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KITZINGEN
Warum Narren die Sünde riskieren
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:49 Uhr

Den meisten Faschingsnarren geht es wohl an der Narrenkappe vorbei, dass nicht genau bekannt ist, wo der Ursprung der für sie so überaus wichtigen Zahl „11“ liegt. Mathematische Erklärungsansätze, sofern es sie gibt, sind nicht wichtig. Das einzige, was zählt, ist: Am 11. 11. um 11 Uhr 11 beginnt die närrische Jahreszeit. An diesem Mittwoch also.

Nicht nur bei der Elf, „bei vielen Elementen des Faschings kann man nicht sagen, wo es herkommt“, erläutert Daniela Sandner, Leiterin des Deutschen Fastnachtmuseums in Kitzingen. Diesbezüglich sei viel „hineingeheimnisst“ worden. Sicher ist: Im christlichen Kulturkreis beruht die Zahlensymbolik auf der Bibel. Die Elf nimmt laut Volkskundlerin Daniela Sandner eine Sonderstellung ein. Sie liegt zwischen zwei bedeutsamen Zahlen: der Zehn und der Zwölf. „Und die Zehn ist heilig wegen der zehn Gebote“, erklärt die Museumsleiterin in aller Kürze.

Die Zwölf verweist unter anderen auf die zwölf Jünger Jesu, die Apostel; auf das himmlische Jerusalem mit seinen zwölf Toren; oder auf die Begegnung von Himmel und Erde beziehungsweise von der göttlichen Dreifaltigkeit mit den vier irdischen Elementen – und drei mal vier ergibt zwölf.

Im Niemandsland

Da die Elf zwischen der hoch symbolischen Zehn und der Zwölf liegt, wird sie zur Narrenzahl. Denn sie befindet sich damit außerhalb des Gesetzes beziehungsweise der großen göttlichen Ordnung. „Ein Mensch, der sich über die Zehn hinausbegibt, bewegt sich in einer Art Niemandsland, in der alle Regeln über Bord geworfen werden“, so Daniela Sandner, und nur ein Narr würde diese Sünde riskieren.

Die Elf mahnt aber auch zur Umkehr aus der „verkehrten Welt“, in der Narren für eine kurze Zeitspanne – bis zur Beginn der Fastenzeit an Aschermittwoch – ihr Reich regieren und dabei alle gesellschaftlichen Ordnungen über den Haufen werfen können. Dies geschah durchaus mit Erlaubnis der katholischen Kirche. In protestantischen Gegenden spielt Fastnacht, Fasching oder Karneval bis heute kaum eine Rolle; evangelische Kirchenordnungen aus dem 16. Jahrhundert enthielten sogar Verbote des Faschingstreibens.

Verkehrte Welt

Die Päpste in Rom ermunterten dagegen ihr Kirchenvolk zu ausgelassenen Spielen und Festen. Als Legitimation diente das Zwei-Staaten-Modell des heiligen Augustinus mit dem unvergänglichen und überzeitlichen Gottesstaat auf der einen Seite und der vergänglichen verkehrten, teuflischen Welt auf der anderen.

Diese christlichen Zusammenhänge hat zum Beispiel Dietz-Rüdiger Moser erforscht. Der Nachlass des 2010 gestorbenen renommierten Volkskundlers befindet sich im Kitzinger Fastnachtmuseum, darunter sein grundlegendes Werk „Fastnacht - Fasching - Karneval“. Darin beschreibt Moser den Fastnachtsbrauch im 1552 gegründeten Jesuitenkolleg „Collegium Germanicum“ in Rom. Dort gab es neben dem streng geregelten Unterricht für kurze Zeit das lockere Fastnachtstreiben mit diversen Spielen und Aufführungen unter Herrschaft des Karnevalskönigs und seinem Gefolge – heute ist es der Elferrat mit seinem Vorsitzenden. Am Faschingsdienstag hat nach den Ausführungen Mosers der Fastnachtskönig eine Abschiedsrede auf sein vergängliches irdisches Reich gehalten. In der Fastenzeit erfolgte dann die Heilung von den unheiligen unsittlichen Torheiten und Völlereien.

Zeichen für die letzte Stunde

Die Zahl Elf steht also für die Sünde, für die Vergänglichkeit – und sie ist ein Zeichen für die letzte Stunde. In Bildern aus dem 16. und 17. Jahrhundert zum Thema Weltuntergang oder Jüngstes Gericht sind nach Angaben von Daniela Sandner häufig Uhren zu sehen, die meist die elfte, somit letzte Stunde anzeigen.

Dietz-Rüdiger Moser weist auch auf das gleiche Datum von Martinstag und Sessionsbeginn hin. Der 11. November galt als „Fixpunkt, von dem aus die Berechnung des Fastnachtstermins erfolgte“. Dabei spielt der Neumond nach dem 11.11. eine Rolle. Die Zählung beginnt dann am darauffolgenden Dienstag: 13 Wochen später ist Fastnacht. Gängiger ist die Rechnung rückwärts – vom Ostersonntag, der immer auf den ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach dem Frühlingsanfang fällt. 46 Tage zuvor ist Aschermittwoch.

Andere, weltliche Interpretationen in Zusammenhang mit der Zahl Elf seien dagegen nicht haltbar. So hat man laut Museumsleiterin Sandner die Buchstaben ELF fälschlicherweise mit dem Leitspruch der Französischen Revolution in Verbindung gebracht: „E“ mit Egalité, „L“ mit Liberté, „F“ mit Fraternité – Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit. Die Reihenfolge ist jedoch eine andere. Der Kampfruf beginnt mit der Freiheit.

Besser steht da schon die nächste Erklärung da: Die Elf mit ihren gleichen Zahlen als Symbol für die Gleichheit aller Narren.

 
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