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Kitzingen
Kitzinger Notwohngebiet: Wie die Stadt den Brennpunkt entschärft
Seit 2018 gibt es die Sozialberatung „Egerländer Straße“. Welche Hilfen gibt es dort? Wer kann sie in Anspruch nehmen? Und welche Erfahrungen machen Mitarbeiterinnen im Alltag?
Das Kitzinger Notwohngebiet Egerländer Straße in einer Aufnahme vom Dezember 2017. Schuhe am Baum zieren den Eingangsbereich.
Foto: Siegfried Sebelka | Das Kitzinger Notwohngebiet Egerländer Straße in einer Aufnahme vom Dezember 2017. Schuhe am Baum zieren den Eingangsbereich.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 10.02.2024 15:07 Uhr

Es ist ein sozialer Brennpunkt in der Stadt, ein Ort, an dem sich immer wieder Konflikte entladen. Seit Herbst 2018 gibt es für das Kitzinger Notwohngebiet eine Art Präventivteam, das sich diesen Konflikten widmet, möglichst noch bevor sie entstehen: die „Sozialberatung Egerländer Straße“. Dahinter stecken die Sozialpädagoginnen Christina Flurschütz und Melanie Kühn. Kühn ist neu, Flurschütz von Beginn an dabei.

Was sind das für Menschen, denen sie im Alltag begegnen, die sie betreuen und unterstützen? Mit welchen Problemen und Schicksalen haben sie zu kämpfen? „Hilfe zur Selbsthilfe“ wollen sie geben, sagt Kühn am Donnerstag im Stadtrat. Aber wie sieht diese Hilfe konkret aus?

Hinter jedem der 114 Menschen steht ein eigenes Schicksal

114 Menschen leben derzeit in den vier Wohnblocks in der Egerländer Straße, dem sogenannten Notwohngebiet: 70 Männer, 30 Frauen, drei Familien mit insgesamt sieben Kindern. Das sind die Zahlen. Aber hinter jeder einzelnen Zahl steht ein Schicksal: Langzeitarbeitslose und Gewaltopfer, Drogen- und Alkoholabhängige, psychisch und körperlich Kranke, Menschen in Lebenskrisen und Finanznöten, Männer und Frauen, die sich aufgegeben haben. Schwache, die einen starken Halt benötigen. Jemanden zum Reden und Anlehnen, der sie versteht und unterstützt, und sei es bei scheinbar banalen Dingen des Alltags.

„Es gibt Menschen, die es nicht schaffen, einen Antrag auszufüllen“, erzählt Melanie Kühn. „Manche haben im Leben noch nie einen Computer gesehen.“ Sie sagt das nicht anklagend – und man fragt sich, was diese Menschen getan haben, an wen sie sich wandten, als es dieses Angebot noch nicht gab.

Bundesweite Aufmerksamkeit erfahren das Notwohngebiet und seine Bewohner, als im Januar 2018 ein Filmteam von Stern TV vorbeikommt.
Foto: Diana Fuchs | Bundesweite Aufmerksamkeit erfahren das Notwohngebiet und seine Bewohner, als im Januar 2018 ein Filmteam von Stern TV vorbeikommt.

2600 Beratungsgespräche haben die Sozialpädagoginnen von der Caritas-Sozialberatung seit 2018 geführt. Vermittelten Wohnungen. Füllten Anträge aus. Nahmen Kontakt zu Ämtern und Behörden auf. Halfen bei Bewerbungsschreiben. Moderierten bei Streit in der Familie. Motivierten und ermunterten. Oder hörten einfach nur zu.

Manche brauchen bloß ein einziges Gespräch, andere bedürfen dauerhafter Betreuung. „Die Rückführung in ein selbstbestimmtes Leben ist der Idealfall“, sagt Kühn. Insgesamt 60 Stunden in der Woche sind die beiden vor Ort. Finanziert wird das Sozialprojekt von Stadt und Landkreis Kitzingen sowie Caritas-Verband und Diakonischem Werk, befristet bis September 2022.

OB und Stadträte sind für eine Fortsetzung des Projekts

Diese Befristung hängt derzeit wie ein Damoklesschwert über dem Projekt. Dabei ließen Oberbürgermeister Stefan Güntner (CSU) und andere Stadträte in der Sitzung am Donnerstag keinen Zweifel daran, dass die Sozialberatung über den Herbst 2022 weiterlaufen müsse. „Das war ein sehr wichtiger Schritt“, sagte Güntner, „eine unserer Sofortmaßnahmen.“ Bürgermeisterin Astrid Glos (fraktionslos), die der Sache auch persönlich sehr verbunden ist, sagte: „Das Projekt hat gegriffen. Die Akzeptanz ist da.“ Für Uwe Hartmann (Bayernpartei) ist es „erstaunlich, was da in kurzer Zeit geleistet wurde“.

Von Jens Pauluhn (ÖDP) kam die Frage, was an den „Gerüchten“ wahr sei, dass manche Wohnungen überbelegt seien, weil sich dort Freunde oder Bekannte einquartiert hätten. „Es gibt auch mal Besuch“, sagte Pfarrer Jochen Keßler-Rosa, der Vorsitzende des Diakonischen Werkes Schweinfurt-Kitzingen, „aber keine Überbelegung.“ Auch ihm liege an einer „qualifizierten Weiterentwicklung“ der Arbeit vor Ort.

Die Frage von Wolfgang Popp (KIK), ob es im Notwohngebiet „Erfahrung mit Obdachlosen“ gebe, verneinte OB Güntner – nicht zum ersten Mal und spürbar entnervt. „Es gibt in der Stadt Kitzingen keine klassischen Durchreisenden. Das habe ich Ihnen aber schon mehrfach erklärt.“

 
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