"Bungeejumping für die Sinne" nennt Manfred Rothe das Gefühl, das ihm sein eigener Wein beschert. Das Gefühl, wenn man Weißwein sieht, aber Rotwein schmeckt. Der 62-jährige Winzer, die grauen Haare zu einem dünnen Pferdeschwanz gebunden, hebt sein Glas, begutachtet die bernsteinfarbene Flüssigkeit, die ein bisschen aussieht wie naturtrüber Apfelsaft.
Was da im Glas ist, nennt sich ‚Orange Wine‘. Ein Weißwein, der auf der Maische vergoren, wie ein Rotwein hergestellt wird und deshalb eine trübe gelb-orange Farbe hat – die vierte Farbe des Weines sagt man auch. Bei Manfred Rothe ist es ein Silvaner, der mit Schalen und Kernen vergoren wird. Von dem beliebten Frankenwein ist wenig zu schmecken, da die Fruchtnote kaum mehr durchkommt.
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Wie Wein auch schmecken kann
Aber darum geht es Manfred Rothe, der mit seiner Frau Christine zehn Hektar Reben bewirtschaftet, auch nicht. Mit seinem maischevergorenen Silvaner will der Nordheimer nicht nur zeigen, "wie Wein auch schmecken kann", sondern auch einen langlebigen Weißwein kreieren. Einer, der sich – wie sonst bei Rotweinen üblich – fünf oder zehn Jahre lang lagern lässt. Die Idee dazu kam ihm auf einer Reise durch Georgien, wo er die Herstellung in sogenannten Qvevris, also im Boden vergrabenen Tonamphoren, kennen gelernt hat. Eine seit 7000 Jahren bekannte Methode.
Im Weinkeller des Nordheimer Bioland-Weinguts Rothe stehen seit 2013 zwei solcher Amphoren. In einer Ecke, hinter einer Steinmauer, sind sie vergraben. Das Vergraben ist wichtig, da die dünnen Wände beim Befüllen dem Druck nicht standhalten würden. Rote Steine decken die bis zu 1200 Liter umfassenden Tongefäße ab. Im Raum nebenan stehen Holzfässer, in denen Rotwein reift.
Weltweit, so Rothe, gebe es nur etwa 20 bis 30 Winzer, die den Wein in Original-Qvevris herstellen. Sie seien gut miteinander vernetzt, denn man wolle die Tradition "heraustragen, damit sie nicht verloren geht." Auch in Franken beschäftigt man sich seit einiger Zeit mit Qvevri-Weinen. Neben Manfred Rothe baut auch Ludwig Knoll in Würzburg Weine in Amphoren aus.
Bei der Herstellung seiner 'Orange Wines' füllt Rothe seine Amphoren zu etwa drei Vierteln mit Maische und Most – oft mit Stielen und Kämmen. Nach der spontanen Vergärung muss die Masse ständig durchgestoßen werden, damit die Maische nicht hart wird. Hierfür benutzt Rothe einen Kirschbaum-Ast, wie er es in Georgien gesehen hat. Danach wird die Luke verschlossen und der Wein liegt neun Monate auf der Maische, bevor er verfüllt wird. Das Leeren der Amphore und das Füllen in die Flasche geschieht an einem Tag. Anschließend muss der Wein noch zwei bis drei Jahre in der Flasche reifen, bevor er in den Verkauf kommt.
Aus den 1200-Liter-umfassenden Amphoren bekommt Rothe etwa 800 Liter Wein. Der Silvaner, der rauskommt, enthält zehn- bis fünfzehn Mal mehr Gerbstoffe als ein herkömmlicher Weißwein. Bio-Winzer Rothe will seinen Herstellungsprozess möglichst natürlich halten. Allerdings, so sagt er, sei er kein "schwefelfreier Papst." "Wenn ein Wein Schwefel braucht, dann kriegt er ihn, bevor er verdirbt." Wenn auch nur in kleinen Mengen.
Nicht jedermanns Geschmack
Der Wein schmeckt nicht jedem. Dessen ist sich Manfred Rothe bewusst. Seine Zielgruppe sei breit, doch sein Wein habe "etwas ungewohntes" und deshalb "seinen Reiz." Und seinen Preis: 45 Euro kostet eine Flasche. Rothe sagt, dass viele seiner Kunden sich eine Flasche als Souvenir mitnehmen. Für ihn ist der hohe Preis eine Art Wertschätzung: "Wir brauchen für die handwerkliche Arbeit einen anderen Preis", sagt er selbstbewusst.
Selbstbewusst erzählt er auch, dass die UNESCO die Weinherstellung in Qvevris vor einigen Jahren zum immateriellen Kulturerbe erklärt hat. Doch trotz aller Exklusivität ist sich der 62-Jährige sicher: "Letztlich haben wir nichts erfunden. Wir haben nur das gemacht, was es schon seit tausenden von Jahren gibt."