Politikwissenschaftler Julian Müller-Kaler lebt schon seit einigen Jahren in den USA. In der Denkfabrik "Stimson Center" in der Hauptstadt Washington D.C. arbeitet der 29-Jährige als stellvertretender Leiter des Programms für Strategische Vorausschau. Während eines Heimatbesuchs in Sommerach spricht er in Volkach nun über tiefe Gräben in der amerikanischen Gesellschaft. Und wirft vorab im Interview einen Blick von außen auf das Erstarken der Rechtspopulisten in Deutschland.
Julian Müller-Kaler: Abgesehen vom Politkbetrieb selbst, dessen Kompromissfähigkeit seit längerer Zeit einer nahezu vollkommenen Paralyse des Systems zum Opfer fällt, spürt man die politische Spaltung der Vereinigten Staaten in Washington selbst eher selten. Immerhin haben bei der letzten Präsidentschaftswahl mehr als 90 Prozent der dort lebenden Menschen für Joe Biden gestimmt. Es sind in der Hauptstadt der USA eher die tiefen sozioökonomischen Gräben die man spürt und sieht. Ob das Stadteile sind, in die man nach Sonnenuntergang besser nicht geht, die vielen Obdachlosen vor den Hallen der Macht oder die krasse Gentrifizierung – man merkt auch in der amerikanischen Hauptstadt, dass im Land der unbegrenzten Möglichkeiten vieles im Argen liegt.
Müller-Kaler: Die USA sind nach wie vor das mit Abstand mächtigste Land der Welt und für Europa und Deutschland von elementarer Bedeutung – wirtschaftlich, militärisch und politisch. Was vor Ort passiert, hat massive Auswirkungen auf den Rest der Welt und die amerikanische Demokratie steht, wieder einmal, am Scheideweg. Eine Wiederwahl Trumps zum Beispiel oder eine Eskalation des Großmachtkonfliktes mit China hätte auch für die Menschen im Landkreis Kitzingen massive Auswirkungen, gerade weil Deutschlands Wirtschaft so von globalen Märkten abhängt.
Müller-Kaler: Auch in Deutschland wird der Ton in gesellschaftlichen Debatten rauer und nicht wenige Bürgerinnen und Bürger fühlen sich von der Politik alleine gelassen. Dem entgegenzuwirken und das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz von demokratischen Institutionen wieder herzustellen, ist eine Generationenaufgabe. Ich würde die Spaltungstendenzen in Deutschland allerdings aktuell als noch nicht so gravierend wie in den USA einstufen – was sowohl kulturelle als auch ökonomische Gründe hat.
Müller-Kaler: Abgesehen von den politischen Eliten bzw. interessierten Zirkeln, die sich mit Europa beschäftigen, haben Amerikaner grundsätzlich eher wenig Interesse an internationaler Politik. Insofern ist der Aufstieg der AfD in Deutschland nur sehr vereinzelt Thema in den Nachrichten. Ich erlebe die Vereinigten Staaten, unabhängig von meinem Beruf, der sich ja mit globaler Politik beschäftigt, als ein sehr selbstbezogenes Land.
Müller-Kaler: Für mich ist das Erstarken des Populismus in westlichen Demokratien vielmehr Symptom als Ursache eines gesellschaftlichen Eskalationsprozesses, der dadurch stark wird, dass viele Leute das Vertrauen in die Politik verloren haben. Dafür gibt es mehrere Gründe. Gewiss ist, dass wir uns in Zeiten massiver Unsicherheit und wirtschaftlicher Transformation befinden. Politiker mit einfachen Antworten vermögen es dabei, ein trügerisches Gefühl der Sicherheit zu erzeugen. Die Demokratien werden sich im Systemwettbewerb bewähren müssen und zeigen, dass sie in der Lage sind, die Probleme der Leute ernsthaft anzugehen und zu lösen. Bei allem was aktuell in der Welt los ist, wird das keine einfache Aufgabe, auch nicht in Deutschland.
Müller-Kaler: Familie und Freunde zu sehen, ist natürlich bei jedem Heimatbesuch etwas ganz besonderes. Darüber hinaus finde ich, dass die Mainschleife, gerade im Sommer, einen gewissen Zauber innehat, den ich so auch noch nirgends anders auf der Welt gefunden habe. Insofern bin ich sehr gerne zuhause.
Vortrag: Am Donnerstag um 20 Uhr hält Julian Müller-Kaler seinen Vortrag "Die USA – ein tief gespaltenes Land" im Museum Barockscheune Volkach. Der Eintritt ist frei, um eine Anmeldung über die Volkshochschule Volkach unter info@vhs-vo-geo.de oder unter (09381) 40128 wird gebeten.