
US-Präsident Donald Trump legt sich die Wahrheit so zu recht, wie er sie braucht. Alle Vorwürfe, er missbrauche sein Amt für persönliche Interessen, prallen bisher an ihm ab. Selbst das von den Demokraten initiierte Amtsenthebungsverfahren scheint seiner Popularität nicht zu schaden.Warum ist das so, fragt die Redaktion den Politikwissenschaftler Julian Müller-Kaler. Der 25-Jährige aus Sommerach (Lkr. Kitzingen) arbeitet nach seinem Studium in Deutschland, China und den USA nun als wissenschaftlicher Referent in Washington für die renommierte, internationale Denkfabrik Atlantic Council.
Julian Müller-Kaler: Nein, das ist extrem unwahrscheinlich. Nach einem Impeachment im Repräsentantenhaus, müssten im Senat, der zweiten Kongresskammer in den USA, mindestens 20 Republikaner mit den Demokraten für eine Amtsenthebung stimmen. Eine solche Zwei-Drittel- Mehrheit ist jedoch nicht in Sicht. Trump kann sich zudem nach wie vor auf seine Wähler verlassen. Die, die ihn 2016 gewählt haben, stehen noch immer hinter ihm.

Müller-Kaler: Die Trump-Anhänger stört das nicht wirklich. Im Gegenteil, das Impeachment sehen viele hier in den USA nur als weiteres Wahlkampf-Manöver der Demokraten, als Versuch des politischen Establishments, einmal mehr die Legitimation der Trump-Präsidentschaft in Frage zu stellen. Für die Republikaner bietet es eine gute Gelegenheit, die Reihen hinter dem Präsidenten zu schließen. Und er selbst wird ein Scheitern des Verfahrens als Freispruch zu feiern wissen.
Müller-Kaler: Sie haben recht, das ist die objektive Beurteilung der Situation, wie sie auch in intellektuellen Kreisen und den großen Zeitungen an der West- und der Ostküste beschrieben wird. Es existiert aber auch eine andere Interpretation der Ereignisse, eine "Wahrheit" wie sie Trump und seine Unterstützer, allen voran der Fernsehsender Fox News und rechte Internetseiten wie Breitbart, sehen. Da ist von einer Verschwörung des politischen Establishments gegen den Präsidenten die Rede. Es ist kein Geheimnis, dass weite Teile Amerikas inzwischen in unterschiedlichen Realitäten leben. Jeder hier ist nur noch in seiner eigenen ideologischen Blase unterwegs.
Müller-Kaler: Das würde man meinen. Im polarisierten Amerika ist die Wahrheit jedoch inzwischen zu einer Meinung von vielen degradiert worden. Trump und seine Berater sprechen ja selbst von "alternativen Fakten". Die politische und ideologische Spaltung der Gesellschaft hat sich zuletzt noch verschärft. Es ist schlimm, aber Dialog zwischen beiden Lagern findet kaum noch statt.
Müller-Kaler: Zum einen liegt es an der vollkommen privatisierten Medienlandschaft, in der es mehr um Einschaltquoten und Profit als um Informationen und Wissensvermittlung geht. Zum anderen ist die Trump-Präsidentschaft aber auch eine Konsequenz größerer gesellschaftlicher Entwicklungen: Obwohl die Konjunktur aktuell gut läuft, sind viele Amerikaner extrem unzufrieden mit der Politik ihrer Repräsentanten. Vermeintlich bedeutungslose militärische Engagements in fernen Ländern, eine zerfallende Infrastruktur und stagnierende Löhne lassen den amerikanischen Traum in vielen Augen eher wie einen Albtraum aussehen. Das Versprechen, dass freier Handel und Globalisierung für alle gut sind, hat sich für viele Menschen nicht bewahrheitet. Zusätzlich sorgen wirtschaftliche Deregulierung und fortschreitende Automatisierung für immer größer werdende Ungleichheit, bei stetig steigenden Lebenshaltungskosten für Bildung, Gesundheit und Wohnen.

Müller-Kaler: Das ist nicht unwahrscheinlich. Falls er seinen Erfolg im sogenannten Rustbelt, Industriestaaten, wie Wisconsin, Ohio und Pennsylvenia, wiederholen kann, wird er das Weiße Haus im November erneut gewinnen. Da hilft nicht zuletzt das amerikanische Wahlsystem: Der Kandidat, der in einem Bundesstaat die meisten Stimmen bekommt, verfügt über sämtliche Wahlmänner. Egal, wie eng das Rennen vor Ort ist.
Müller-Kaler: Doch, sie haben eine. Sie müssen aber ihre potenziellen Wähler stärker mobilisieren als bei der letzten Präsidentschaftswahl. Trump-Anhänger werden sie kaum überzeugen können. Angesichts einer Wahlbeteiligung, die vielerorts nur bei rund 50 Prozent liegt, gibt es jedoch Nichtwähler-Potenzial auf beiden Seiten. Barack Obama hat bei den Demokraten deutlich mehr Leute an die Wahlurnen bewegt als Hillary Clinton vor drei Jahren.
Müller-Kaler: Das sehe ich ähnlich. Bloomberg hat keine Chance. Warren und Sanders sind für den amerikanischen Durchschnittswähler wohl zu links. Um in der Mitte der Gesellschaft Stimmen zu gewinnen, hat Biden vermutlich die besten Aussichten. Aber er ist kein guter Wahlkämpfer, macht viele Fehler und über die Rolle seines Sohnes in der Ukraine lässt sich, bei aller Kritik am Vorgehen von Donald Trump, natürlich auch streiten.