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Wiesentheid
"Queerer Overload" und die Frage nach Toleranz: Warum "Quotentunten" und Regenbogenflaggen manchmal auch nerven können
Chris Hemmert und Thomas Sauerbrey, die Köpfe hinter "Varieté for Charity", sprechen über Wut und Angst in der Gesellschaft und die Balance zwischen Toleranz und Überdruss.
Chris Hemmert (rechts) kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ob sein halb als Mechthild Lavette geschminkter Partner Thomas Sauerbrey mal eine pinkfarbene Perücke tragen sollte?
Foto: Diana Fuchs | Chris Hemmert (rechts) kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ob sein halb als Mechthild Lavette geschminkter Partner Thomas Sauerbrey mal eine pinkfarbene Perücke tragen sollte?
Diana Fuchs
 |  aktualisiert: 15.03.2025 02:35 Uhr

Gerade heute. Gerade jetzt. Mut statt Wut, Staunen und Lachen statt Hass und Hetze: Das ist die Devise, nach der Thomas Sauerbrey und Chris Hemmert zur 20. "Varieté for Charity – Nacht der Toleranz" in die Wiesentheider Steigerwaldhalle einladen. Sauerbrey verwandelt sich dort am 22. März wieder in Gastgeberin Mechthild Lavette. Warum eigentlich?

Herr Sauerbrey, was würde Ihnen fehlen, wenn Sie nie zu Mechthild werden würden?

Thomas Sauerbrey: Die Mechthild ist vor über 25 Jahren aus einer Faschingsverkleidung heraus entstanden. Sie ist für mich eine Spaß- und Kunstfigur, in die ich mich wie ein Schauspieler verwandeln kann. Sie ist ein Ausflug in eine andere Welt. Nicht mehr und nicht weniger. 

'Passt das noch?' Thomas Sauerbrey und Chris Hemmert besprechen das Outfit von Varieté-Gastgeberin Mechthild.
Foto: Diana Fuchs | "Passt das noch?" Thomas Sauerbrey und Chris Hemmert besprechen das Outfit von Varieté-Gastgeberin Mechthild.
Herr Hemmert, was würde Ihnen ohne Thomas Sauerbrey fehlen? Und was ohne Mechthild?

Chris Hemmert: Thomas ist mein Partner, im Juli sind wir 32 Jahre zusammen. Er würde mir sehr fehlen. Ohne Mechthild könnte ich leben. Allerdings fordert sie immer wieder meine Kreativität heraus. Sie wird zwar von Thomas verkörpert, aber im Hintergrund basteln wir beide an dieser Figur. Kostüme, Texte, Lieder – all das ist eine Gemeinschaftsproduktion. Heuer singt Mechthild auf der Bühne zwei Songs, die ich geschrieben habe. 

Pinsel und Pattex, Augenwimpern und Alleskleber: Mechthild Lavettes Schmink-Utensilien sind erstaunlich vielfältig.
Foto: Diana Fuchs | Pinsel und Pattex, Augenwimpern und Alleskleber: Mechthild Lavettes Schmink-Utensilien sind erstaunlich vielfältig.
Die Varieté-Show hat vor 20 Jahren als "Nacht der Toleranz" begonnen. Haben Sie Ihr Ziel erreicht: Ist die Gesellschaft toleranter geworden? 

Hemmert: Ich denke, in Bezug auf unsere Show schon, da haben viele Menschen ihre Scheu verloren und erfahren: Mit denen kann's verdammt lustig sein, und die haben die gleichen Sorgen und Nöte wie wir. Generell ist es aber teilweise zu einem queeren "Overload" gekommen, der eher dazu führt, dass wir in Sachen Toleranz wieder einen Rückschritt erleben.

Inwiefern?

Sauerbrey: In jeder Vorabendserie wird die "Quotentunte" serviert, überall hängen Regenbogenflaggen, Menschen wechseln ihr Pronomen wie ihre Kleider. Manche Leute nervt das. Uns auch manchmal.

Weil es zu viel Gedöns um die Sexualität ist?
Wimpern, Brüste, Schmucksteine und auch mal einen Kuli für Notizen: In Mechthild Lavettes Ankleideraum finden sich allerhand Utensilien, die für eine Show wie 'Varieté for Charity' unvermeidlich sind.
Foto: Diana Fuchs | Wimpern, Brüste, Schmucksteine und auch mal einen Kuli für Notizen: In Mechthild Lavettes Ankleideraum finden sich allerhand Utensilien, die für eine Show wie "Varieté for Charity" unvermeidlich sind.

Hemmert: Jeder Mensch hat so viele Aspekte. Die sexuelle Orientierung ist nur einer davon. Ich bin überzeugt davon, dass gesellschaftliche Veränderungen Zeit, Geduld und Nachsicht brauchen. Man darf den Leuten nichts überstülpen. Das erzeugt Trotz. Toleranz muss in beide Richtungen funktionieren. Als Schwuler muss man auch mal akzeptieren, wenn jemand diesen Lebensstil nicht so gut findet. 

Mechthild Lavette verfügt über tolle Glitzerschuhe. Doch eine Verletzung am Fuß sorgt dafür, dass das Anziehen und Tragen aktuell ziemlich weh tun.
Foto: Diana Fuchs | Mechthild Lavette verfügt über tolle Glitzerschuhe. Doch eine Verletzung am Fuß sorgt dafür, dass das Anziehen und Tragen aktuell ziemlich weh tun.
Sie leben und arbeiten in dem kleinen Dorf Handthal. Waren und sind Sie hier akzeptiert?

Sauerbrey: Wir sind nie offen angefeindet worden. Viele, die uns früher skeptisch beäugt haben, wissen mittlerweile, dass unser Leben sich nicht groß von ihrem unterscheidet.  

Dafür werden heute andere Menschen angefeindet, etwa Flüchtlinge. Warum? 

Hemmert: Wir erleben seit zehn Jahren einen unglaublichen Zustrom Geflüchteter. Dieser Zustrom trifft auf ein relativ schlecht darauf vorbereitetes Land. Die Menschen brauchen medizinische Versorgung, Wohnungen, Plätze in Kita und Schule – und vieles davon war schon vor 2015 knapp. Pandemie, Krieg und Wirtschaftskrise kamen obendrauf. In diesem reichen Land gibt es Menschen, die trotz Arbeit zu wenig zum Leben haben oder nicht von ihrer Rente leben können. Das erzeugt Angst und Wut. 

Halb Thomas, halb Mechthild: Chris Hemmert (im Spiegel) beobachtet die Verwandlung seines Partners Thomas Sauerbrey. Bis Mechthild Lavette fertig ist, dauert es geschlagene zwei Stunden.
Foto: Diana Fuchs | Halb Thomas, halb Mechthild: Chris Hemmert (im Spiegel) beobachtet die Verwandlung seines Partners Thomas Sauerbrey. Bis Mechthild Lavette fertig ist, dauert es geschlagene zwei Stunden.
Was tut man gegen Angst und Wut?

Hemmert: In der Ersthelfer-Ausbildung lernt man, dass man sich selbst als Erstes schützen muss, sonst kann man nicht helfen. Das hat Deutschland nicht gemacht. Wir brauchen eine Pause, um alles wieder auf Kurs zu bringen. Dann wird auch der Hass kleiner. Das ist ja nicht die erste Flüchtlingswelle, die dieses Land erlebt. Rückblickend hat Deutschland oft genug Wunder bewirkt! Ich wünsche mir Politiker, die den Menschen wieder Mut und Zuversicht geben. Ich wünsche mir eine Presse, die auch über das berichtet, was dieses Land trotz Rezession und unpünktlicher Züge in der Lage ist zu bewältigen. Wir haben immer noch die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Es ist Zeit, mit dem Jammern aufzuhören, anzupacken und Lösungen zu finden.

Was sollen die Besucher nach der Show in Wiesentheid mit in ihren Alltag nehmen?

Sauerbrey: Freude, Gelassenheit, Liebe – und die Überzeugung: Man kann Schweres überstehen!

Varieté for Charity

Programm: Für einen bunten Mix aus Akrobatik, Comedy, Dance Performance, Kabarett, Travestie, Magie und Musik sorgen Musikerin Steffi List, Illusionist André Blake, Strapaten-Sportler Majestic Luxor, Poledancerin Anne-Marie Kot, die Besuch-Brüder (Comedy-Clownerie-Inklusion), ein lokaler Shooting-Star sowie die Moderatorinnen und Travestie-Künstlerinnen Gina De L'Amore und Mechthild Lavette.

Tickets: Für die Show am 22. März in der Steigerwaldhalle (Jahnstraße 16, Wiesentheid, Einlass ab 18.30 Uhr, Beginn: 2 0 Uhr) gibt es Tickets zwischen 18 Euro (Kategorie 3) und 55 Euro (Kategorie 1) bei den Tourist-Infos Volkach und Gerolzhofen sowie online unter www.adticket.de und www.reservix.de.
Quelle: ldk
 
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  • Lisa Reschke
    Als Mechthild ist der Thomas eine Wuchtbrumme. Im richtigen Leben sind die zwei ganz tolle liebenswerte Menschen.
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