Eine Kirche umringt von Gebäuden mit wehrhaftem Charakter? "Hier suchten die Dorfbewohner in Kriegszeiten Zuflucht", sagt Reinhard Hüßner beim Rundgang. In den zweistöckigen Gaden rund um die Kirche herum hätten sie Getreide und Vorräte gelagert, in den Kellern auch Wein und Bier. Wer wissen möchte, wie einst die gewachsenen Dörfer in Mainfranken aussahen, der ist in Mönchsondheim, beim Leiter des Kirchenburgmuseums, richtig. Denn in dem 160-Seelen-Ort im Landkreis Kitzingen, unweit von Iphofen, stehen alle Gemeinde-, Wohn- und Wirtschaftsgebäude tatsächlich noch genau dort, wo sie gebaut wurden.
In Mönchsondheim können die Besucher rund 700 Jahre Dorfgeschichte in 25 Gebäuden erleben – und jetzt auch auf drei neuen Wanderwegen. Dort geht man der Frage nach: Wie hat ein Dorf früher funktioniert? Was können wir heute davon lernen?
Der geistliche Mittelpunkt eines mainfränkischen Dorfes war die Kirche, der weltliche Mittelpunkt war das Rathaus: "Erste Rathäuser in Dörfern entstehen in Mainfranken im 15. Jahrhundert", sagt Volkskundler Reinhard Hüßner. Das sei etwas Besonderes: Zwar hatte es in Städten schon früher Rathäuser gegeben. Aber in Oberfranken oder auch ganz Oberbayern hatten kleine Ortschaften kein Rathaus, weil die Gebäude dort viel verstreuter und weit auseinander lagen. Ein echter Ortsmittelpunkt oder gar ein Marktplatz fehlte oft, sagt Hüßner.
Im mainfränkischen Dorf aber "schmiegen sich alle Gebäude eng aneinander". Umgeben seien die Dörfer im Maintal meist von einer Stadtmauer. Besonders schön sehe man das heute noch zum Beispiel in Sulzfeld (Lkr. Kitzingen), in Ostheim vor der Rhön (Lkr. Rhön-Grabfeld) oder in Thüngersheim (Lkr. Würzburg). Im Rathaus befand sich oft der Gemeinde-Backofen, erzählt der Museumsleiter: "Hier hatten alle Bürger Zugang und ließen dort vom Gemeindebäcker Brot und Kuchen backen." Auch die Schule, der Krämerladen, die Poststelle, der Kräutergarten und natürlich die Kirche seien von allen Dorfbewohnern genutzt worden.
Was das akademische Viertelstündchen mit dem Dorf zu tun hat
Bürgermeister war meist der reichste Bauer am Ort. "Für die Wahl hatte jeder Bauernhof eine Stimme, egal ob es sich um ein kleines Gehöft oder um einen großen Gutshof handelte", sagt Hüßner. Wenn der Bauer verstorben war, habe die Bäuerin wählen dürfen: "Das war ziemlich modern und fast schon demokratisch." Um zur Versammlung zu rufen, läutete die Dorf- oder Tageglocke. Dann hatten die Bauern 15 Minuten Zeit, um sich im Ratssaal einzufinden. "Daher kommt das so genannte akademische Viertelstündchen", erklärt der Museumsleiter.
Was können die Menschen heute vom Dorfleben lernen? "Kleine Einheiten funktionieren gut", sagt Hüßner. Selbstverwaltung und Selbstverantwortung könne man hier studieren. Und mittlerweile erlebt das Leben im Dorf eine Renaissance. Durch die explodierenden Preise für Mieten oder Wohneigentum in den Städten zieht es vor allem Familien aufs Land, wo Baugrund immer noch günstiger als in der Stadt oder in den Speckgürteln. Im vergangenen Jahr hatte das Meinungsforschungsinstitut Kantar in einer bundesweiten repräsentativen Umfrage 2500 Teilnehmer befragt, wo sie am liebsten leben würden, dürften sie frei wählen. Ergebnis: 34 Prozent zieht es aufs Dorf, 27 Prozent würden am liebsten in einer Kleinstadt wohnen, 26 Prozent am Stadtrand und 13 Prozent in der Stadt.
Fruchtbare Böden und ein gutes Klima
Klima und Böden waren für die frühe Besiedelung Mainfrankens verantwortlich. Auch der Weinbau habe schon immer eine Rolle gespielt, sagt Hüßner, wenngleich es im 19. Jahrhundert geheißen habe: "Wo der Pflug kann gehen, soll kein Weinstock stehen." Die Landwirtschaft, vor allem der Ackerbau seien attraktiver gewesen. So habe sich aus der Naturlandschaft rund um Mönchsondheim eine Kulturlandschaft entwickelt.
Gezeigt wird diese Wandlung jetzt auf drei neuen Wanderwegen mit vier beziehungsweise zwei Kilometern Länge durch Wald und Flur. Es geht um Tierhaltung, Dorfpflanzen oder Obstanbau. Und auch eine Imkerei ist auf dem ersten Wanderweg, schlicht Weg 1 genannt, zu sehen. Der Pfad schlängelt sich um die Kirchenburg herum durch den Ort und führt in die Flur. Früher nannte man die Imker noch "Zeidler", erzählt Hüßner. Der Name geht auf das lateinische Wort "cidlarii" zurück, was so viel wie "das Produkt von einem Tier wegholen" bedeutete.
160 Einwohner zählt Mönchsondheim heute, früher lebten einmal 300 Menschen dort. Mittlerweile spricht man vom Museumsdorf, auch wenn das die Einwohner nicht so gerne hören. Eine Neubausiedlung sucht man hier vergebens. Dafür kommen etwa 20 000 Besucher pro Jahr in das Örtchen, um in das Dorfleben von früher – und heute - einzutauchen. "Es gibt immer noch sechs Vollerwerbslandwirte hier", sagt der Museumsleiter. Vor allem die jüngeren Besucher lieben es, einen Blick in die Ställe zu werfen oder beim Buttern mitzuhelfen.
Weg 1: Was die alten Flurnamen verraten
Wissenswertes erfährt man auf Weg 1 über die alten Orts- und Flurnamen. "Leider sind viele in Vergessenheit geraten, obwohl sie überaus exotisch klingen wie etwa Eisenfresser, Teufelsgraben oder Sauberg", bedauert Hüßner. "An der Lehmgrube" bedeute, dass die Bauern dort früher ihren Lehm holten. Und wenn ein Weg "Winterleite" hieß, dann wusste man, dass dort immer am längsten der Schnee liegen blieb.
"Flurnamen tauchen heute fast nicht mehr auf", sagt Hüßner. Die Gründe dafür heißen Zersiedelung, moderne Agrarstruktur mit großen Flächen und sterbende Mundart.
Weg 2: Zu den Krautbeeten für den Eigenbedarf der Dorfbewohner
Der Weg 2 führt in die Flur südlich von Mönchsondheim. Dort wird auf Gemeindeflächen verwiesen, die früher den Einwohnern zur Nutzung überlassen wurden. "In sogenannten Krautbeeten bauten die Dorfbewohner wichtiges Gemüses für den Eigenbedarf an", sagt Hüßner. Die kleinen Parzellen erinnern ein wenig an die Schrebergärten von heute. "Für die Nutzung der Brache und sonstige Ödflächen als Weide für Schweine, Schafe und Rinder waren Hirten und Schäfer eingestellt. Die Tiere trieb man täglich am Morgen auf die Weiden und am Abend wieder zurück."
Weg 2: In den Wald, wo Brennholz geholt und gejagt wurde
Weg 3 informiert über den Wald und seine Nutzung im Dorf. "Die Bauern holten dort Brenn- und Baumaterial, sie jagten und fischten", erklärt Hüßner. Aus dem Holz wurden Möbel gefertigt, aber auch Gerätschaften, Wagen und Pflüge. In den Teichen schwammen Karpfen und andere Fische, im Breitbach lebten Krebse. Auch auf Weg 3 zeigt das Kirchenburgmuseum nur das, was auch früher schon da war. "Wir wollen keine künstlichen Welten schaffen", erklärt der Museumschef. "Es ist ein Glücksfall, das wir hier alles im Original zeigen können."