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Kitzingen
Kitzinger Bombenangriff: Rückkehr in den Schutzkeller nach 75 Jahren
Günter Krauß hat als Siebenjähriger die Bombardierung Kitzingens überlebt. Zum 75. Jahrestag geht er nochmals in den Schutzraum und erzählt im Video von seinen Erlebnissen.
Bombenagriff auf Kitzingen: Zeitzeuge Günter Krauß steht 75 Jahre danach vor dem Haus, in dessen Luftschutzkeller er sich als Siebenjähriger retten konnte: die ehemalige Sparkasse, heute Main-Post, in der Luitpoldstraße.
Foto: Andreas Brachs | Bombenagriff auf Kitzingen: Zeitzeuge Günter Krauß steht 75 Jahre danach vor dem Haus, in dessen Luftschutzkeller er sich als Siebenjähriger retten konnte: die ehemalige Sparkasse, heute Main-Post, in der Luitpoldstraße.
Andreas Brachs
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:15 Uhr

Günter Krauß laufen die Tränen. Die Gefühle übermannen ihn. 75 Jahre nach der Bombardierung Kitzingens steht der 82-Jährige noch einmal in dem Luftschutzkeller, der ihm einst das Leben gerettet hat. In der ehemaligen Sparkasse in der Luitpoldstraße 1, dort, wo heute die Main-Post-Redaktion beheimatet ist, findet er am 23. Februar 1945 Zuflucht.

An diesem dunklen Ort erzählt er, was er als Siebenjähriger erleben muss: dass Babys, die mit ihren Müttern im gleichen Raum ausharren wie er, vom Luftdruck der herabfallenden Bomben getötet werden. Den Säuglingen platzen die Lungen. Die Erwachsenen um ihn herum weinen, schreien – oder lachen. Jeder Schutzsuchende reagiert auf seine Weise auf die Schreckensereignisse kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs.

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Günter Krauß verarbeitet durch Verdrängung. Lange möchte der Kitzinger, der schon lange in Nürnberg lebt, nicht mehr an die schreckliche Zeit zurückdenken. Doch irgendwann bitten ihn seine Kinder und Enkel, die Geschehnisse von damals zu erzählen. Schließlich entschließt er sich, ein Buch über sein Leben und das seiner Frau zu schreiben. Darin geht er auch auf seine Kriegserinnerungen ein.

Feuer, Rauch und Schreie

Im Keller kommt alles wieder hoch. "Ich habe das heute noch vor Augen", sagt Krauß rückblickend. Der Tag, der sein Leben für immer verändert hat, ist ihm gut im Gedächtnis. Er kann den Ablauf genau beschreiben: Wie er auf dem Weg von der Schule nach Hause von der Großmutter am Königsplatz abgefangen wird, wie sie gemeinsam in den großen Schutzraum unter der Sparkasse gehen, wie die Bomben fallen und er durch Lichtschlitze den Einschlag im Nachbarhaus mitverfolgt. Feuerblitze, Rauch, Hilferufe.

Günter Krauß hat seine Kriegserlebnisse in einem Buch über sein Leben und das seiner Ehefrau festgehalten.
Foto: Repro: Andreas Brachs | Günter Krauß hat seine Kriegserlebnisse in einem Buch über sein Leben und das seiner Ehefrau festgehalten.

75 Jahre danach wieder in diesem Keller zu stehen, fällt Krauß nicht leicht. Er hat mit sich gerungen, aber er ist der Einladung der Redaktion gefolgt, die zwei Stockwerke über dem Keller arbeitet, noch einmal zurückzukehren und für ein Video seine Erlebnisse zu schildern. Es entsteht das Dokument eines Zeitzeugen, das nun auf Dauer erhalten bleibt.

Das Leben schreibt krasse Kontraste in Krauß' Lebensbuch: Am Tag des Bombenangriffs hat seine Oma Geburtstag. Als die beiden endlich aus dem Schutzraum ans Tageslicht treten, lädt sie ihn zu einem kleinen Kuchen ein, den sie schon vorher bereitgestellt hat. Da wissen Großmutter und Enkel noch nicht, was aus ihren Verwandten geworden ist.

Deshalb geht Krauß bei seinem Besuch nach 75 Jahren auch zu einem Grundstück in der benachbarten Kaiserstraße. Dort, unweit von "Biancas Kreativcafé", stand bis zum 23. Februar 1945 sein Elternhaus. Dorthin ist der Junge damals unterwegs, als ihn seine Großmutter zufällig auf der Straße trifft und ihn mitnimmt in den Luftschutzkeller unter der Sparkasse. Ein lebensrettender Zufall für den Buben.

Sechs Verwandte sterben durch eine Bombe

Der einzige Besitz aus Günter Krauß' Kindheit: ein Tirolerhütchen.
Foto: Repro: Andreas Brachs | Der einzige Besitz aus Günter Krauß' Kindheit: ein Tirolerhütchen.

Beim Bombenangriff bekommt sein Elternhaus einen Volltreffer. Von dem Gebäude bleibt nur noch ein Schutthaufen übrig. "Meine Mutter und zwei Geschwister suchten dort im Keller Schutz. Das war ihr Verhängnis", erzählt Krauß. Die drei Verwandten sterben ebenso wie zwei Cousinen und ein Cousin. An sie erinnert ein schlichter Grabstein auf dem Kitzinger Neuen Friedhof. Krauß' Vater findet erst zwei Wochen später den Mut, seinem Sohn davon zu erzählen ...

Grabstein der Familie Krauß mit den Angehörigen, die beim Bombenangriff umgekommen sind.
Foto: Repro: Andreas Brachs | Grabstein der Familie Krauß mit den Angehörigen, die beim Bombenangriff umgekommen sind.

Am Ende seines Rundgangs durch Kitzingen blättert der 82-Jährige in seinem mitgebrachten Lebensbuch. Er zeigt das Foto eines Tirolerhütchens, wie es einst für Kinder schick war – die einzige Erinnerung an seine Kindheit, die er gerettet hat. Krauß deutet auf ein Bild des Elternhauses und auf das Foto vom Grabstein der Familie.

Die letzten Kriegstage bilden ein ausführliches Kapitel. Aber Krauß hat überlebt und seinem Buch weitere Kapitel hinzugefügt. Er hat in Repperndorf Bäcker gelernt, seine spätere Frau kennengelernt, ist nach Nürnberg umgezogen, hat seine Kinder und Enkel aufwachsen sehen.

Nach acht Jahrzehnten ist ein ziemlich dickes Lebensbuch entstanden. Krauß klappt es zu und sagt: "Ich hab's überstanden, Gott sei Dank."

 
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  • reutjo
    wenn "M-P"-Mitarbeiter in KT .....

    zum 23. Februar 1945 von echten Zeitzeugen in / aus KTer Kellern *erlebte Geschich-
    te.n* zusammentragen und diese sammelt. Da sollte das Erlebte von einen vor ca. 1,5 - 2 Jahren verstorbenen ehrenhaften Mannes, Namens "Neeser" nicht fehlen. Er erzählte oft beim sgn. Oldtimerstammtisch in der "Eherieder Mühle davon. Wie er als Bub in der Nähe der früheren "Milchbar in einen Keller verschüttet war. Herr " Neeser + ist sicher vielen KTern bekannt gewesen, weil er immer mit einer " rot/weissen BMW-Isetta auf vielen Oldtimertreffen für den " ADAC/AMC- KT " präsent war. Seine Ehefrau ist sicher über die Vorstandschaft ausfindig zu machen. Sie kennt ganz sicher all seine Erlebnisse in dieser Angelegenheit. Er hat sie sehr oft erzählt und auch diese sind es wert, dass sie für die Nachwelt aufgeschrieben werden. Er hätte sicher-
    lich nichts dagegen gehabt; UND sie sind glaubhaft. Er war "Kitzinger durch und durch.
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