Die Türen sind verschlossen, die Fenster vernagelt, und wer von hinten durch den Garten kommt, wird empfangen von Barrieren von Wildwuchs. Das verwunschene alte Gebäude hat sich im Lauf der Jahrzehnte nach Kräften gegen ungebetenen Besuch gewappnet. Dornenreiches Gestrüpp hält jeden Gast auf Abstand, und so bleibt zunächst nur der Rückzug und der Versuch einer Annäherung auf anderen Wegen.
Scheinbar unvermittelt ist dieser Lost Place am Kitzinger Stadtrand zuletzt wieder in den Fokus gerückt. Hunderttausende Menschen haben den dazugehörigen Beitrag im sozialen Netzwerk Facebook gesehen. Viele stellen sich die Frage: Was wird aus dem kleinen Häuschen? Und tatsächlich: Dieser Ort ist längst nicht mehr so lost, wie er nach außen wirkt. Hier ist gerade einiges in Bewegung.
Jeder kennt das kleine Natursteingebäude neben dem Möbelmarkt JYSK, und wer es nicht kennt, hat davon gehört. Einst Wohnhaus, seit Jahrzehnten Ruine, zum Teil zurückerobert von der Natur. Vergessen und verfallen, seine einstigen Bewohner verzogen oder verstorben – und die Geschichte dahinter so bruchstückhaft und löchrig wie das einstürzende Ziegeldach. Aufgeschreckt von der aktuellen Diskussion hat sich die Redaktion aufgemacht, die vergessene Geschichte hinter diesem vergessenen Ort aufzuspüren.
Einem Ort, von dem es auf Facebook heißt: "Schon als Kinder war es bei uns das Geisterhaus, es hat da drinnen immer gespukt, Jugendliche haben des nachts unheimliche Sachen bemerkt und sind geflüchtet."
Was ist das für ein Ort, von dem angeblich etwas Unheimliches ausgeht? Ein erster Besuch bei Tag, als gelte es die Geister der dunklen Vergangenheit mit gleißender Helligkeit zu vertreiben. Hinter der exaltierten Architektur des einstigen ARO-Teppichmarkts und heutigen JYSK-Möbelmarkts verschwindet das Objekt in der Anonymität der Landschaft. Davor, auf den Straßen, in den Märkten, in der benachbarten Gärtnerei, dem nahen Hallenbad flirrt die Nervosität der Stadt wie ein Virus durch die Luft.
Von der Blümchentapete bis zu Resten einer verkohlten Treppe
Das Häuschen liegt da wie ein gesunkenes Schiff auf dem Meeresgrund, verloren für die Menschen und unberührbar für die Zeit. Seine durchfeuchteten Gemäuer bröckeln, stauben, wanken, drohen ganz zu verschwinden. Dabei hätten sie, wie greise Zeitzeugen vergangener Kriege, noch viel zu erzählen.
In der milden März-Luft ist noch ein Hauch winterlicher Schärfe zu spüren. Mit dem schlechten Gewissen des Voyeurs versucht man von der Straße aus einen Blick durch vernagelte Fenster und offene Spalte zu werfen, um zumindest ein Zipfelchen der eingefrorenen Zeit zu erhaschen. Was man zu sehen bekommt, ist nichts außer finsterer Unendlichkeit.
Fotos, die der Redaktion zugespielt wurden, gewähren exklusive Einblicke ins Gebäudeinnere. Sie zeigen eine winzige Toilette, Blümchentapeten, Reste einer verkohlten Treppe ins Obergeschoss. Sämtliche Zimmer sind mittlerweile ausgeräumt, die Decken zum Teil durchgebrochen. Fragmente einer erloschenen Welt, die seit Jahrzehnten ein Schattendasein fristet.
Das überschäumende Rot der Abendsonne hellt die Kulisse noch einmal auf. Dann dunkelt es ein, als würde die erste Grundierung der Nacht aufgetragen. Die letzten Kunden der umliegenden Märkte machen sich auf den Heimweg, den Kofferraum voll mit Einkäufen. Eine Welt prall gefüllter Sortimente, grenzenloser Mobilität, wohlig warmer Wohnstuben und verlockender Angebote wie in der Wellness-Landschaft des benachbarten Aqua-sole-Hallenbads. Manche erinnern sich an die Zeit, als in dem Häuschen mit der alten Adresse Hagenmühle 2 noch Licht brannte. Versucht man ihren Wirbel von Gedankensplittern zu einem Bild zusammenzufügen, landet man in einem kargen, einfachen Leben.
Ein Nachbar erinnert sich an drei Mietparteien und manches mehr
Die Gärtnerei Hummel liegt genau gegenüber dem Gebäude. Für Hans Hummel, den Seniorchef, gehört es seit je zur Kulisse seines Lebens. Ruft man ihn an, öffnet sich bei ihm eine Schleuse der Erinnerung, die jahrzehntelang verschlossen geblieben war: an die drei Mietparteien, zwei unten, eine oben, daran, dass sie dort zwar Strom, aber keinen Kanalanschluss hatten und das Trinkwasser aus einem Brunnen sprudelte. Dann zogen die letzten Mieter aus, und es wurde still um das Haus.
Ab und zu schaue mal jemand vorbei, um es vom Wildwuchs zu befreien, wie bei einem alten Mann, dem man von Zeit zu Zeit eine Rasur oder einen Haarschnitt spendiert. Früher standen immer wieder Leute bei ihm in der Gärtnerei, die sich nach dem Haus erkundigten. Er konnte ihnen nicht viel sagen. Wusste weder, wem es gehörte, noch ob es zu verkaufen war. Aber ein Geisterhaus, in dem es spukt? Da muss Hummel kurz lachen. "Vielleicht haben sie die Tauben gemeint, die ein- und ausgeflogen sind." Ansonsten hätten da "normale Leute" gelebt.
"Meine Oma hat darin gewohnt", erzählt Gerlinde Achtelstetter am Telefon. Aber das sei mindestens 30 Jahre her. Mit dem Namen Achtelstetter verbindet man die stolze Mühle schräg gegenüber, die noch immer bewohnt ist. Das kleine Häuschen hat es nicht geschafft. Wenn Gerlinde Achtelstetter durch die dunklen Korridore ihrer Erinnerung streift, stößt sie hinter der Eingangstür auf eine Holztreppe, die nach oben führte – dort habe ihre Oma gewohnt.
Einen Keller habe es auch gegeben und drumherum einen Garten, in dem Gemüse kultiviert wurde. Sie könne sich nicht erinnern, dass das Hochwasser des Mains mal bis zu dem Haus reichte, dessen Alter sie auf 80 bis 100 Jahre schätzt. Für die alte Dame ist heute klar: "Es müsste jemand einen Haufen Geld haben, um das alles herzurichten."
Das Gebäude ist noch immer in Besitz eines berühmten Mannes
Wer könnte dieser Prinz sein, der das Häuschen aus der erstarrten Vergangenheit befreit und in ein gegenwärtiges Leben zurückholt? Und wem gehört eigentlich dieses vergessene Objekt mit dem verwilderten Garten dahinter?
Nachfrage bei der Stadt Kitzingen. Die Antwort: Viel könne man leider nicht sagen. Vielleicht wisse man bei JYSK mehr.
Nachfrage bei JYSK in Handewitt. Die Pressestelle teilt mit: "Das Gebäude gehört uns nicht. Ob und welche Pläne der Eigentümer damit hat, wissen wir nicht."
Nachfrage bei der M. A. Roth Immobilien Verwaltungs-GmbH in Rückersdorf. Hinter der Adresse steht noch immer der schillernde Unternehmer Michael A. Roth, geboren in Kitzingen, aufgewachsen in Großlangheim, inzwischen 88 Jahre alt. Er war Präsident des 1. FC Nürnberg, und zu besten Zeiten gehörten ihm deutschlandweit 140 Teppichmarkt-Filialen, eine davon in Kitzingen.
Ihn bekommt man nicht ans Telefon, wenn man in der mittelfränkischen Gemeinde anruft, aber seine Tochter. Sie weiß sofort, wovon man spricht – "das Steinhaus" –, wundert sich jedoch über das Interesse an der Immobilie. Dass das Haus gerade in aller Munde ist, hat sie nicht mitbekommen. Wird sie es aus seinem Dornröschenschlaf reißen?
Viel Hoffnung macht sie den Romantikern nicht, aber dass die Leute hier mit ihrer Ahnung recht hatten und mit der Immobilie etwas passieren solle, bestätigt sie. Sie spricht von "mehreren Überlegungen", keine sei bislang spruchreif. In der Vergangenheit gab es immer wieder Anfragen, ob das Haus zu verkaufen sei. Doch ihr Vater habe sich nicht davon trennen wollen, und jetzt hat man mit dem Grundstück, auf dem es steht, anderes vor – "gewerbliche Sachen", wie sie sagt.
In diesen Plänen hat das schon zu lange vergessene (und auch vom Denkmalschutz übersehene) Objekt offenbar keinen Platz. "Tendenziell" werde es weichen müssen. Obwohl sie das Haus nie betreten hat, ist ihr der "total marode" Zustand natürlich nicht entgangen. Auf den Punkt gebracht: "Das ist eine Komplett-Ruine."
Es ist Frühling, noch frisch, doch über allem liegt bereits eine Ahnung, dass es diese Tage sind, in denen das Jahr dabei ist, sich zu drehen. Ein letzter Besuch. Durch das Prisma des historischen Abstands schimmert das Gebäude rosarot. Doch die Seligkeit der vergangenen Zeit ist längst aus den Räumen gewichen. Von ihrem staubigen Samt wird bald nichts mehr zu sehen sein.
Wichtig, nicht nur für Lokalblätter, ist immer auch ein wenig Unterhaltung. Der samstägliche Roman in Fortsezungsfolgen, der tägliche Comic oder die passende Karikatur zur Nachricht.
Und solch eine Geschichte wurde hier sehr sypathisch und handwerklich journalistisch gut umgesetzt. Nennt man das modern nicht auch "Feature"?
Sie liest sich gut, unterhält und ist vielleicht auch bald wieder vergessen.
Etwas für Leute, die sich nicht dauern in Blogs, auf Facebook, instagram oder tiktok "rumtreiben".
Die für eine Zeitung relevanten Informationen passen in zwei Zeilen:
Es gibt das Haus, es steht seit Jahren leer und ist am Verfallen, es gehört Herrn Roth, und irgendwann wird es abgerissen und das Grundstück gewerblich genutzt werden. Punkt.
Möge der Autor nach dem Biss des Phrasenschweins von der vermeintlichen Seligkeit des vom Musenkuss Beglückten bewahrt bleiben! Denn auch über dieses von jedem Klischee trivialen Kitschs durchtränkten Stück Kurzprosa wird sich alsbald der staubige Samt des Vergessens ausbreiten....