Planlos, ziellos, antriebslos: Die Zahl der Jugendlichen, die auf der Zielgeraden ihrer Schullaufbahn derart unmotiviert durchs Leben steuern, steigt im Landkreis Kitzingen – sogar „merklich“, wie aus der Antwort des Landratsamts auf eine Anfrage der SPD-Kreistagsfraktion hervorgeht.
„Außergewöhnlich hoch“ seien die Zahlen im längerfristigen Vergleich, heißt es dort. Binnen eines Jahres, von 2017 bis 2018, hat sich die Quote der Schulabgänger ohne Abschluss an den allgemeinbildenden Schulen fast verdoppelt: von 40 auf 73 und damit auf 5,9 Prozent, was leicht über dem bayerischen Mittel liegt. Was ist los mit unseren Schülern im Landkreis? Und vor allem: Wie kann ihnen geholfen werden?
Kein Arbeitsplatz, keine Perspektive, ein Teufelskreis
In der Regel sind es Jugendliche an Mittel- und Förderschulen, die durchs Bildungsraster fallen; sie machen 65 der 73 Fälle in 2018 aus. Unter ihnen sind 17 ausländische Schüler, bei denen die Quote deutlich höher liegt, nämlich bei rund 18 Prozent. Ohne Abschluss aber keine Ausbildungsstelle und später kein Arbeitsplatz, ohne Arbeit keine Perspektive, ein Teufelskreis beginnt, der spätere Weg ist vorgezeichnet.
Im besten Fall landen die Abbrecher bei Robert Schöfer und Birgit Haberkamm am Beruflichen Schulzentrum (BSZ) Kitzingen/Ochsenfurt und versuchen dort im Rahmen der Berufsvorbereitung doch noch die Kurve zu kratzen. „Das setzt den Willen der Schüler voraus“, sagte Haberkamm am Montagnachmittag im Jugend- und Familienausschuss des Kreistags. Als Fachlehrerin für Berufsintegration kennt sie sich aus mit schwierigen Fällen, mit „Schülern, die absolut motivationslos sind und keine Perspektive sehen“.
Sie weiß, dass hinter diesen Fällen manchmal „tragische Biografien“ stecken: Jugendliche, die depressiv sind, die psychische Probleme oder körperliche Leiden haben, die zwischen Vater und Mutter hin- und hergeschoben werden.
Für diese Jugendlichen darf die Schwelle nicht zu hoch sein, die Schule oder staatliche Anlaufstellen mit ihren Schutz- und Zufluchtsräumen bieten. Betreuungs- und Hilfsangebote müssen Vertrauen wecken und dort ansetzen, wo der Schüler mit seinen Problemen steht. Für Haberkamm ein mühsamer, aber lohnender Prozess. „Es kommen viele Frustrierte bei uns an“, sagt die Berufsschullehrerin. „Wir geben ihnen die Möglichkeit, noch ins System reinzurutschen.“
Die Berufsschule versucht es mit Kreativität
Wie das gelingt? Mit Kreativität und Anleihen aus der „Erlebnispädagogik“, klassischen Teambildungsspielen etwa, mit denen Gemeinschaft gestärkt und der einzelne aufgefangen wird. „Durch persönliche Ansprache“, wie der stellvertretende Schulleiter Schöfer ergänzt. Von September an sollen Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz haben, aber weiterhin schulpflichtig sind, nach Verlassen der Regelschule ein Jahr lang täglich die Berufsschule besuchen. Das Modell löst die bisherigen Tages- oder Wochenblöcke, die sich über drei Jahre streckten. Für Schöfer hat das Modell durchaus Vorteile, der Kontakt zu den Schülern werde enger, vertrauter. Für manche erhöhe sich aber auch die Schwelle, zur Schule zu kommen.
Politik und Wirtschaft hoffen durch die Neuausrichtung die Schieflage beseitigen zu können, die es in Deutschland seit Längerem gibt: einen Mangel an Lehrlingen und Auszubildenden, vor allem im Handwerk, einerseits und eine wachsende Zahl an Schulverweigerern andererseits. Für Kreisrätin Astrid Glos (SPD) muss das Angebot an solche Schüler mit Problemen früher ansetzen, etwa durch gezielte Nachhilfe oder engere Abstimmung mit deren Lehrern.
Auch Robert Finster (SPD) sagte bei der Aussprache im Kreistag, man dürfe sich mit dem Status quo nicht einfach abfinden. Landrätin Tamara Bischof erinnerte an die vielfältigen Angebote der letzten 20 Jahre und sagte, kreative Ideen werde man gerne umsetzen. Sie sagte aber auch: „Wir werden es nicht schaffen, alle Schulverweigerer einzufangen.“