Das "Speed-Dating" ist in vollem Gange. Zwei Minuten haben die Studenten der Sonderpädagogik und die Schüler des Berufsvorbereitungsjahres (BVJ) Zeit, sich gegenseitig zu beschnuppern, dann wird ein Platz weiter gerutscht. Wie alt bis du? Was hast du für Hobbies? Was möchtest du mal beruflich machen? Diese und viele weitere Fragen werden im "Speed-Dating" beantwortet. Dass es Spaß macht, ist den Jugendlichen anzusehen - auch, wenn es um eine ernste Sache geht: Ihre weitere schulische und berufliche Laufbahn, genau genommen auch irgendwie ihr Leben.
So will die 15-jährige Celine gerne Einzelhandelskauffrau werden, der 16-jährige Alex möchte gerne als Lagerist arbeiten und Mitschüler Dennis ist sich nicht ganz sicher, ob er wirklich mal Koch wird. Sein Traumberuf wäre es aber schon. Ein 20-jähriger junger Mann aus Afghanistan träumt indes von einer Lehre als Zimmermann, andere Jugendliche haben einfach noch gar keinen Plan.
Verändert sich die Perspektive?
Keinen Plan zu haben - das hören die Lehrerinnen Katharina Purucker und Kathrin Wirsching nicht zum ersten Mal von Schülern des BVJ. "Oft ist es eine schwierige Situation zuhause, die die Schüler daran hindert, einen Schulabschluss zu machen", spricht Purucker aus ihrer Praxis-Erfahrung. Aber auch das Fehlen der Arbeitsmoral, Lernfrust, das Abdriften auf die schiefe Bahn und eine "Null Bock auf gar nichts"-Mentalität seien Gründe, die es schwierig machten, in einer Ausbildung unterzukommen.
"Manche Jugendlichen wissen überhaupt nichts mit ihrem Leben anzufangen. Sie wirken einfach verloren", pflichtet Wirsching ihrer Kollegin bei. Hinzu komme die Problematik bei jugendlichen Flüchtlingen. Hier spielen das Trauma der Flucht sowie sprachliche Barrieren eine große Rolle. Eines ist klar: "Unsere Schüler brauchen besondere Zuwendung", ist sich Purucker sicher.
Vielleicht verändert sich ja schon im laufenden Schuljahr für manche Schüler die Perspektive. Denn ein neues Projekt - das Schülercoaching - soll den Jugendlichen Unterstützung geben und im besten Fall zum erwünschten Ausbildungsplatz führen. Die Idee: In Kooperation mit dem Lehrstuhl Sonderpädagogik I der Universität Würzburg übernimmt jeweils ein Studierender für die Dauer eines Semesters die freiwillige und individuelle Begleitung eines Schülers des BVJ und unterstützt diesen auf seinem Weg von der Schule in den Beruf.
Die Inhalte des Coachings sind ausgerichtet am Unterstützungsbedarf der Jugendlichen, erklärt Wirsching, die gemeinsam mit Purucker das Projekt anleitet. Neben Fächern wie Deutsch, Mathematik oder Wirtschaft sollen die Jugendlichen auch an ihrem Arbeits- und Sozialverhalten arbeiten. Stichworte seien da unter anderem Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz sowie Kritikfähigkeit und Leistungsbereitschaft. "Auch müssen unsere Jugendlichen lernen, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen", so Purucker.
Vertraulich mit Informationen umgehen
Beim Schülercoaching geht es darum, dass eine Person, die keine Noten gibt, den Schülern regelmäßig unter die Arme greift, sie begleitet und fördert: "Schön wäre es, wenn eine Art Vertrauensverhältnis zwischen den Studierenden und Schülern entsteht. Deshalb bitten wir die Coaches, vertraulich mit Gesprächen und Informationen umzugehen", sagt Wirsching. Unterstützung gibt es auch von Schulleiter Wilhelm Ott: "Wir stecken an unserer Schule seit Langem viel Kraft und Energie in die Klasse des BVJ. Schön wäre es, wenn das Projekt den Jugendlichen hilft, ihren Weg zu finden."
Die Studentin der Sonderpädagogik, Mara Höner, ist schon gespannt, wen der 16 Schüler der diesjährigen BVJ-Klasse sie coachen wird. Neben all der Theorie an der Uni sei das Projekt eine willkommene Abwechslung. "Hier bekomme ich Einblicke in die Praxis und kann meine Lehrerpersönlichkeit weiterentwickeln", so die junge Frau. Mit ihrer Teilnahme am Coaching können die Studierenden den "Fremdschein 'L' (für Lehrbeeinträchtigung) erwerben.
Für die Studentenseite organisiert Lehrbeauftragte Susanne Groll diesen und andere Praxiseinsätze, federführend ist Professor Stephan Ellinger vom Lehrstuhl für Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen (Sonderpädagogik I) für die Kooperation verantwortlich. "Es ist eine Win-Win-Situation. Die Schüler bekommen qualifizierte Unterstützung und die Studierenden eine tolle Möglichkeit, ihre Praxiserfahrung zu erweitern", so Groll.
Positive Resonanz der Jugendlichen
Studentin Dina ist nach dem "Speed-Dating" über die positive Resonanz der Jugendlichen überrascht. "Die Schüler haben wirklich angefangen von sich zu erzählen. Sie haben Träume und Wünsche wie wir alle." Sie freue sich darauf, als Coach an die Interessen der Schüler anzuknüpfen und "sie dort abzuholen, wo sie stehen".
Beim ersten Treffen stehe das Kennenlernen von Coach und Coachee an erster Stelle, und Stärken und Schwächen des Schülers werden gemeinsam herausgearbeitet, erklärt Purucker. Läuft es nach Plan, sollen beim zweiten Treffen Förderschwerpunkte festgelegt und erste Ziele gesteckt werden.
Diese Redaktion wird das Projekt über ein Semester hinweg begleiten und schauen, wie sich die schulischen und beruflichen Aussichten der jungen Leute entwickeln.