Warum konnte der bullige Hilfspfleger Gregorsz W. 2017 und 2018 ungestört sechs alte Menschen töten – darunter auch einen 84-Jährigen aus dem Landkreis Kitzingen?Ein halbes Jahr nach dem Lebenslänglich-Urteil in München für den Serienmörder hat der Fall ein Nachspiel: Die Chefin der unterfränkischen Agentur, die ihn – trotz vieler Klagen – immer wieder vermittelte, soll auf die Anklagebank wegen des Verdachts der Falschaussage vor Gericht. Dies bestätigt die Staatsanwaltschaft München auf Anfrage.
Morden leicht gemacht?
Bereits bei der Aufklärung der Morde vor zwei Jahren waren Ermittler dem Verdacht nachgegangen, ob die im Landkreis Kitzingen beheimatete Chefin einer Vermittlungsagentur für polnische Pflegekräfte dem Täter sein Handeln leicht gemacht hat. Aussagen aus dem Umfeld des unterfränkischen Opfers nährten den Verdacht: Sie habe zum Selbstschutz verdächtige Umstände verschwiegen und vertuscht – die bei früherer Alarmierung zumindest den letzten Mord in Ottobrunn hätten verhindern können.
Ermittlungen wegen falscher Aussagen vor Gericht
Dann sagte die Agenturchefin im Mordprozess als Zeugin aus – und die Münchner Staatsanwaltschaft bestätigte bei unseren Recherchen durch Oberstaatsanwältin Anna Leiding: Man habe schon Ende 2019 das Gefühl gehabt, die Inhaberin eines Pflegedienstes lüge vor Gericht im Verfahren gegen ihren früheren Mitarbeiter.
Aus heutiger Sicht ist schwer begreiflich, wie der füllige und mürrische 36-jährige Gregorsz W. überhaupt für die Pflege alter Menschen verpflichtet werden konnte. Er hatte sich bei polnischen Agenturen als junger, fleißiger und zuverlässiger Pfleger vorgestellt, den es "glücklich macht, Senioren behilflich und ihnen ein Freund zu sein". Das Gegenteil war richtig.
Im Lebenslauf kaschierte er frühere Knastaufenthalte mit angeblichen Pflegetätigkeiten in Deutschland, England und Polen. Aber weil Pflegekräfte fehlten, buchten ihn Agenturen wieder und wieder zur Kurzzeitpflege.
Richterin: "Grundsätzliche Mängel im Pflegesystem"
Im Urteil gegen ihn betonte die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl am Landgericht München, "dass man hier nicht pauschal den Stab über alle 24-Stunden-Betreuungskräfte brechen darf". Dass Gregorsz W. drei Jahre als Hilfspfleger tätig sein konnte, obwohl es immer wieder zu Auffälligkeiten und Beschwerden kam, zeige aber "grundsätzliche Mängel im 24-Stunden-Pflegesystem auf". Ein Austausch finde nicht statt, und es gebe kein zentrales Register für "schwarze Schafe", so die Richterin.
"Du musst den Mund halten"
Wie weit das gehen kann, zeigt dieser Fall: Wochen nach dem Tod des alten Mannes im Landkreis Kitzingen starb in Ottobrunn der nächste Patient des 38-Jährigen: Als nun die Kripo nachfragte, war die Chefin der Agentur plötzlich alarmiert: "Du musst den Mund halten. Sag, Du kennst Gregorsz nicht," wies sie per Internet eine andere besorgt nachfragende Pflegerin an – in Whatsapp-Dialogen, die die Redaktion eingesehen hat.
Als in seinem verlassenen Zimmer eine leere Spritzenverpackung und eine Schachtel des Medikamentes Insulin gefunden wurde (mit dem er mordete), machte die Pflegerin ein Bild mit dem Handy und fragte, was sie damit machen sollte: "Wegschmeißen", soll die Chefin gesagt haben. Das Bild liegt der Redaktion vor. Und als die Pflegerin weiter drängte, bekam sie die Anweisung: "Sag keinem, dass Gregorsz bei uns gearbeitet hat."
Das Verfahren gegen die Agenturchefin sei vor kurzem abgeschlossen und "Anklage zum Amtsgericht erhoben worden", so die Sprecherin der Münchner Staatsanwaltschaft. Ein Prozesstermin steht noch nicht fest, sagte am Montag Klaus-Peter Jüngst, Pressesprecher des Amtsgerichts München.
Die Agenturchefin wollte sich trotz mehrfache Anfrage nicht äußern.
Vielleicht führt der Tod des Altgastwirtes ja dazu, dass das Thema Pflege von der Politik stärker in den Fokus gerückt wird.
Im Übrigen wäre es schön, wenn die Altparteien ihren Widerstand gegen eine Totenschau einstellen würden. In Österreich z.B. müssen alle verstorbenen Personen einer Totenbeschau, d.h. einer äußerlichen Untersuchung durch einen dazu autorisierten Arzt, unterzogen werden. ... Diesem Facharzt für Pathologie muss die komplette Krankengeschichte des Verstorbenen von den behandelnden Ärzten zur Verfügung gestellt werden.
Der ein oder andere Mord oder Totschlag würde dadurch aufgedeckt werden. Noch wichtiger wäre aber in diesem Fall der Abschreckungseffekt.
Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass die Regierenden in Bayern dann einen sprunghaften Anstieg von ungeklärten Todesfällen befürchten.