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Kitzingen
Preisschock und gegenseitige Vorwürfe: So heftig wird im Kitzinger Stadtrat um die Obdachlosenunterkunft gerungen
Die explodierenden Kosten haben das soziale Projekt ins Gerede gebracht. Wie der Stadtrat doch noch die Kurve bekommen hat und was jetzt auf der grünen Wiese geplant ist.
Trostlose Gegend: Im Kitzinger Notwohngebiet in der Tannenbergstraße sind derzeit auch die Obdachlosen der Stadt einquartiert.
Foto: Diana Fuchs | Trostlose Gegend: Im Kitzinger Notwohngebiet in der Tannenbergstraße sind derzeit auch die Obdachlosen der Stadt einquartiert.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 08.02.2024 21:59 Uhr

Eigentlich ist die heikle Lage allen klar: Seit Jahren versucht die Stadt Kitzingen im sogenannten Notwohngebiet in der Siedlung neuen Platz für Wohnungslose zu schaffen und die sozialen Spannungen so gut es geht aufzulösen. Mit fachkundiger Beratung, aber auch mit baulichen Lösungen. Lange haben Obdachlose und Mieter mit sozialen oder Suchtproblemen Tür an Tür gewohnt mit finanziell schwach gestellten Familien.

Mittlerweile hat die Stadt zwar ein Grundstück gefunden und ein Konzept für eine neue Obdachlosenunterkunft entwickelt. Jetzt aber gab es Streit um die Kosten, die sich inzwischen bei fast vier Millionen Euro bewegen. Der Bau geriet im Stadtrat bedenklich ins Wackeln. Im schlimmsten Fall hätte man wieder bei null anfangen und nicht nur 150.000 Euro Planungskosten in den Wind schreiben müssen.

Es begann am Donnerstagabend im Stadtrat mit einer Formalie. Noch vor Eintritt in die Beratungen stellte Wolfgang Popp (KIK) den Antrag, das Thema Obdachlosenunterkunft von der Tagesordnung zu nehmen. "Uns laufen die Kosten davon", so Popp. Sogleich stürzte sich das Gremium in eine inhaltliche Debatte, die Züge eines Glaubensstreits trug.

Rasch wurde klar, worum es Popp eigentlich ging: nicht das Thema zu beerdigen, sondern günstigere Alternativen prüfen zu lassen. Intensiv hatte er sich im Vorfeld mit den "Vorteilen der Modulbauweise" beschäftigt und dem Gremium – auf Basis schwer belegbarer Fakten – vorgerechnet, dass sich mit diesem "reinen Zweckbau" mindestens eineinhalb Millionen Euro einsparen ließen. Der Stadtrat, so sein Vorwurf, sei "mit Zahlen hinters Licht geführt" worden.

Die Obdachlosenunterkunft sieht 30 Betten auf zwei Etagen vor  

Oberbürgermeister Stefan Güntner (CSU) verwahrte sich gegen "Unterstellungen gegenüber der Verwaltung", hielt den Vorstoß ansonsten aber für "völlig legitim". Er sagte: "Wenn Sie noch die Richtung ändern möchten, dann jetzt und heute."

Klar war aber auch: Würde die Stadt noch einmal einen Kurswechsel vollziehen und sich auf die von Popp ins Spiel gebrachte Modulbauweise einlassen, wären nicht nur die bisher investierten Planungskosten verloren, sondern auch die mühsam erarbeiteten Zeit- und Baupläne. Diese sehen auf einem freien stadteigenen Grundstück ein zweigeschossiges L-förmiges Gebäude in Betonfertigbauweise vor, 30 Betten, 950 Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche. Einzelzimmer sind etwa 10, Doppelzimmer 20 Quadratmeter groß. Gekocht und geduscht wird in Gemeinschaftsräumen.

Schlicht und einfach: So sehen die Pläne für die neue Obdachlosenunterkunft aus. Die Kosten liegen inzwischen bei fast vier Millionen Euro.
Foto: Architekten Dold + Versbach | Schlicht und einfach: So sehen die Pläne für die neue Obdachlosenunterkunft aus. Die Kosten liegen inzwischen bei fast vier Millionen Euro.

Popp ging es nicht um die Pläne an sich – er machte seinen Vorstoß an den Kosten fest. Vor einem Jahr lagen sie noch bei geschätzt 2,6 Millionen Euro. Die jetzige Berechnung geht von 3,93 Millionen Euro aus – weil "ein paar Dinge im Grundriss" geändert wurden, wie Johannes Schrauth, der Leiter des Hochbauamts, sagte, sowie wegen der "Energiewende und Weltpolitik". Ein Gasbrennwertgerät koste 10.000 Euro, eine Wärmepumpe 100.000 Euro. Unterm Strich 50 Prozent mehr Gesamtkosten. Für Popp war das die Steilvorlage, zu schauen, wo es billiger werden könnte.

"Das ist Betonplattenbau à la DDR. Ich fühle mich in die Siebzigerjahre versetzt."
Klaus Sanzenbacher, Kitzinger Stadtrat

Im Stadtrat entzündete sich daraufhin eine Art Gelehrtenstreit. Thomas Rank (CSU), ein Mann vom Fach, meinte: Ob Fertig- oder Modulbauweise, "der Unterschied zwischen diesen Varianten ist nicht groß", weil es in beiden Fällen Bodenplatte, Fenster, Türen oder Haustechnik brauche. Andrea Schmidt (Grüne) schlug vor, einen Holzständerbau zu prüfen, ihr Antrag fiel aber mit 13:14 Stimmen durch. Von einem "Betonplattenbau à la DDR" sprach ihr Kollege Klaus Sanzenbacher (Grüne). Das sei pure Energieverschwendung. "Ich fühle mich in die Siebzigerjahre versetzt." Lars Goldbach (parteilos) sagte: "Ich finde diese Siebzigerjahre-Bauweise gar nicht so schlecht. Das ist schnell, einfach, effektiv."

Die Stadt, so erklärt der OB, dürfe nicht mit Anbietern verhandeln

Popp berichtete dem Gremium von seinen Recherchen bei mehreren Modulbau-Anbietern, musste sich aber vom OB belehren lassen, dass Kommunen – anders als private Bauherren – nicht mit Firmen über Preise verhandeln dürften. Andreas Moser (CSU) erklärte, wenn Popp behaupte, das Ganze um anderthalb Millionen Euro günstiger machen zu können, sei das eine "Irreführung vieler Stadträte". "Man wirft hier Zahlen in den Raum, die durch nichts belegt sind, und macht die Leute widerspenstig." Wenn schon, so wandte Stephan Küntzer (CSU) ein, hätte Popp seine Überlegungen und Berechnungen ja vorher mal an alle Stadträte verschicken können. Dann hätte man das seriös prüfen können.

Am Ende ging es nur um eine Frage: Schnürt man das von der Verwaltung gepackte Paket noch einmal komplett auf, was nach den Worten des OB einen weiteren Zeitverlust von bis zu einem Jahr bedeuten würde? Oder bringt man es jetzt auf den Weg und setzt es bis Ende 2025 um? Nur eine knappe Mehrheit von 16 Räten – 13 stimmten dagegen – sahen es so wie Küntzer: "Ich würde gerne einen Strich unter das Projekt ziehen und möchte, dass es weitergeht." Nach diesem positiven Grundsatzvotum kann es jetzt in die Umsetzung gehen. Geplanter Baubeginn: Anfang 2024.

 
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