Im Prozess um zwei mutmaßliche Mordversuche an Bewohnerinnen eines Volkacher Pflegeheims steht die Würzburger Justiz vor einer Gratwanderung: Auf der Anklagebank sitzt ab diesem Mittwoch eine Pflegerin aus dem Landkreis Schweinfurt. Und angesichts der Erklärungen, die die 48-Jährige im Zuge der Ermittlungen bislang selbst abgab, kann man Entsetzen empfinden - oder Mitgefühl für sie.
Verteidiger betont: Pflegerin "stellte sich selbst"
Was den Fall aus Volkach (Lkr. Kitzingen) so anders macht als den des polnischen Hilfspflegers, der Senioren tödliche Insulinspritzen verabreicht hatte und im vergangenen Jahr in München zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde: Die Pflegerin handelte offenbar nicht aus Geldgier. Und sie wartete nicht, bis Ermittler sie überführten: "Sie stellte sich selbst und bekannte sich zu ihrer Tat", betont Verteidiger Peter Möckesch vor dem Prozess.
Mitarbeiter einer Klinik waren misstrauisch geworden, als im vergangenen November kurz nacheinander zwei Bewohnerinnen desselben Seniorenheims dort eingeliefert wurden. Laut Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach beide "mit schlagartig verschlechtertem Gesundheitszustand". Der Zustand der 80 und 85 Jahre alten Seniorinnen sei lebensbedrohlich gewesen. Wegen "der auffälligen und gleichgelagerten Krankheitsbilder in Verbindung mit der kurzen zeitlichen Abfolge der Einlieferung" informierte das Klinikpersonal die Kriminalpolizei.
Schnelles Geständnis als die Ermittlungen begannen
Die Untersuchungen erhärteten den Verdacht, dass beiden Frauen Insulin verabreicht worden war - ohne medizinische Indikation. Ermittlungen im Pflegeheim und beim dortigen Personal begannen. Kurz darauf stellte sich die 48-Jährige in der Polizeiinspektion Gerolzhofen und wurde festgenommen.
"Ansonsten hätten die Ermittler vielleicht noch monatelang suchen müssen und wären vielleicht gar nicht auf sie gekommen", sagt ihr Anwalt. Oberstaatsanwalt Seebach zufolge hat sich die Pflegerin "im Hinblick auf die Medikamentengabe geständig" gezeigt. Es habe keine weiteren Fälle gegeben.
Anwalt: "Sie stieß körperlich und psychisch an Grenzen"
Zwei kaltblütige Mordversuche? Verteidiger Möckesch hält dem vor Prozessbeginn die Motive seiner Mandantin entgegen: Gerade erst selbst von einer schweren Operation genesen, habe sich die 48-Jährige schwer getan mit der harten Arbeit in der Pflege. Die Personaldecke in dem Heim sei dünn gewesen. Die Pflegerin habe trotz ihrer Wiedereingliederung zwei demente Frauen betreuen sollen, "denen es seit Tagen schlecht ging", sagt Möckesch. Die Seniorinnen hätten unter heftigem Durchfall gelitten und nach Einschätzung der Angeklagten dringend Hilfe gebraucht.
Seine Mandantin habe sich mit der Situation völlig überfordert gefühlt: "Sie selbst stieß psychisch und körperlich selbst an ihre Grenzen. Sie hätte in Ihrem Zustand gar nicht in dem Bereich eingesetzt werden dürfen", erklärt ihr Anwalt.
Nicht aus Heimtücke, sondern aus Hilflosigkeit und Mitleid gehandelt?
Statt ihre "massive Überforderung" der Heimleitung zu offenbaren, habe die Pflegerin eine falsche Entscheidung getroffen – jedoch nicht aus Heimtücke, sondern aus Hilflosigkeit und Mitleid, meint der Verteidiger. Die Pflegerin spritzte den zwei alten Frauen Insulin und versetzte sie - um den Preis der Lebensgefahr - in eine offenkundige Notlage: Die beiden kamen ins Krankenhaus, wo es ihnen rasch besser ging.
Angeklagte vermindert schuldfähig?
Für den Prozess sei die Angeklagte von einer Sachverständigen begutachtet worden, die sie für intelligenzgemindert und aufgrund der massiven Überforderung für erheblich vermindert schuldfähig halte, sagt Mökesch. Ein Tötungsvorsatz habe zu keinem Zeitpunkt bestanden.
Nach der Verlesung der Anklage wegen zweifachen Mordversuchs an diesem Mittwochmorgen hat die 48-Jährige das Wort. Viel wird für sie davon abhängen, wie glaubhaft sie selbst den Richtern dann ihr Handeln erklärt.
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