Wer umzieht, nimmt Lieblingsstücke mit ins neue Zuhause. Für Philipp war deshalb klar: Der Totenkopf muss mit. Jetzt steht der besondere Blumenübertopf nicht mehr im Blindeninstitut Würzburg, sondern in seinem neuen Zimmer in Kitzingen. Gemeinsam mit elf anderen Bewohnern ist er am zweiten Septemberwochenende in die neu errichtete Wohn- und Förderstätte in der Siedlung gezogen. Wie es ihm dort gefällt? "Gut!", sagt der 33-Jährige. "Hier habe ich ein eigenes Bad. Das ist am schönsten."
Im Juni 2021 kam die Zusage für den Bau des Projekts "Kitzingen I" der Blindeninstitutsstiftung Würzburg, im November rückten die Bagger an, im Juni 22 war Richtfest und im September 23, wie geplant, der Einzug der ersten Bewohner. Zwölf Erwachsene mit Blindheit, Sehbehinderung und weiteren körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen leben nun in den neuen Räumen, weitere zwölf werden folgen.
Wohnstätte ist fertig, Förderstätte noch nicht
Während die Wohnstätte mit den vier Sechsergruppen baulich fertig ist, arbeiten in der Förderstätte gleich nebenan, die 32 Menschen in vier Arbeits- und Werksgruppen Platz bieten wird, noch die Handwerker. "Jetzt kommen wir erst mal in kleinen Schritten an", sagt Sabine Tracht, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. "Das braucht Zeit. Und die nehmen wir uns."
Breite Gänge und Türen, rechte Winkel, gleich oder spiegelbildlich aufgeteilte Räume. Helle Wände und dunkle Böden in den normalen Räumen, dunkle Wände und helle Böden in den Bädern. Viel Licht. Farblich abgehobene Schalter dort, wo die Bewohner sie selbst betätigen können und sollen, weiße Schalter auf weißem Grund für komplexere Steuerungen, die von den Mitarbeitern übernommen werden. Bauen für Menschen, die kaum sehen und weitere Beeinträchtigungen haben, sieht anders aus als für ein 0-8-15-Eigenheim.
Viele neue Mitarbeiter
Eine Mitarbeiterin ist vom "Blindi" in Würzburg mit nach Kitzingen gekommen, die anderen sind alle neu. Etwa 60 werden es werden, wenn alle Bereiche fertig sind, viele von ihnen sind seit Anfang September tätig. Es gilt, sich kennenzulernen, zu erkunden, wer wer ist, wer was kann, wer wie kommuniziert.
An der Stimme erkennt Philipp manche Mitarbeiter. Andere Bewohner mit Taubblindheit erkennen die Mitarbeiter an einem Bezugsobjekt wie einem Perlenarmband oder einem anderen Utensil. Manche Klienten, die besser sehen, kommunizieren über Gebärden. Sabine Tracht formt in der Luft einen Kreis, klopft dann mit ihren Fäusten aufeinander. So signalisiert sie ihre Aufgabe, die Öffentlichkeitsarbeit.
Frühere Betreuer begleiten den Übergang ins neue Zuhause
Um Bewohnern und Mitarbeitern das Eingewöhnen zu erleichtern, begleiten auch die früheren Betreuungskräfte den Übergang ins neue Zuhause. Sie haben gemeinsam mit den Klienten "Ich-Bücher" angelegt. Über die Frauen und Männer selbst, ihre Familien, ihre Freunde, ihre Hobbys. Das zeigt Fatma Kilic-Temiz, Bereichsleitung Kitzingen, während sie durch einen der Ordner blättert.
Symbolbilder und bunte Kreise informieren darüber, was die Menschen können und wobei sie Hilfe brauchen. Auch die Tätigkeiten im Haushalt bleiben da nicht außen vor: Wer mithelfen kann, die Spülmaschine auszuräumen, darf und soll das gerne tun. "Wir sind kein Krankenhaus", sagt Philipp Müller, Ressortleiter Erwachsene im Blindeninstitut. "Wir sind ein Zuhause."
Teilhabe ist wichtig. Es gibt Aufenthaltsbereiche, zum Essen, zur Beschäftigung. Gemütliche Wohnbereiche mit großen Fernsehern. Herde mit Höhenverstellung, die extra angefertigt wurden. So kann jeder, der will, mitmachen, wenn gekocht und geschnippelt wird, man kann zuschauen, dabei sein, egal wie groß oder klein man ist, ob im niedrigen Rollstuhl oder im hohen elektrischen, oder gar im Pflegebett.
Einiges ist noch zu tun im neuen Zuhause. Individuelle "Tagesstrukturleisten", die der zeitlichen Orientierung dienen, sind noch nicht ganz fertig. Daran hängt dann zum Beispiel ein Wochenplan, mit einem Frotteetuch am Montag als Zeichen dafür, dass dann gebadet werden kann im neuen großen Bad mit Hubbadewanne, Deckenlifter und Duschliege. Es steht neben den kleineren Bädern in den Zimmern für alle zur Verfügung. Die Bewohner können an ihren eigenen Zimmern ebenfalls Bezugsobjekte anbringen, als Zeichen für die anderen, wer wo wohnt.
Siedlung und Stadt sollen zur neuen Heimat werden
Philipp findet es spannend, jetzt in Kitzingen zu leben. Auch wenn in den ersten Tagen noch nicht alles wie gewohnt lief. Die Physiotherapeutin, die mit ihm Krankengymnastik macht, war ein paar Tage nicht da. Und arbeiten kann Philipp auch noch nicht, weil die Förderstätte noch nicht fertig ist. Am liebsten wäre ihm "echte Werkstattarbeit" mit Werkzeugen. "Oder vielleicht hat die Gärtnerei was für mich. Ich mag Pflanzen", erzählt der 33-Jährige. Gemeinsam mit den Mitarbeitern, Sozialpädagogen und anderen Fachkräften wird sich etwas finden, was Philipp kann und was ihm gefällt.
Eine neue Heimat soll nicht nur das Gebäude sein, sondern die ganze Siedlung und die Stadt. Spazieren gehen, an den Main fahren, Schwimmen gehen, Eis essen.... Das alles soll zum Alltag gehören, wie es der Einkauf im nahegelegen Lebensmittelmarkt schon ist. Im neuen Sozialraum dazugehören, das ist wichtig. "Wir sind hier nicht in erster Linie Bewohner des Blindeninstituts", betonen Fatma Kilic-Temiz und Philipp Müller. "Wir sind Kitzingerinnen und Kitzinger."