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Marktbreit
Der Schatz im Malerwinkelhaus
In dem Marktbreiter Museum sind ausgezeichnete und seltene Objekte zu sehen. Sie geben spannende Einblicke in das Leben von "Frauenzimmern" und die Arbeit von Hebammen.
Simone Michel-von Dungern, Leiterin des Museums Malerwinkelhaus in Marktbreit. Sie hält das Foto ihrer Urgroßmutter, die Hebamme in Seinsheim war. Auf dem Tisch steht der Hebammenkoffer ihrer Großtante. Die Objekte sind in der ständigen Ausstellung 'Frauenzimmer' zu sehen.
Foto: Christine Jeske | Simone Michel-von Dungern, Leiterin des Museums Malerwinkelhaus in Marktbreit. Sie hält das Foto ihrer Urgroßmutter, die Hebamme in Seinsheim war. Auf dem Tisch steht der Hebammenkoffer ihrer Großtante.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 27.04.2023 08:05 Uhr

Hinter jedem Eintrag in dem alten Buch steht eine sehr persönliche Geschichte, ein freudiges, oft anstrengendes und schmerzhaftes, manchmal auch tragisches, immer jedoch ein einschneidendes Ereignis im Leben - eine Geburt. Akribisch verzeichnete die Hebamme Anna Dorothea Rosen aus Marktbreit die Daten: das Datum der Geburt, den Namen der Mutter sowie, ob sie "einen Knaben" oder "ein Mädchen" geboren hat oder einen "Zwilling". Auch Fehlgeburten - "Abortus" - hielt sie fest. Später benutzte die Hebamme Abkürzungen. "1 K" für "ein Knaben" und "1 M" für "ein Mädchen".

Doch wie die Geburt verlaufen ist, wie viele Stunden sie gedauert hat, welche Komplikationen es gab, ob die Mutter ein uneheliches Kind geboren hat, ob sie glücklich war oder ob sie Angst vor einem Leben mit Kind hatte: all diese Angaben fehlen. Dennoch ist dieses Buch mehr als ein nüchternes Dokument aus längst vergangener Zeit. Es ist ein Schatz beziehungsweise einer von "100 Heimatschätzen"in Bayern. Die Auszeichnung erhielten das Hebammenbuch und das Museum Malerwinkelhaus in Marktbreit im Landkreis Kitzingen im Sommer 2018.

Der erste Eintrag im Hebammenbuch stammt von 1862

Nach hundert regionaltypischen Kleinoden gesucht hatte die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen und der Bayerische Landesverein für Heimatpflege, das Heimat- sowie das Kunstministerium.  Museumsleiterin Simone Michel-von Dungernhatte die Idee, unter anderen das alte Verzeichnis als Vorschlag einzureichen - und  war damit erfolgreich. Demnächst erscheint ein Buch mit allen 100 Heimatschätzen, sagt sie.

Das Hebammenbuch aus dem Museum Malerwinkelhaus in Markbreit der Hebamme Anna Dorothea Rosen. Der erste Eintrag stammt aus dem Jahr 1862, der letzte aus dem Jahr 1914. Das Buch gehört zu den 100 Heimatschätzen in Bayern.
Foto: Simone Michel-von Dungern | Das Hebammenbuch aus dem Museum Malerwinkelhaus in Markbreit der Hebamme Anna Dorothea Rosen. Der erste Eintrag stammt aus dem Jahr 1862, der letzte aus dem Jahr 1914. Das Buch gehört zu den 100 Heimatschätzen in Bayern.

Der erste Eintrag im Hebammenbuch stammt aus dem Jahr 1862. In diesem Jahr begann die 1939 geborene Anna Dorothea Schmidt, so hieß die Hebamme vor ihrer Heirat mit dem Maurer Michael Rosen, ihren Dienst in Marktbreit. Sie war eine von zwei Hebammen der Stadt. Ihr stand eine mietfreie Kommunalwohnung im Haus Nr. 90 in Marktbreit in der Nähe des Weißen Turms zu, das sogenannte Hebammenhaus. Das Grundgehalt der beiden Frauen betrug jeweils "7 Gulden 30 Kreuzer zuzüglich 3 Gulden Holzgeld", informiert der Wandtext im Museum. "Je nach Geburtsverlauf erhielten die Hebammen eine zusätzliche Gebühr von den Frauen; bei den Armen mussten sie darauf verzichten."

Die neue Sonderausstellung blickt zurück ins Jahr 1819

Auch im Zuge der neuen Sonderausstellung mit dem langen Titel "1819-2019. Einblicke - Ausschnitte. Das Leben im und rund um das Malerwinkelhaus im Jahr der Stadterhebung" wird ebenso der Fokus auf die Marktbreiter Hebammen gelenkt. Damals war die aus Breslau stammende "Ausländerin" Veronika Barbara Müller als solche tätig. Sie hatte 1810 im Alter von 42 Jahren ihren Dienst angetreten und lebte ebenfalls in der "freyen Communal-Wohnung".

Nur noch selten zu sehen: zusammenklappbarer Gebärstuhl (19. Jhd.) mit verstellbarer Rückenlehne, Griffen und Schlaufen zum Festhalten. Er steht im Museum Malerwinkelhaus in Marktbreit. Dort können zwei Exemplare besichtigt werden: in der Dauerausstellung und in der Sonderausstellung.
Foto: Thomas Obermeier | Nur noch selten zu sehen: zusammenklappbarer Gebärstuhl (19. Jhd.) mit verstellbarer Rückenlehne, Griffen und Schlaufen zum Festhalten. Er steht im Museum Malerwinkelhaus in Marktbreit.

Aus ihrer Zeit ist in der Sonderausstellung ein mittlerweile nur selten erhaltener Gebärstuhl zu sehen.  Ein zweites Exemplar wird in der ständigen Präsentation "Frauenzimmer. Lebenssituationen in einer fränkischen Kleinstadt" gezeigt. Zum Bereich "Geburt" gehören zudem auch ein Hebammenkoffer und weitere Utensilien, die am Beginn eines Lebens stehen - vielmehr standen - sowie das Hebammenbuch.

Als die Knaben von Seinsheim in einer rosa Decke getauft wurden

Zu dem Hebammenkoffer im Malerwinkelhaus hat Simone Michel-von Dungern eine ganz persönliche Beziehung. Ihre Urgroßmutter Katharina Valentin (1870-1921) und deren Tochter Maria Ott (1899-1986) waren beide Hebammen in Seinsheim (heute Verwaltungsgemeinschaft Markbreit). Der Hebammenkoffer gehörte der Großtante. An sie hat Michel-von Dungern noch lebhafte Erinnerungen.

Im Familienkreis wurde zudem erzählt, dass sie sich bei ihrer Schwägerin, einer allein stehenden Witwe mit neun kleinen Kindern und Simone Michel-von Dungerns Großmutter, immer eine selbstgenähte rosa Taufdecke ausgeliehen habe. Denn auch dafür war die Hebamme einer Gemeinde zuständig. "Sie kleidete den Täufling an, legte ihn auf ein Wickelkissen, breitete die Taufdecke über ihn, um ihn schließlich zusammen mit den Eltern und Taufpaten zur Taufe zu tragen", erzählt die Museumsleiterin. "Und damit wurden damals nicht nur die Mädchen, sondern auch die Jungen getauft."Gestört hat es wohl niemanden.

Blick in den Hebammenkoffer im Museum Malerwinkelhaus in Marktbreit. Er stammt aus den 1920er Jahren und gehörte der Hebamme Maria Ott aus Seinsheim. 
Foto: Thomas Obermeier | Blick in den Hebammenkoffer im Museum Malerwinkelhaus in Marktbreit. Er stammt aus den 1920er Jahren und gehörte der Hebamme Maria Ott aus Seinsheim. 

Lange Zeit waren die Frauen, die Geburtshilfe leisteten, ohne Ausbildung. Sie schöpften aus ihren Erfahrungen. "Erst nach und nach professionalisierte sich das Hebammenwesen und nur noch ausgebildete Frauen durften Geburtshilfe leisten", sagt Michel-von Dungern. Die Gemeinden bezahlten die Ausbildung und stellten die nötige Ausrüstung für die Ausübung ihrer Tätigkeit zur Verfügung. "Und weil Hebammen auch Nottaufen vornehmen mussten, gab es eine katholische und eine evangelische in den Gemeinden", informiert die Museumsleiterin. Anna Dorothea Schmidt, spätere Rosen war die evangelische Hebamme von Marktbreit.

Als die Hebamme wegen Unsittlichkeit in Ungnade fiel

Auch sie besuchte ab Februar 1862 die Würzburger Hebammenschule, die bereits 1804 von Adam Elias von Siebold aus der berühmten Mediziner-Familie gegründet wurde. Vier Monate später war ihre Ausbildung, die von der Stadt Marktbreit bezahlt wurde, beendet. Die damals 23-Jährige habe die Prüfung mit der Bewertung "Ausgezeichnet" bestanden, so Michel-von Dungern.

Zwei Jahre später, 1864, fiel sie jedoch in Ungnade. Sie bekam selbst ein Kind - unehelich. "Deshalb zog sie sich eine offizielle Rüge wegen Unsittlichkeit zu und wurde ihres Dienstes enthoben", hat die Museumsleiterin recherchiert. Als sie ein halbes Jahr nach der Geburt geheiratet hatte, also wieder "in geordneten Verhältnissen" lebte, durfte Anna Dorothea, jetzt verehelichte Rosen, wieder als Hebamme tätig sein.  Insgesamt 14 Kindern schenkte sie das Leben, nur drei überlebten das Kleinkindalter. Aber auch das steht nicht in ihrem Hebammenbuch, sondern nur die blanken Daten.

Die Sonderausstellung "1819-2019. Einblicke - Ausschnitte. Das Leben im und rund um das Malerwinkelhaus im Jahr der Stadterhebung" im Museum Malerwinkelhaus in Marktbreit wird am Donnerstag, 4. April, um 20 Uhr in der Rathausdiele eröffnet. Sie läuft bis zum 3. November. In dieser Zeit ist auch die ständige Präsentation geöffnet: Donnerstag 14 bis 20 Uhr, Freitag bis Sonntag und an Feiertagen 14 bis 17 Uhr. Internet: www.malerwinkelhaus.de

 
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