, in dem dann Wohnnutzungen und nicht störende Gewerbebetriebe zulässig wären.
Wobei man dazu sagen muss, dass diese Fläche nicht nur an Betriebe angrenzt, sondern nördlich davon auch an Reihenhäuser mit Garagen. Und diese, erläuterte Arno Weimann, profitierten "aus lärmtechnischer Sicht" sogar von der neuen Bebauung. Zudem verwies der Ingenieur auf die Notwendigkeit von flächensparendem Bauen im Mittelzentrum Volkach. Sein Auftraggeber Wolfgang Weiß betonte mit Blick auf die Gebäudehöhe und Geschossanzahl zudem: "Wir sind gerne zu Kompromissen bereit."
Damit war die Diskussion eröffnet, die durchaus Überraschungen bereithielt. Denn bislang lehnten die Mitglieder des Stadtrats das Projekt geschlossen ab. Die Expertise des Ingenieurbüros Weimann schien diese Stimmung zu ändern, allerdings nur teilweise.
Am klarsten sprach sich die Grünen-Fraktionssprecherin Andrea Rauch dafür aus: "Ich kann nicht draußen gegen Baugebiete argumentieren und drinnen die Innenverdichtung ablehnen. Ich fände eine Wohnbebauung da gut." Ihr Parteikollege Moritz Hornung räumte ein, früher auch gegen das Projekt gewesen zu sein, das habe sich aber nun geändert. " Elmar Datzer sagte: "Auch wenn ich kein Verfechter der Baukunst von Herrn Weiß bin, verstehe ich nicht, warum man dagegen so opponiert." Und CSU-Fraktionssprecher Uwe Koßner fand das gesamte Konzept grundsätzlich überlegenswert, er habe aber "noch Bauchschmerzen wegen der Höhe".
Die Fraktion der Freien Wähler Gemeinschaft (FWG) hingegen stand dem Projekt weiterhin ablehnend gegenüber. Herbert Römmelt sagte: "Die Planung ist sehr schön, nur nicht an dieser Stelle." Mathias Krönert (parteilos) befürchtete: "Die Konflikte sind vorprogrammiert." Und Tobias Thum argumentierte: "In der Bauleitplanung ist das Wohnen dort exakt ausgeschlossen, jetzt holen wir uns so einen Konflikt in das Gewerbegebiet rein."
Lauter Kompressor des Autohauses als Grund für eine Klage?
Den Hintergrund dieser Diskussion bildet Volkachs "Integriertes Städtebauliches Entwicklungskonzept" (ISEK), das diese Fläche durchaus als Potentialfläche für Wohnen benennt, aber erst nach Aussiedlung der Gewerbebetriebe. Derartige Pläne gibt es derzeit allerdings nicht, weshalb man etwa im Autohaus Mohnhaupt durchaus fürchtet, die neuen Nachbarn könnten sich eines Tages doch am Lärm des Kompressors stören und gar deswegen klagen.
Prominente Beispiele ähnlicher Konflikte gibt es zuhauf, ob beim Baugebiet "Schlossgrund" in Rödelsee oder dem nun "Urbanen Gebiet", das in Etwashausen entstehen soll. Auch diese drehen sich um die Frage, wie gut Wohnen und Gewerbe zusammenpassen – und wer am Ende Vorrang haben könnte. Oder wie es FWG-Fraktionssprecherin Anja Hirt ausdrückte: "Es wäre nicht das erste Mal, dass Leute sehenden Auges ins Unglück stürzen."
Industrie ist heute nicht mehr mit rauchenden Schloten. Es ist Gewerbe. Die Menschen, die da wohnen, leben davon.