Ungewohnte Ruhe herrschte ab der zweiten Märzhälfte auf dem Main. Dort, wo sonst Tag und Nacht Güter- und Passagierschiffe geschleust werden, war kein Tropfen Wasser mehr. Die Schleusenkammer Gerlachshausen, knapp 300 Meter lang, war trockengelegt. In zwölf Meter Tiefe hafteten jahrzehntealter Schlamm und Pflanzenreste an den Wänden und Schleusentoren. Sie sind übersät mit Muscheln, die von den Schiffen aus fernen Meeren eingeschleppt wurden und sich ungestört vermehrten.
Nur alle sechs Jahre wird eine Schleuse komplett entleert
Bis es zu einer seltenen Komplettentleerung einer Schleuse kommt, ist ein immenser technischer und materieller Aufwand erforderlich. Alle sechs Jahre werde eine Schleuse komplett leer gepumpt, sagt Arnold Bitterlich, Leiter des Außenbezirkes Volkach beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Main (WSA). Jetzt stehen in Gerlachshausen umfangreiche Wartungsarbeiten an. Zudem müssen die Stemmtore in der Mitte der Schleusenkammer ausgetauscht werden. Vor drei Jahren wurde die Schleuse das letzte Mal trockengelegt. Als die Kammer leergepumpt war, kam Corona und alles stand still. "Unter Höchstleistung wurde der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt, ohne irgendwelche Reparaturen", erinnert sich Bitterlich.
Ein schwerer Autokran ist am Mitteltor in Stellung gegangen. Ein Taucher befestigt in gut drei Metern Wassertiefe Ketten an der Unterseite der Schleusentore. Dort befinden sich die sogenannten Schütze – tonnenschwere Elemente, die den Wasserdurchfluss steuern. Diese müssen zuerst heraus. Über eine wasserdichte Telefonleitung ist der Tauchmeister immer in Verbindung mit dem Taucher. Zudem hält ein Signalmann eine farbige Sicherungsleine in der Hand. Sicherheit ist oberstes Gebot.
Dann schallt der Ruf über die Baustelle: "Taucher kommt!" Sofort müssen alle Maschinen stillstehen. Der Betrieb geht erst weiter, wenn der Taucher wieder an Land ist. "Saukalt ist es da unten", sagt Michael Franz und schüttelt sich. Seit vielen Jahren ist er Berufstaucher beim WSA. Über eine Stunde war er unter Wasser – ohne Sicht. Allein mit seinen Hände musst er sich orientieren. Die Erschöpfung ist ihm anzusehen. Ein frischer Taucher löst ihn ab.
Die Black Box der Schleusenrevision
Der Kran versucht den etwa 32 Tonnen schweren Torflügel herauszuziehen. Doch irgendetwas hat sich verzogen, vermutlich wegen kleineren Havarien. Der Main noch nicht gesperrt und die Arbeiten müssen bei laufenden Schiffsbetrieb gemacht werden. Die Schifffahrt kann zwar kurzfristig angehalten werden, muss aber für Schiffspassagen immer wieder geöffnet werden. Viel Fingerspitzengefühl ist da von der Bauleitung gefordert. "Wenn man wie hier im Bestand baut, geht nichts planmäßig," sagt der Bauleiter Jan Gallas und erklärt: "Es ist, als würde man eine Black Box aufmachen. Man weiß nicht, was dahintersteckt."
Nächster Tag: Der Kran schafft es endlich, die beiden Torflügel herausziehen und im Gelände abzulegen kann. Elemente, die über elf Meter hoch und sieben Meter breit sind. Ein gigantisches Bild. Doch das nächste Problem wartet schon: ein Streiktag. Keine Arbeiter vom WSA, doch die Fachfirmen müssen zusätzliches Personal organisieren. Ein großes Güterschiff legt in der Mitte der Schleuse an. Es hat die neuen Tore für das Mitteltor geladen. Beim Entladen ist Millimeterarbeit angesagt. Und der Main ist jetzt komplett gesperrt.
Der geplante Ausbau der weitaus größeren Tore am unteren Teil der Schleuse, Unterhaupt genannt, fordert das gesamte Personal. Ein weiterer Autokran kommt, 72 Tonnen schwer. Gefolgt von drei Tiefladern mit insgesamt 135 Tonnen Gegengewicht, die der Kran beim Hebevorgang braucht, um nicht umzukippen. Allein der Aufbau dauert einen halben Tag. Zwischenzeitlich kommt ein Kranschiff zum Schleusenunterhaupt. Es baut mit Hilfe eines Tauchers einen sogenannten Schleusenrevisionsverschluss ein. Dieser hält das Wasser ab, wenn die Schleusentore ausgehoben werden. Präzisionsarbeit ist angesagt.
Doch wieder gibt es Probleme: Zwei weitere Streiktage werden ausgerufen. "Tage, die uns nur Geld kosten und der Firma mehr Zeit", meint Bitterlich. Ein ausgeklügelter Arbeitsplan im Zwei-Schichten-Rhythmus startet. Die Zeiten müssen unbedingt eingehalten werden, da das Ende der Schifffahrtssperre naht. Ist die Schleuse nicht passierbar, stauen sich sich Schiffe auf mehreren Kilometern.
Nach 14 Tagen wird die Schleuse wieder geflutet
Nach vielen Tagen Anspannung, das große Aufatmen an der Schleuse Gerlachshausen. Die aufwändige Planung hat sich gelohnt: Die Kammern sind dicht. Dem Neustart des Schiffsverkehrs steht nichts mehr im Weg.