
Nach christlichem Verständnis ist die Narretei so alt wie die Menschheit. "Der Sündenfall ist die erste Narrheit des Menschen. Durch ihn kam der Tod in die Welt", sagt Hans Driesel, stellvertretender Leiter des Deutschen Fastnachtmuseums in Kitzingen. "Der Tod, später dann der Teufel, spielt deshalb eine zentrale Rolle in der frühen Fastnacht, wo er oft mit Narrenkappe dargestellt wird."
Der Schweinfurter Hans Driesel, 85, Sammler, Literat, Rezitator und Schauspieler, befasst sich seit vielen Jahren mit Entstehung und Bedeutung des Phänomens Fastnacht-Fasching-Karneval, das für ihn schon immer "mehr ist als Luftschlangen und Konfetti", wie er gerne sagt.

Tatsächlich ist die Fastnacht zwar eines der ältesten Volksfeste überhaupt, sie geht aber weder auf römische Wurzeln zurück, wie jüngere Forschungen ergeben haben, noch auf germanische Fruchtbarkeitskulte, wie die Nationalsozialisten behaupteten. Sie entstand im Mittelalter und war von Anfang an ein Gegenkonzept zur Fastenzeit - ein letztes Dampfablassen, wenn man so will, um dann umso frommer und enthaltsamer durch die Zeit bis Ostern zu kommen.
Die enorme emotionale Spannweite zeigt schon das Ausstellungsplakat
Wie sehr sich die Fastnacht über die Jahrhunderte immer wieder neu den Zeiten anpasste, das zeigt noch bis 16. März die Ausstellung "Himmlische Freude - höllische Lust" im Fastnachtmuseum. Der Historiker Jeremy DeWaal hat das Volksfest unter emotionsgeschichtlichen Aspekten erforscht, Museumsleiterin Katrin Hesse hat die Ausstellung kuratiert.
Die enorme emotionale Spannweite zeigt schon das Ausstellungsplakat, auf dem die alte und die neue Galionsfigur von Fastnacht oder Karneval abgebildet sind: unten ein buckliger, hakennasiger, grinsender Narr, wie ihn der niederländische Maler Quentin Massys im frühen 16. Jahrhundert darstellte, oben ein strahlender, heldischer Prinz Karneval auf einer Postkarte um 1900.

Mittelalterliche Fastnacht war ein zügelloses, vorsätzlich sündiges Treiben, nicht selten gewalttätig, übergriffig, satirisch bis schadenfreudig und auf viele Arten diskriminierend. "Das Alltagsleben der Menschen war extrem reglementiert", sagt Katrin Hesse, "in der Fastnacht wurde vorübergehend das Ausleben menschlicher Elementarbedürfnisse möglich." Das ging so weit, dass es etwa in Nürnberg festgelegte Areale gab, wo Dienstboten, denen dies sonst nicht erlaubt war, Sex haben konnten.
Mit der Aufklärung verlor der Narr nach und nach seine diabolische Dimension
Es war eine verkehrte Welt, in der die Ordnung mit Duldung von Kirche und sonstiger Obrigkeit auf den Kopf gestellt wurde. Und das mitunter überraschend modern: So sind vom Nürnberger Schembartlauf, einen traditionellen Fastnachtumzug, Darstellungen von Kostümen überliefert, die ganz aus Ablassbriefen bestanden, den Dokumenten jener Geschäftspraxis also, mit der die katholische Kirche seit Anfang des 16. Jahrhunderts den Bau des neuen Petersdoms in Rom finanzierte und damit den letzten Auslöser für die Reformation Martin Luthers lieferte.

Mit Aufklärung und Erstarken des Bürgertums verlor der Narr nach und nach seine diabolische Dimension und machte Figuren wie dem Harlekin Platz. Die Fastnacht blieb allerdings eine Zeit, die aus Sicht der Mächtigen die Gefahr der Verstetigung des Chaos in sich trug: Was, wenn das Volk am Aschermittwoch nicht mehr bereit sein würde, zur alten Ordnung zurückzukehren? Kein Wunder also, dass Napoleon Fastnacht, Karneval und Fasching umgehend untersagte.
Erst nach Napoleons Fall wurde es wieder möglich, Karneval zu feiern
Erst nach Napoleons Fall wurde es wieder möglich, Karneval zu feiern, allerdings in deutlich harmloserer Form. Denn die - protestantischen - Preußen, die seit dem Wiener Kongress im - katholischen - Rheinland und damit auch in Köln das Sagen hatten, wirkten auf eine Entschärfung hin. In der Karnevalsreform von 1823 gab also der Teufel seine Führungsrolle an die romantische Figur "Held Karneval" ab. Der Titel "Prinz" wurde zunächst vermieden, aus Angst, wegen Majestätsbeleidigung belangt zu werden.

An Stelle des "organischen Karnevals", den Hans Driesel mit dem knappen Motto "Sau raus" charakterisiert, trat in den katholisch geprägten deutschen Gebieten bald der "organisierte Karneval" mit seiner Vielzahl an Regeln, Figuren und Protokollen.
Reste von Anarchie und Travestie haben sich etwa in den mehr oder weniger satirischen Büttenreden erhalten, in der Verballhornung von Herrschaftssymbolen wie dem Orden oder in der Figur der Jungfrau im Kölner Dreigestirn, die traditionell von einem Mann gespielt wird.
Aber eines hat sich diametral gedreht: Karneval heute ist nicht mehr der Kult der straffrei begangenen Sünde, sondern die Feier der harmlosen Freude. Gegner ist nicht mehr die Obrigkeit, sondern der Griesgram, der sich dieser Freude verweigert. Das Motto: "Allen wohl und keinem weh."
Deutsches Fastnachtmuseum, Luitpoldstraße 4, Kitzingen: Ausstellung "Himmlische Freude - Höllische Lust.
Karnevalistische Emotionen im Wandel der Zeiten". Bis 16. März. Geöffnet Fr.-So. 13-17 Uhr, in den Faschingsferien (28. Februar bis 9. März) täglich 13-17 Uhr.