Der Brexit ist Gift für die deutsche Wirtschaft, der US-Handelsstreit sowieso: Was man allenthalben von Experten zu hören bekommt, interessiert Menschen wie Dieter Ehrenfels wenig. Der Mann ist Polier. Tag für Tag ist er als Maurer für eine Firma in Birkenfeld (Lkr. Main-Spessart) auf Baustellen unterwegs und weiß, was das Handwerk im Alltag bewegt: Brexit und Trump sind es jedenfalls nicht.
Statt der Weltpolitik treibt Ehrenfels und seine Kollegen vielmehr die Frage um, wie sie mit all der Arbeit rumkommen. Kein Wunder: Dem Handwerk in Unterfranken geht es seit acht, neun Jahren hervorragend. Dass für Ehrenfels und Co. der Arbeitstag bisweilen doppelt lang sein müsste, hat auch einen anderen Grund: Dem Handwerk fehlt es nach wie vor an Auszubildenden und Fachkräften. Fast in jedem Betrieb der Region hört man seit Jahren den Chef sagen: Ich bräuchte dringend mehr Leute.
1000 Lehrstellen in Unterfranken sind frei
Dieser Mangel wurde am Donnerstag erneut deutlich, als die Handwerkskammer für Unterfranken in Würzburg Zahlen für 2018 vorlegte. Demnach sind in den 18 500 Kammerbetrieben mehr als 1000 Lehrstellen unbesetzt geblieben. Die Zahl der 2018 abgeschlossenen Ausbildungsverträge lag mit knapp 2700 um 5,6 Prozent unter dem Vorjahreswert.
Die Zahl der neuen Lehrverträge geht in Unterfranken in der Tendenz seit 2010 zurück. Damals waren es im Vergleich zu heute 15 Prozent mehr. Hauptgeschäftsführer Ludwig Paul sieht einen der Gründe in den Schulen: Vor zehn Jahren habe es im Kammergebiet etwa doppelt so viele Absolventen der Mittelschule gegeben - jener Personenkreis also, aus dem nach wie vor die meisten Auszubildenden im Handwerk kommen (47 Prozent).
- Mit Podcasts macht die Handwerkskammer neuerdings auf ihre Top-Themen aufmerksam
Zwar ist im Gegenzug die Zahl der Lehrlinge mit Abitur in den vergangenen zehn Jahren von 2,3 auf 9,5 Prozent gewachsen. Doch die Gymnasiasten fangen den generellen Abwärtstrend bei weitem nicht auf. Schon deshalb nicht, weil unter Abiturienten und deren Eltern nach wie vor ein Studium als erste Wahl angesehen werde und eben nicht einer der 130 Ausbildungsberufe im Handwerk, so Paul.
"Wer nicht ausbildet, bekommt keine Fachkräfte"
Kammerpräsident Walter Heußlein wurde auch am Donnerstag nicht müde, seine Zauberformel zu verkünden: "Wer nicht ausbildet, bekommt keine Fachkräfte." Über den Alltag eines Handwerkers gebe es "ein falsches Bild in unserer Gesellschaft": Längst seien die Berufe mit top-modernen Hilfsmitteln ausgestattet, so dass sich kein Dachdecker oder Maurer "heute noch kaputtschuften muss". Zudem seien Robotik und andere Formen der Digitalisierung längst in viele Handwerksberufe eingezogen, was sie schon deshalb für junge Menschen attraktiv mache.
Wie mit solchen Worten sind die Verantwortlichen im unterfränkischen Handwerk seit Jahren bemüht, für die Vorzüge dieser Berufe in der Öffentlichkeit zu werben. Neben Imagekampagnen folgen diesem Bemühen auch in anderer Hinsicht Taten: Die Handwerkskammer wird nach Darstellung von Hauptgeschäftsführer Paul heuer drei neue Mitarbeiter im Bereich Ausbildungsberatung einstellen. Hinzu kommt ab Mitte des Jahres ein technischer Berater für jene Unternehmen, bei denen ein Generations- und damit Chefwechsel ansteht.
Noch so eine Riesenhürde. Denn ungefähr ein Drittel der Inhaber von Einzelunternehmen im unterfränkischen Handwerk ist älter als 55 Jahre. In der Folge steht in einem Drittel der 18 500 Betriebe des Kammerbezirks die Unternehmensnachfolge an - häufig mit offenem Ausgang. Auch hier sieht sich die Kammer gefordert: Paul zufolge geht es bei 40 Prozent aller betriebswirtschaftlichen oder technischen Beratungen von Betrieben um das Thema Unternehmensnachfolge.
Doch wer wagt heutzutage noch den hürdenreichen Schritt in die Selbstständigkeit, wenn ihm gerade aus der Industrie feste und gut bezahlte Jobs regelrecht hinterher geworfen werden? Paul ist es wichtiger hervorzuheben, dass gerade jetzt in Zeiten des brummenden Geschäfts eine Betriebsübernahme attraktiv sei.
Rekord, was die gute Laune angeht
Der Hauptgeschäftsführer bezog sich vor der Presse auf die jüngste Konjunkturanalyse seiner Kammer, wonach 95,2 Prozent der Handwerksbetriebe in Unterfranken mit ihrer Situation mindestens zufrieden sind. Das sei ein Rekordwert, sagte Präsident Heußlein. Auch die Auslastung der Betriebe (82,5 Prozent) und die Auftragsreichweite (11,5 Wochen) seien so gut wie noch nie.
Kehrseite der Medaille: Kunden müssten "gegebenenfalls länger auf einen Termin beim Handwerker warten" so Heußlein. Und: Weil der Wareneinkauf für die Handwerksfirmen teurer geworden sei, "müssen sich Verbraucher leider auf steigende Preise einstellen".
Damit Betriebe und potenzielle Nachfolger zueinander finden, gibt es seit wenigen Wochen unter www.hwk-ufr.de/betriebsboerse eine Datenbank. Wer einen Ausbildungs- oder Praktikumsplatz im unterfränkischen Handwerk sucht, kann mit der kostenlosen App "Lehrstellenradar" oder im digitalen "Lehrstellenatlas" der Kammer fündig werden.
2. Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik (703/13)
3. Anlagenmechaniker Sanitär, Heizung, Klima (623/8)
4. Metallbauer (371/9)
5. Friseur (357/288)
6. Schreiner (322/43)
7. Maler, Lackierer (306/27)
8. Lebensmittel-Fachverkäufer (285/243)
9. Feinwerkmechaniker (250/8)
10. Kaufmann für Büromanagement (229/170)