zurück
Münsterschwarzach
Pater Anselm Grün über den Ukraine-Krieg: "Dass Christen Christen bekämpfen, darf nicht sein"
Dass der Moskauer Patriarch den russischen Krieg rechtfertigt, schmerzt den Benediktinerpater Anselm Grün. Für Menschen, die einen dritten Weltkrieg fürchten, hat er einen Rat.
Der Benediktinermönch und Autor Anselm Grün in der Abtei Münsterschwarzach.
Foto: Julia Martin/Abtei Münsterschwarzach via Vier-Türme-Verlag/dpa  (Archiv) | Der Benediktinermönch und Autor Anselm Grün in der Abtei Münsterschwarzach.
Daniel Wirsching
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:07 Uhr

Benediktinerpater und Bestseller-Autor Anselm Grün wirft Russlands Präsident Wladimir Putin vor, die Kirche in seinem Land für den Krieg gegen die Ukraine zu missbrauchen. Putin benutze den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. für seine Kriegspropaganda, sagt der bekannte Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach (Lkr. Kitzingen) im Interview. Anselm Grün war von 1997 bis 2013 Cellerar, also wirtschaftlicher Leiter der Benediktinerabtei Münsterschwarzach. Der 77-Jährige verteidigt außerdem die Waffenlieferungen aus Deutschland in die Ukraine.

Frage: Pater Anselm, haben Sie Angst vor einem dritten Weltkrieg, vor einem Atomschlag Russlands?

Pater Anselm Grün: Nein, denn ich vertraue darauf, dass letztlich die Vernunft über die Gewalt siegen wird. Ich glaube, Wladimir Putin weiß, dass ein russischer Atomschlag Selbstmord wäre.

Wie gehen Sie mit Ängsten um?

Grün: Ganz gleich, in welcher Situation ich mich befinde: Ich vertraue darauf, dass ich in Gottes Hand bin. Für mich ist das Gebet sehr wichtig – solange ich bete, habe ich Hoffnung.

Welche Kraft kann das Gebet haben?

Grün: Zunächst einmal: Wenn ich bete, bin ich nicht passiv. Die große Gefahr ist ja, dass wir uns vollkommen ohnmächtig fühlen, und Ohnmacht lähmt uns, macht uns depressiv. Gut ist es daher auch, mit anderen Menschen gemeinsam zu beten. Und dann steckt in jedem Gebet, gerade im Gebet um Frieden, die Hoffnung, dass die Welt eben nicht nur in der Hand der Mächtigen liegt. Dass Gott andere Gedanken in ihre Köpfe setzen kann – Gedanken des Friedens. Wir Benediktiner sprechen zudem von "ora et labora", "bete und arbeite". Beten soll uns durchaus inspirieren, etwas zu tun. Wir können den Krieg nicht beenden, aber jeder von uns kann eine versöhnende Sprache sprechen. Wir können spenden oder der Ukraine auf andere Weise helfen.

Waren Sie einmal in der Ukraine?

Grün: Ich habe vor einigen Jahren einmal einen Vortrag in Lwiw gehalten für die Stadtverwaltung, vor etwa 200 Mitarbeitern: "Führen mit Werten". Damals war ein Aufbruch zu spüren, die Hoffnung auf demokratische Strukturen.

Planen Sie nun, in Ihrem Kloster auch Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen – wie etwa die Benediktiner-Erzabtei St. Ottilien im oberbayerischen Landkreis Landsberg am Lech?

Grün: Wir haben in unserer Schule ukrainische Kinder aufgenommen und sie in Gastfamilien untergebracht. Unsere räumlichen Möglichkeiten im Kloster sind leider beschränkt – dort leben auch bereits Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan.

Bislang wurden Geflüchtete aus der Ukraine mit offenen Armen aufgenommen. Haben Sie die Sorge, dass diese Stimmung in Deutschland irgendwann kippen könnte?

Grün: Es ist jedenfalls schon zu spüren, dass vieles teurer wird wegen der Kriegsfolgen – das könnte möglicherweise die Stimmungslage beeinflussen. Umso wichtiger ist es, miteinander ins Gespräch zu kommen und im Gespräch zu bleiben.

Seitdem Russland die Ukraine überfallen hat, ist der Krieg wieder ganz nahe an Deutschland gerückt. Was löst er in den vielen Menschen aus, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt haben?

Grün: Ich habe oft bemerkt, wie da die Erinnerungen hochkommen. Die Menschen erzählen auf einmal wieder von ihren Erfahrungen im Bunker, von den Sirenen, die Luftangriffe ankündigten... Es sind traumatische Erfahrungen. Ich erlebe auch andere Menschen, die regelrecht gelähmt sind vor Angst. Sie schauen nicht einmal mehr die Nachrichten im Fernsehen.

Was sagen Sie all diesen Menschen?

Grün: Die Angst ist ja da, und man sollte sie nicht verdrängen. Aber man kann diese Angst Gott hinhalten, man kann ihn um seinen Schutz und um seinen Segen bitten.

In Ihren Gesprächen dürfte es auch um die Fragen gehen: Warum lässt Gott all das Leid, all die Zerstörung zu? Wo ist Gott denn überhaupt?

Grün: Das stimmt, diese Fragen kommen immer wieder. Und ich sage immer wieder, dass ich die Frage nach dem "Warum" nicht beantworten kann. Gott ist der Unbegreifliche – und dennoch ist er vor allem eines: Liebe. Daran halte ich mich fest.

Was denken Sie dann, wenn Sie von den Aussagen des Moskauer Patriarchen Kyrill I., Vorsteher der russisch-orthodoxen Kirche, hören? Zuletzt behauptete er, Russland führe keinen Angriffskrieg und wolle keinem Land schaden...

Grün: Es ist sehr bitter, dass sich Kyrill von Putin derart missbrauchen lässt und den Krieg rechtfertigt – noch dazu, wo es in der Ukraine auch viele russisch-orthodoxe Christen gibt. Dass Christen Christen bekämpfen, darf nicht sein. Kyrill ist dafür blind geworden, und es tut einfach weh, wenn er im Namen des Glaubens Krieg rechtfertigt.

Sie sind am 14. Januar 1945 in einem Dorf im äußersten Nordosten Bayerns geboren worden – das war später "Zonenrandgebiet", bis zur innerdeutschen Grenze waren es um die 20 Kilometer. Wenn Sie sich das bewusst machen – ein beängstigendes Gefühl?

Grün: Es kann so schnell geschehen, dass man in Auseinandersetzungen, in einen Krieg hineingezogen wird.

Wäre es zu Zeiten des Kalten Kriegs zu einem "heißen" gekommen, wäre Ihr Geburtsort Junkershausen womöglich zum Schlachtfeld geworden.

Grün: Ja, es kann so schnell gehen... Mein Vater war von 1923 an in München, 1935 heiratete er, 1938 bauten meine Eltern in Lochham bei München. 1944 ist es in Lochham aber zu gefährlich geworden, sodass meine Eltern mit meinen Geschwistern nach Junkershausen kamen, wo ich geboren wurde. Im August 1945 gingen wir dann alle zurück nach Lochham. Dort in der Nähe befanden sich die Flugzeugwerke von Dornier, die bombardiert worden waren. Auf Spaziergängen mit meinem Vater habe ich lange danach noch die Kriegsschäden gesehen.

Was erzählte er Ihnen über den Krieg?

Grün: Er erzählte mir einmal von einem Freund, mit dem er sich während dessen Fronturlaub getroffen hatte. Der Freund hatte ein jüdisches Kind zur Exekution führen müssen – es habe ihn "Papa" genannt. Er sagte damals zu meinem Vater, er werde nicht mehr aus dem Krieg zurückkehren. Er ist dann auch gefallen. Mein Vater musste selbst noch in den sogenannten Volkssturm gegen Ende des Krieges. Am 7. April 1945 war die Erstkommunion meiner Schwester – er lief 90 Kilometer zu Fuß nach Junkershausen, um dabei sein zu können. Er lief immer nachts – aus Angst vor den Tieffliegern tagsüber.

Zurzeit wird eine aufgeheizte Debatte darüber geführt, ob Deutschland schwere Waffen an die Ukraine liefern sollte oder nicht.

Grün: Das ist wirklich keine leichte Frage, und ich kann sie auch nicht so leicht beantworten. Ich will natürlich keine weitere Eskalation, aber es ist auch wichtig, die Ukraine zu unterstützen. Wichtig ist mir, dass man auf jeden Fall beide Wege geht: Verhandlungen und Waffenlieferungen. Mit Waffenlieferungen allein schafft man nur noch mehr Unheil.

Kann Papst Franziskus noch vermitteln? Er wurde ja dafür kritisiert, dass er Putin nicht klar als Aggressor benannt hat.

Grün: Das gehört zur Diplomatie. Er bemüht sich aber tatsächlich sehr um einen Frieden. Er hat auch schon versucht, mit Putin in Moskau sprechen zu können. Der lehnte das Angebot ab. Ich jedenfalls halte es für wahrscheinlich, dass die Ukraine und Russland letztlich miteinander eine Lösung werden finden müssen.

Sie reden auch mit Russen oder Russlanddeutschen. Was erleben Sie dabei?

Grün: Verunsicherung. Und auch hier: Wir Deutsche müssen die Kontakte halten – die menschlichen wie die kulturellen. Es darf keine Feindschaft zwischen den Völkern entstehen.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Münsterschwarzach
Angriffskriege
Anselm Grün
Kriegsfolgen
Russisch-Orthodoxe Kirche
Ukraine-Russland-Krieg
Wladimir Wladimirowitsch Putin
Zweiter Weltkrieg (1939-1945)
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • M. S.
    Ja, es darf nicht sein, passiert aber ständig. Und oft früher sogar mit dem Segen der Kirche. Auch das ist Tatsache.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • U. A.
    Respekt vor dem was der Pater sagt. Wäre schön wenn seine Vorgesetzten "auch mal das M... aufbekämen",

    Davon abgesehen kann man bei Putin und seinen Anhängern und Komsomolzen nicht von Christen sprechen. Das sind Teufelsanhänger, Ausgeburten aus dem Schlund der Hölle, egal ob in RUS oder Deutschland.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • J. F.
    Die Überzeugung an Gottes Liebe und Gerechtigkeit ist die Grundlage unseres christlichen Glaubens. Dabei macht es Gott uns nicht leicht. Das Leben beinhaltet auch den fast täglichen Kampf gegen das allgegenwärtig Böse. Wir alle stehen vor der ständigen Entscheidung, auf welche Seite wir uns schlagen. Das Gebet ist ein wichtiges Hilfsmittel. Gott ist stets präsent. Wir sind gefordert, Tatkraft zu suchen und auch zu finden. Daraus das Notwendige zu tun in christlicher Nächstenliebe und Verantwortung. Gottes Richtlienkompetenz ist für uns oft nicht und manchmal sogleich nicht erkennbar. Doch habe ich mich immer wieder gewundert, wie Gott über unsere anfängliche Vorstellung hinaus letztlich alles Geschehen auf dieser Welt zum Guten führt. Diktatur und Aggression haben auf Dauer keine Chance. Gott prüft uns alle hin zu schließlicher Erkenntnis, dass wir auf der Welt sind, gottesfürchtig Gutes zu tun. Zuweilen auch in mutiger Wehrhaftigkeit, doch stets in Demut vor ihm.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • G. B.
    Das Menschen Menschen bekämpfen darf nicht sein.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • S. K.
    sehr richtig, unabhängig vom Glauben ist kriegerische Gewalt von Menschen gegenüber anderen Menschen an sich ein no go...
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • J. F.
    Anselm Grün über den Ukraine-Krieg: "Dass Christen Christen bekämpfen, darf nicht sein" --- Aber am Ende sind auch Christen in erster Linie Primaten und eine Heimstatt für Gier, Hass und Dummheit.

    --- Wenn die Christen das Ebenbild Gottes sind, dann lässt diese Perspektive Schlimmes befürchten.

    Grün: „Er (Papst Franziskus) bemüht sich aber tatsächlich sehr um einen Frieden. Er hat auch schon versucht, mit Putin in Moskau sprechen zu können.“
    --- Hier stoßen wohl Diplomatie, Plazebos und auch der ‚Stellvertreter Christi auf Erden’ an ihre Grenzen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • K. F.
    lieber pater anselm, ihr wort in gottes gehörgang. aber für mich ist putin kein christ, höchstens ein tiktaor und agressor und wie man laut bibel sagen könnte ein judas iskariot, er hat auch jesus verraten und putin verrät sein eigenes land und legt die ukraine in schutt und asche. dieser falsche hund gehört einfach weg! hier würde ich mit dem alten testament sagen: auge um auge - zahn um zahn, und das sehr langsam bei diesen verbrecherischen teufel.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten