Die Regale und Vitrinen sind schon seit Wochen leer, ausgeräumt wie fast der ganze Laden. Auf einem der Schränke liegt vergessen ein kleines Geweih, vermutlich von einem Reh. Von der Decke baumelt ein Bündel Hundepfeifen, übersehen in all dem Trubel. Gabriele Melber nimmt sie rasch ab und steckt sie in einen der Kartons. Letzte Handgriffe, bevor hier endgültig die Lichter ausgehen. Ende Oktober hat in der Kitzinger Luitpoldstraße das Waffengeschäft Melber geschlossen. Man liegt nicht verkehrt, wenn man vom Ende einer Ära spricht. Fast 33 Jahre standen Christian und Gabriele Melber hier Gewehr bei Fuß. Jetzt war die Zeit reif für etwas Neues. Es ging nicht mehr an dieser Stelle.
Als sie vor einigen Wochen das Schild ins Schaufenster hängten, das die bevorstehende Schließung verkündete, blieb eine ältere Dame vor dem Geschäft stehen. "Doch nicht für immer?" Und Christian Melber erwiderte: "Doch – für immer." So erzählt es Melber, wenn man ihn jetzt in seinem alten Laden besucht, der immer noch viel vom ursprünglichen Geist atmet.
Holzvertäfelte Wände, jägergrüne Auslagen, alles noch da, und auch wenn es hier drinnen eiskalt ist, strahlt der Raum weiterhin eine wohlige Wärme aus. Das mag an der nostalgisch angehauchten Einrichtung liegen, an mancher Kindheitserinnerung, als man hier Silvesterraketen und Böller kaufte. Es liegt aber auch ganz viel an Christian Melber und seiner Frau Gabriele. Ein leutseliges, herzliches Paar, das in diesem Gespräch immer lächelt und Optimismus verströmt.
Nach der Wende freute sich Waffen Melber über beste Geschäfte
Als Christian Melber das Geschäft zum 1. Januar 1990 übernahm, war Deutschland in Aufruhr: das Ende der DDR, der Beginn einer neuen bundesrepublikanischen Zeitrechnung – und mit der Wende ein Anfang, der für einen Neueinsteiger wie Melber zauberhafter kaum sein konnte. In der DDR war privater Waffenbesitz streng reglementiert, moderne Waffen mussten zur Verwahrung bei der Polizei hinterlegt sein. Dahinter steckte die Angst des Staates vor inneren Unruhen und einer Entmachtung durch das Volk.
Jäger und Sportschützen konnten sich die Waffen immer nur befristet für spezielle Veranstaltungen leihen. Als dann der Eiserne Vorhang gefallen war, gab es enormen Nachholbedarf an gebrauchten Waffen. "Der Westen wurde leergekauft", erinnert sich Melber. Das bescherte auch ihm beste Geschäfte und bestärkte ihn in seiner Entscheidung, in Kitzingen den Schritt in die Selbständigkeit gewagt zu haben.
Melbers Eltern führten in Aub bei Ochsenfurt einen kleinen Steinmetzbetrieb. Aber zeitig war klar: Drei Brüder würde die Firma schwerlich tragen können. Schon als Kind hantierte und experimentierte Melber gerne mit Schwarzpulver, der schweflige Geruch betörte ihn, die Gefahr kannte er. Ein Nachbar stieß ihn schließlich darauf, dass der große Schützen- und Jagdausstatter Frankonia in Würzburg immer wieder Lehrlinge suche, und gab ihm den Tipp, einfach mal vorbeizuschauen. Kurz darauf fing Melber als Azubi an.
Mit seinem Gesellenstück, einem raffiniert konstruierten Vorderlader-Jagdgewehr, schaffte er es 1984 erst zum Landes-, dann zum Bundessieger. Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt ihn in prominenter Runde: ein junger Büchsenmachermeister aus dem Ochsenfurter Gau an der Seite von Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Nach einigen Lehr- und Wanderjahren und einem Abstecher in die Schweiz kehrte Melber Ende der 1980er-Jahre in die unterfränkische Heimat zurück. Der Zufall verschlug ihn nach Kitzingen. Dort fand der Laden von Georg und Luise Werner, geborene Mahl, in der Luitpoldstraße keinen Nachfolger. Melber fühlte sich gerüstet.
Es war die Zeit, als die Jäger den Kitzinger Bleichwasen ansteuerten, ihre Gewehre aus dem Kofferraum holten und damit über die Alte Mainbrücke stolzierten, schnurstracks zu ihm in die Innenstadt. In einen alteingeführten Laden, gegründet zur Jahrhundertwende, der hinter Gipskartonplatten noch Reste der alten Stadtmauer birgt. Während Melber hinten in seiner Werkstatt Jagd- und Sportgewehre auf Vordermann brachte, stand seine Frau vorne an der Theke und verkaufte: Jagdzubehör, Taschenmesser und – zu bestimmten Zeiten – jede Menge Pfefferspray oder Tränengas zur Selbstverteidigung. Dazu erledigte sie den Schreib- und Bürokram.
Die Kinder nahmen sie früher einfach mit in den Laden – auf sie passte zeitweise Luise Werner auf, die weiterhin über dem Geschäft wohnte. Gelegentlich bekochte sie auch die Familie. "Wir hatten ein super Verhältnis", sagt Melber. Vor gut zwei Monaten starb Werner mit 96 Jahren. Das Haus ist inzwischen verkauft. Und Melber sagt: "Wir haben uns sehr wohlgefühlt hier. Der Abschied tut auch ein bisschen weh."
Vor dem Laden in Kitzingen steht das Auto der Melbers, dahinter ein Hänger, mit dem sie gerade die letzten Sachen umziehen. Aber da ist man schon beim ersten Problem. In der Innenstadt, möglichst direkt vor dem Geschäft, einen Parkplatz zu finden, ist im Laufe der Jahre immer schwieriger geworden. Für den Großteil der Kundschaft war das mehr als ein Mangel an Komfort. "Ein Jäger kann und will heute nicht mehr mit dem Gewehr über der Schulter durch die Stadt laufen", sagt Melber.
Auch deshalb hat er sich entschieden, seine Zelte in Kitzingen abzubrechen und in Aub noch einmal neu anzufangen. Die meisten seiner 500 bis 600 Stammkunden sind ihm gefolgt, sie kommen heute ohnehin aus allen Ecken und Enden Deutschlands – von Baden-Baden bis Berlin und natürlich auch aus der näheren Umgebung.
Der neue Laden befindet sich mitten im Ortskern von Aub
Vor zehn Jahren hat die Familie in dem 1500-Seelen-Städtchen im Ochsenfurter Gau einen alten Gasthof gekauft. Zug um Zug baute sie das Gebäude seit 2014 für ihre Bedürfnisse um. Der Umzug war also schon länger geplant. Seit 15. November hat nun ihr neuer Laden in der Auber Hauptstraße geöffnet, größer und geräumiger und mit Parkplätzen direkt vor der Tür, wieder ein Haus mit Geschichte und im Innern doch in modernes Ambiente gebettet. Die Beteiligten hat das Ganze viel Zeit, Kraft und Nerven gekostet.
Melber ist jetzt 57 und sagt, für sich und seine Frau hätte er das alles nicht mehr gemacht. Doch Sohn Julius absolvierte 2014 im österreichischen Ferlach seine Lehre als Büchsenmacher und stieg 2016 mit ins Geschäft ein. Dem jungen Berufsglück wollte der Vater ein wenig auf die Sprünge helfen. "Gibt ja kaum noch Büchsenmacher in Deutschland", sagt Melber. Zwei Dutzend Lehrlinge kommen jährlich an die zwei nationalen Büchsenmacherschulen in Ehingen und Suhl.
Die alten Meisterstücke haben für den Büchsenmacher noch "Seele"
Christian Melber wäre einer ihrer besten Botschafter, so wie er fast 40 Jahre nach seinem erfolgreichen Gesellenstück immer noch von diesem Beruf fasziniert ist – von den alten Meisterstücken, die in anspruchsvoller Handarbeit entstanden sind und nicht in maschineller Massenproduktion. Von Einzelstücken, die der Großvater dem Enkel vererbt. "Diese Waffen haben noch Seele", erklärt Melber, und seine Augen leuchten. Er repariert und restauriert sie mit viel Fingerspitzengefühl, Geschick und Geduld.
Es ist ein anspruchsvolles Präzisionshandwerk, das auch optisches und physikalisches Verständnis verlangt, fast wie bei einem Uhrmacher. Ersatzteile muss er in seiner Werkstatt erst einmal aufwändig herstellen, es gibt sie nicht von der Stange. Auf Wunsch fertigt er auch noch selbst Waffen, aber diese Arbeiten sind selten geworden. Wie lange er noch hinter der Werkbank stehen wolle? Christian Melber überlegt kurz und setzt wieder sein verschmitztes Lächeln auf: "Schon noch ein Weilchen", sagt er. Und draußen wartet ja auch noch die Jagd auf ihn.