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Wüstenfelden
Je älter, desto schöner: Eine Frau erfindet ein altes Männerhandwerk neu und schafft Leder fürs Leben
Selbst die Henkel sind Handarbeit: Marion Riedl achtet bei ihren Produkten aus Leder auf jedes Detail.
Foto: Diana Fuchs | Selbst die Henkel sind Handarbeit: Marion Riedl achtet bei ihren Produkten aus Leder auf jedes Detail.
Diana Fuchs
 |  aktualisiert: 10.05.2024 02:50 Uhr

Sie ist das Gegenteil einer Tussi. Schlicht, natürlich, aber edel – so mag sie es. Lange, lackierte Fingernägel? Nicht ihr Ding. "Ich will doch das Leder nicht beschädigen", sagt Marion Riedl. Sachte streicht die Handwerkerin über die matt glänzende Oberfläche einer großen Reisetasche, die sie gerade fertiggestellt hat: cognacfarbene Riemen auf bordeauxrotem Grund.

35 Arbeitsstunden hat es gebraucht, bis aus dem Rohstoff Leder das fertige Produkt geworden ist. "Die Leute meinen oft, so eine Tasche sei ein Luxusprodukt. Ich sehe es so: Sie ist ein Begleiter fürs Leben."

Leben und arbeiten in idyllischer Umgebung

Marion Riedl wohnt, lebt und arbeitet, wie es idyllischer kaum geht: im alten Forsthaus oberhalb des Steigerwald-Weinortes Castell. Vor dem Haus weitläufige Pferdekoppeln, daneben Felder, dahinter der Wald. Am Rand des Dörfchens Wüstenfelden liegt es. "Das ist meine Heimat", erklärt die gebürtige Regensburgerin. Und das ist ihr Werkstoff: hochwertiges Rindsleder wie English Bridle und Skirting-("Sattel"-)Leather. Daraus macht sie mit weiblicher Gestaltungslust Gebrauchsgegenstände für Mensch, Pferd und Hund.

Kleine Pause auf der Koppel: Von der Werkstatt bis zu den Pferden braucht Marion Riedl keine Minute.
Foto: Diana Fuchs | Kleine Pause auf der Koppel: Von der Werkstatt bis zu den Pferden braucht Marion Riedl keine Minute.

Tasche, Gürtel, Zaumzeug: Alle Muster entwirft sie selbst. "Ich habe mir meinen eigenen Traumjob erschaffen", sagt sie. "Kein Tag ist wie der andere, immer lerne ich noch was Neues." Wenn Marion Riedl sich in ihrer Werkstatt an ihr kleines hölzernes Näh-Ross setzt, sieht sie draußen in der Frühlingssonne die echten Pferde grasen. 

"Das beste Material der Welt"

Ihre Leidenschaft für Pferde und für handwerkliches Arbeiten hat sie schon in jungen Jahren zum Leder geführt – und in eine Männerdomäne. "Ich habe bei einem Automobilzulieferer für Ledersitze in der Entwicklung gearbeitet." Dann lernte sie einen Sattler kennen, verliebte sich in ihn, zog nach Franken und brachte ihr Können fortan in der Sattelwerkstatt ein. Die Beziehung ging in die Brüche, der Mann war weg – das Material aber blieb.

Der alte Schaukelstuhl hat eine neue Armlehne bekommen - natürlich aus Leder.
Foto: Diana Fuchs | Der alte Schaukelstuhl hat eine neue Armlehne bekommen - natürlich aus Leder.

"Ich liebe Leder einfach, vor allem das mithilfe von Olivenblättern ganz ohne Chemie gegerbte. Seinen Geruch, das Gefühl, wenn man drüberstreicht...", schwärmt Riedl. "Es ist das beste Material der Welt." Und eines der vielseitigsten. "Vom Hundehalsband bis hin zur Schürze für den Hufschmied gibt es fast nichts, was man aus Leder nicht machen kann."

Werkzeuge mit wundersamen Namen in der Werkstatt

An der Wand der Werkstatt steht ein Schrank mit unzähligen Schubladen, in denen Beschläge, Knöpfe und Schnallen lagern. Daneben hängt allerhand Werkzeug mit wundersamen Namen wie "Stitch Groover" oder "Overstitch Maker". Zangen groß und klein, Messer glatt und gewellt, Ahlen dick und dünn: Zum Bearbeiten der verschiedenen Lederarten nutzt Marion Riedl ein stattliches Arsenal an Helfern.

Lauter kleine Ahlen, Eckenformer ('Edger'), Locheisen, Messer und andere Schneidwerkzeuge: In ihrer Werkstatt kann Marion Riedl ihre Kreativität ausleben.
Foto: Diana Fuchs | Lauter kleine Ahlen, Eckenformer ("Edger"), Locheisen, Messer und andere Schneidwerkzeuge: In ihrer Werkstatt kann Marion Riedl ihre Kreativität ausleben.

Aktuell hat sie eine halbe Rinderhaut auf dem Tisch ausgebreitet. "Wenn ich beim Schneiden abrutsche, setze ich einen Haufen Geld in den Sand." Gleichmäßig atmet die 55-Jährige ein und aus. Konzentriert und vorsichtig zeichnet sie Linien aufs Leder und setzt dann das Halbmond-Messer an. Eine halbe Stunde später liegen die Einzelteile für eine Handtasche sauber ausgeschnitten vor ihr. Aus einer halben Rinderhaut können vier Handtaschen oder eine große Reisetasche entstehen. 

Nun braucht die Wahl-Fränkin erst mal eine Pause – und Bewegung. Sie wirbelt zum Heuschober, holt Futter für die Pferde. Nach einem kleinen Abstecher auf die Koppel, den auch Hündin Hermine genießt, vertieft Riedl sich wieder in ihre Handwerkskunst.

Muster ins Leder schlagen - das heißt in der Fachsprache punzieren.
Foto: Diana Fuchs | Muster ins Leder schlagen - das heißt in der Fachsprache punzieren.

Sie befeuchtet das künftige Vorderteil der Tasche mit einem Schwamm und beginnt, das Leder zu punzieren. Das heißt: Sie bringt kleine Stempel in Position, schlägt mit einem Hammer darauf – und prägt so, Stück für Stück, Verzierungen ins Leder ein.  "Das kann ich stundenlang machen! Ich mag diese fantasievolle und trotzdem fast meditative Arbeit total."

Verschlüsse, Henkel, Träger: Alles an der Tasche entsteht in Handarbeit

Später wird sie sich an ihr Näh-Ross setzen und die Teile zusammenfügen. Das schwere Holzgestell sieht aus wie ein Pferderücken im Mini-Format. Es leistet Handwerkern, die wirklich noch mit der Hand arbeiten, beim Verbinden zweier Teile gute Fixier-Dienste. Marion Riedl sticht mit einer Ahle Löcher vor, dann zieht sie mit einer Nadel gewachstes Garn – "Forellenfaden" – hindurch. Obwohl sie zielstrebig arbeitet, braucht eine Handnaht viel Zeit: etwa eine halbe Stunde für zehn Zentimeter. Auch Verschlüsse, Henkel, Träger – alles an der Tasche entsteht in Handarbeit. 

Mit einer Ahle sticht Marion Riedl am sogenannten Näh-Ross die Löcher im Leder vor.
Foto: Diana Fuchs | Mit einer Ahle sticht Marion Riedl am sogenannten Näh-Ross die Löcher im Leder vor.

"Manche meinen, ich würde Luxusprodukte herstellen", sagt die Wüstenfelderin. "Aber ich bin halt der Meinung: Lieber einmal was Gescheites fürs Leben als immer wieder Schmarrn kaufen." Minderwertiges Leder reiße mit der Zeit, werde porös. "Hochwertiges dagegen bleibt stabil und wird mit dem Alter immer schöner, finde ich." Sie zeigt auf den Gürtel an ihrer Hose, einen Prototyp von "Marion Riedl Leather Arts & Works": "So einer kostet 100 Euro, hält aber für immer."

Menschen kommen mit speziellen Wünschen zu Marion Riedl. Sie repariert dann zum Beispiel vor dem Oktoberfest die original Krachlederne oder ummantelt das Lenkrad des Lieblingsautos. "Einmal ist ein Oldtimer-Fan mit einem zerschlissenen Bulldog-Sitz unterm Arm aufgetaucht. Ein anderes Mal ein Motorradfahrer, der seine Harley besonders hübsch machen wollte." Für beide war die Begegnung mit der Lederhandwerkerin ein Glücksfall. "Und für mich selber auch", sagt die 55-Jährige lachend. "Ich lerne einfach nie aus."  

 
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