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Marktbreit
Jüdisches Leben: Auf den Spuren der Familie Putzel in Marktbreit
Sabina und Leopold Putzel gehörten zur großen jüdischen Gemeinde in Marktbreit. Ihr Urenkel Peter Eigner erinnert sich – und hatte Geschenke fürs Museum Malerwinkelhaus.
Im Museum Malerwinkelhaus in Marktbreit ist jetzt das Geschirr des jüdischen Kaufmannsehepaars Leopold und Sabina Putzel ausgestellt. Am  Fenster das Lavabo zur rituellen Handwaschung.
Foto: Christine Jeske | Im Museum Malerwinkelhaus in Marktbreit ist jetzt das Geschirr des jüdischen Kaufmannsehepaars Leopold und Sabina Putzel ausgestellt. Am Fenster das Lavabo zur rituellen Handwaschung.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 27.04.2023 12:01 Uhr

Peter Eigner ist katholisch getauft. Dass er auch jüdische Wurzeln hat, wusste er bereits als Kind. Aber nur vage. Konkrete Nachfragen seien in seiner Familie nicht erlaubt gewesen, schildert der 80-Jährige. Da habe es "Halt die Gosch!" geheißen. Deshalb, sagt Peter Eigner, blieb ihm seine Verwandtschaft, die viele Jahre in Marktbreit gelebt hat, lange Zeit ein Rätsel.

Erst in diesem Jahr kam mehr Licht ins Dunkel. Und Eigner erfuhr von Simone Michel-von Dungern Einzelheiten, von denen er keine Ahnung hatte. Die Leiterin des Museums Malerwinkelhaus in Markbreit forscht über das jüdische Leben, das einst in der Stadt am Main blühte. "Bis 1933 war die jüdische Gemeinde nach Kitzingen die zweitgrößte im Landkreis", so Michel-von Dungern. Ihre Entstehung geht bis ins 15. Jahrhundert zurück.

Das Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" geht weiter

Jüdisches Leben gibt es hierzulande jedoch schon weit früher: seit 1700 Jahren. Das bundesweite Festjahr zu diesem Anlassgeht wegen der Corona-Pandemie bis Juli 2022 in die Verlängerung – mit vielen Veranstaltungen wie Konzerten, Kochkursen, Ausstellungen, Filmprojekten. Gemeinden erinnern sich wieder verstärkt an ihre jüdischen Mitglieder, Familiengeschichten werden veröffentlicht. Die meisten enden in der Zeit des Nazi-Regimes.

Das Festjahr will jedoch nicht nur den Holocaust zum Thema machen. Jüdisches Leben beschränke sich nicht nur auf die Zeit zwischen 1933 und 1945, betonte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, anlässlich des Festjahres zuletzt mehrfach. Das Judentum sei nicht nur Shoa, sagt der Würzburger.

Peter Eigner, Urenkel von Sabina und Leopold Putzel aus Marktbreit (Lkr. Kitzingen),  steht vor  Gemälden des Münchner Malers Peter Hirsch. Sie zeigen ihn als Junge und seine Mutter Paula.
Foto: Simone Michel-von Dungern | Peter Eigner, Urenkel von Sabina und Leopold Putzel aus Marktbreit (Lkr. Kitzingen),  steht vor  Gemälden des Münchner Malers Peter Hirsch. Sie zeigen ihn als Junge und seine Mutter Paula.

Simone Michel-von Dungern hat sich deshalb das jüdische Leben in Marktbreit insgesamt angeschaut. Die Wissenschaftlerin vertiefte sich in alte Aufzeichnungen und Akten im Archiv der Stadt, las im Malerwinkelhaus die Einträge im 1862 begonnenen Buch der Stadthebamme Anna Dorothea Maria Rosen. Sie stöberte im Museumsdepot nach Hinterlassenschaften, sah und hörte sich Zeitzeugen-Erzählungen im Internet an und suchte hierzulande und weltweit Nachfahren der Marktbreiter Juden. Und sie wurde fündig - zum Beispiel bei der Familie Putzel.

Interview mit Peter Eigner zum jüdischen Leben seiner Familie

Die Geschichte von Sabina und Leopold Putzel und ihrer Tochter Rosa, deren Urenkel beziehungsweise Enkel Peter Eigner ist, steht exemplarisch für die vielen jüdischen Menschen, die einst in Marktbreit lebten.

Der Kontakt von Simone Michel-von Dungern zum dem Nachfahren der Putzels war bereits 2015 zustande gekommen. Eigner hatte dem Malerwinkelhaus damals etwas aus dem Nachlass seiner Großmutter schenken wollen. In diesem Jahr meldete sich die Museumsleiterin dann wieder bei dem heute 80-Jährigen. Sie wollte anlässlich des Festjahres ein Interview mit ihm führen über die Geschichte seiner Familie.

Erinnerung an das jüdische Leben in Marktbreit (Lkr. Kitzingen): das Kaufhaus von Sabina und Leopold Putzel am Schlossplatz. Das Gebäude steht nicht mehr, heute befindet sich dort die 'Schloss Apotheke'.
Foto: Stadtarchiv Markbreit | Erinnerung an das jüdische Leben in Marktbreit (Lkr. Kitzingen): das Kaufhaus von Sabina und Leopold Putzel am Schlossplatz. Das Gebäude steht nicht mehr, heute befindet sich dort die "Schloss Apotheke".

Die Erinnerungen Peter Eigners ergänzen die Forschungsergebnisse der Museumleiterin und füllen sie mit Leben. Ein Glücksfall. Bei vielen Familien gibt es keine Nachkommen, weil alle Familienmitglieder von den Nazis ermordet wurden.

Leopold Putzel stammte aus Scheßlitz bei Bamberg, seine Frau Sabina, geborene Eisenheimer, aus Gochsheim bei Schweinfurt. 1884, kurz nach ihrer Hochzeit, zogen sie nach Marktbreit. Damals lebten rund 322 jüdische Menschen in der Stadt. Und die Putzels zogen mitten hinein, in ein stattliches Anwesen neben dem Schloss. "Sie betrieben ein großes, angesehenes Kaufhaus, in dem es Schuhwaren, Herren- und Knabenbekleidung sowie Hüte zu kaufen gab", erzählt Michel-von Dungern.

Jüdisches Leben in Marktbreit (Lkr. Kitzingen): Anzeige des ehemaligen großen und angesehenen Kaufhauses von Sabina und Leopold Putzel am Schlossplatz.
Foto: Stadtarchiv Markbreit | Jüdisches Leben in Marktbreit (Lkr. Kitzingen): Anzeige des ehemaligen großen und angesehenen Kaufhauses von Sabina und Leopold Putzel am Schlossplatz.

In seinem Buch "Aus meinen Marktbreiter Jahren" hatte der Würzburger Arzt Ludwig Diem, der seit 1910 dort praktizierte, geschrieben: "Herr Doktor", sagte der alte Putzel, "ich kleide Sie von Kopf bis Fuß ebenso gut wie der Andre Gensler in Würzburg, und er hatte in der Tat nicht unrecht". Damit habe sich Leopold Putzel mit dem gleichnamigen als erstklassig angesehenen Herrenmodefachgeschäft verglichen, sagt Michel von Dungern.

Tochter Rosa, die Oma von Peter Eigner, kam im November 1887 zur Welt. Nur vier der acht Putzel-Kinder überlebten, beziehungsweise erreichten das Erwachsenenalter. Rosa und ihre Schwestern Fanny und Erna ließen sich nach ihrer Hochzeit in München, Krefeld und Berlin nieder, hatten Verwandte in Schweinfurt und Augsburg. Ihre Nachfahren leben heute nicht nur in Deutschland, sondern größtenteils in den USA. Die Schwestern von Rosa flohen mit ihren Ehemännern und Kindern vor den Nazis. Ein prominentes Familienmitglied ist der US-Schauspieler und Musiker Bryan Greenberg, der Urenkel von Fanny Putzel. In Deutschland bekannt wurde er mit der Komödie "Couchgeflüster" mit Meryl Streep und Uma Thurman in den Hauptrollen.

Nicht im Krankenhaus behandelt worden - weil sie "nicht richtig katholisch war"

Peter Eigner hat seine Urgroßeltern aus Marktbreit nicht kennengelernt. Aber er habe viele schöne Erinnerungen an seine Oma Rosa, erzählt er. Weit mehr als an seine Mutter Paula, die bereits 1944 starb.

Rosa Menz, die Tochter des jüdischen Kaufmannes Leopold Putzel, mit ihren Kindern Paula und Wolfgang auf einem Foto aus der Zeit um 1920. 
Foto: Repro: Simone Michel-von Dungern/Museum Malerwinkelhaus | Rosa Menz, die Tochter des jüdischen Kaufmannes Leopold Putzel, mit ihren Kindern Paula und Wolfgang auf einem Foto aus der Zeit um 1920. 

Ihr früher Tod hängt eng mit den Ausgrenzungen in nationalsozialistischer Zeit zusammen. Die 32-Jährige litt unter einer eitrigen Angina. Viel später erst erfuhren Peter und sein Bruder Heinz von einem Verwandten aus den USA, dass ihre Mutter nicht im Krankenhaus behandelt worden war, "weil sie nicht richtig katholisch war, obwohl sie katholisch geheiratet hat". Entscheidend waren unter den Nazis andere Kriterien.

So wurde die Großmutter aus Marktbreit nach dem Tod der Mutter zur wichtigsten Bezugsperson für ihn. "Wenn irgendetwas war, Oma war da", erzählt Peter Eigner im Gespräch mit Simone Michel-von Dungern. Sie habe ihn oft wegen seiner nicht so guten Schulzeugnisse getröstet: "Büble, sei ruhig, des wird scho wieder besser."

Wie seine Oma als Kind oder als junge Frau war, was sie bewegte und erlebte, das erfuhr Peter Eigner vor allem durch die Recherchen von Simone Michel-von Dungern. "Aus ihrer Familie und Jugend erzählte Rosa ganz, ganz wenig, so gut wie gar nichts", bedauert er. Die jüdischen Wurzeln, die Erfahrungen in der NS-Zeit, sollten in seiner Familie kein Thema sein.

Möglich ist ihm heute ein Blick ins Poesiealbum seiner Oma. Es gehört zu den Exponaten des Museums Malerwinkelhaus. Darin haben sich Rosas Schwester Fanny und Freundinnen aus Marktbreit und Segnitz verewigt, ebenso aus Würzburg. Dort war Rosa in die private, konfessionell ungebundene Sophienschule gegangen. Es gibt darin auch Einträge von Edith Steinam, deren Eltern ein Herrenkonfektionsgeschäft am Würzburger Marktplatz hatten. Oder von Cilly Tachauer, die später als Juristin und Autorin des Buchs "Die Behandlung jugendlicher Verbrecher" bekannt wurde. Ebenso von Selma Sulzbacher aus der Weinhändlerfamilie Ballin, die später als Sängerin in Nürnberg und Fürth auftrat und im KZ Auschwitz 1944 ermordet wurde.

Marktbreiter Wochenblatt von 1909 berichtete über Rosa Putzel

Was der 80-jährige Enkel, der heute in Stuttgart lebt, jetzt auch neu erfuhr: Als junge Frau von 22 Jahren war Rosa Putzel sogar zur Lebensretterin geworden. Das Marktbreiter Wochenblatt vom 12. Juni 1909 berichtet, sei sei in den Main gesprungen, um einer "Bürgerstochter" zu helfen, die in Not war.

Rosa heiratete laut Michel-von Dungern kurz darauf einen "strengen Katholiken": Michael Menz. Jüdisch-katholische Mischehen waren eher ungewöhnlich. "Wie der Kontakt zustande gekommen war, ist nicht bekannt", sagt die Museumsleiterin. Jedenfalls soll es das herzliche Verhältnis Rosas zu ihren Marktbreiter Eltern nicht getrübt haben.

Auch Rosas Tochter Paula heiratete einen Katholiken mit jüdischen Wurzeln: Ludwig Eigner. Dessen Vater Adolf Eigner hatte in Augsburg ein großes Möbelhaus, das 1938 von den Nazis "arisiert" wurde.

"Wir laufen unter römisch-katholisch, sind katholisch getauft worden", sagt Peter Eigner zu seinen jüdischen Wurzeln.

In Marktbreit war Peter Eigner früher mehrmals mit seiner Oma Rosa, die sich dort mit einer Freundin traf. 1975 ist sie gestorben. Heute steht im Museum Malerwinkelhaus ein Teil ihres Familiennachlasses: Tafelgeschirr, das Silberbesteck und das Lavabo zum rituellen Händewaschen. "Die andere Hälfte des Geschirrs haben wir immer noch im Schrank", sagt Peter Eigner. Und in seinem Herzen bewahrt er eine Lebensweisheit seiner Oma, die ihn begleitet: "Bube, ist egal, wie die Kirche ausschaut und wie sie heißt – du kannst überall mit Deinem Gott beten."

Jüdisches Leben in Markbreit

Im Museum Malerwinkelhaus hat die Leiterin Simone Michel-von Dungern in der Dauerausstellung "Frauen-Zimmer" neue Akzente gesetzt: Geschichten, Zitate, Fotografien, Exponate beleuchten ausschnitthaft "Jüdisches Leben in Marktbreit" und das Zusammenleben mit den christlichen Nachbarn von etwa 1880 bis in die 1930er Jahre. Geöffnet ist samstags und an Sonn- und Feiertagen von 14 bis 17 Uhr. Info im Internet: www.malerwinkelhaus.de
Quelle: Malerwinkelhaus/Stadt Marktbreit
 
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