Was wäre ein Dorf ohne sein Wirtshaus?"Die Dorfwirtschaft war und ist seit Generationen Mittelpunkt jeder Dorfgemeinschaft. Ein Ort, an dem die Leut zammkumma, wo g'redt, g'feiert, gut g'essn und getrunken wird", sagt Reinhard Hüßner. Der Volkskundler leitet das Kirchenburgmuseum in Mönchsondheim, einem 170-Seelen-Örtchen bei Iphofen im Landkreis Kitzingen. Ein Museumswirtshaus mit Führungen gibt es dort auch: "Zum Schwarzen Adler". Im Wirtshaus, sagt Hüßner, traf man sich zum Austausch, zur Familienfeier, zu traditionellen Dorffesten oder nach dem sonntäglichen Kirchgang. Und vom Stammtisch aus wurde seit eh und je große Politik gemacht.
Doch was passiert mit dieser Kultur in Zeiten der Pandemie, wenn Menschen nicht eng zusammensitzen sollen, damit sich Viren nicht verbreitet? Was, wenn gemeinsames Singen und Tanzen krank machen kann? Wenn der sonntägliche Frühschoppen und das Kartenspielen am Stammtisch ausfallen, weil die Menschen Angst vor Ansteckung haben? Wie gehen die Wirtshäuser in der Region damit um, wenn weniger Menschen am Sonntag mit der Familie zum Essen kommen?
Wirtshäuser sind Orte der Geselligkeit
"Die Corona-Pandemie hat das Gastgewerbe in seine größte Krise der Nachkriegszeit gestürzt", sagt Michael Schwägerl, Bezirksgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands für Unterfranken. "Und die Krise ist noch lange nicht vorbei." Das bayerische Gastgewerbe hat mit 447 000 Beschäftigten und 40 000 Betrieben nicht nur eine große wirtschaftliche Bedeutung, sondern auch eine hohe gesellschaftliche Relevanz. "Wirtshäuser dienen zwar der Versorgung ihrer Gäste, doch sie sind auch Orte der Begegnung, des Austausches, der Unterhaltung und Geselligkeit. Das war schon immer so", sagt Volkskundler Reinhard Hüßner.
Wirtshäuser seien aus dem fränkischen Kulturleben gar nicht wegzudenken, sagt Hüßner: "Der Wirt war früher der reichste und wichtigste Mann im Dorf." Das Kirchenburgmuseum zeigt die typische fränkische Ortschaft: mit Dorfplatz, Pfarrkirche, Schule, Torhaus, Rathaus, Krämerladen, Kleinbauernhof – und natürlich einem Wirtshaus. "Der Wirt war Schultheis, Winzer, Brauer und Chirurgius: ein Alleskönner", sagt Hüßner. In Gemeinden ohne Rathaus habe früher das Wirtshaus sogar dessen Funktion übernommen.
In der Küche wurde Kesselfleisch gekocht
In der Museumswirtschaft "Zum Schwarzen Adler" kann man fränkische Wirtshauskultur bei Führungen erleben. Das Gasthaus stammt aus dem Jahr 1790. Die Gaststube ist holzgetäfelt, dazu kommen großer Tanzsaal, Knechtkammer, Privaträume und sogar Fremdenzimmern. Die Einrichtung zeigt den Zustand der 1920er Jahre. In der Küche gibt es noch einen Kombiofen mit Kesselschiff, in denen das traditionelle Kesselfleisch nach dem Schlachten gekocht wurde.
"Die Wirtsfamilie Krackhart kam aus der Rhön", sagt der Museumsleiter. "Sie waren Gastgeber und Bader, die Ärzte der kleinen Leute." Davon zeugt noch ein großer Kräutergarten direkt hinter der Gaststube. Bis in die 1950er Jahre war die Mönchsondheimer Gaststätte in Betrieb.
Schon lange vor der Corona-Pandemie raffte das Wirtshaussterben viele Gaststätten dahin. Es begann schon in den 1970er Jahren, wo Personal und Nachfolger fehlten oder kein Geld für Geld für Renovierungen blieb. Dazu kam ein neuer Lebensstil. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) verzeichnet schon damals weniger Stammtische und mehr amerikanischen Take-Away-Restaurants. Seit der Jahrtausendwende haben inzwischen bis zu 1500 Wirtshausbetriebe in Bayern ihre Türen für immer geschlossen. In 73 bayerischen Gemeinden gibt es laut Dehoga überhaupt kein Wirtshaus mehr.
Dabei waren Wirtschaften schon immer Ort der Begegnung - für die Männer. "Frauen und Kinder waren bis weit in die Nachkriegszeit nicht willkommen", sagt Hüßner. Stammtische und das wohlverdiente Glas Bier am Ende des Arbeitstages als Vorrecht des Mannes hätten sich seit dem Spätmittelalter bis in die Gegenwart erhalten. In den meisten Wirtshäusern konnte man sich das Essen dazu selbst mitbringen, sagt der Volkskundler: "Früher gab es im Wirtshaus Bier oder Wein, vielleicht noch Brot und ein Stück Wurst." Erst viel später, ab den 1960er Jahren, seien dort auch Hochzeiten, Geburtstage und Kommunionen im gefeiert worden.
Das "Gasthaus Hochspessart" in der Lichtenau bei Rothenbuch im Hafenlohrtal (Lkr. Aschaffenburg) war früher ein typisches Ausflugslokal mit mehreren Wirtsstuben und einer großen Terrasse, erzählt die Wirtin Ursula Roth. Viele Gäste kämen immer noch, um zu sehen, wo Kurt Tucholsky 1927 auf seiner Wandertour durch den Spessart Station gemacht hat. Die Geschehnisse hat der Schriftsteller in seinem berühmten Reisebericht "Das Wirtshaus im Spessart" festgehalten. Die Corona-Krise hat indes auch hier einiges verändert: "Wir haben nur noch Freitag- und Samstagabend geöffnet und setzen mehr auf Übernachtungen", sagt die Wirtin. Es sei immer schwerer Personal zu finden.
Felsenkeller waren bedeutend für die Bierlagerung
Traditionell seien Wirtshäuser nur abends geöffnet gewesen, sagt Hüßner: "Der Wirt war meist auch Landwirt und hatte tagsüber auf den Feldern oder im Stall zu tun." Bier habe es in jedem Wirtshaus gegeben. Nur in den Sommermonaten war das Kühlen schwierig. In Oberfranken gebe es daher die berühmten Felsenkeller, wo Bier gut gelagert werden konnte. Mit der Einführung von Kühlmaschinen verloren die Keller ihre Bedeutung, zur gleichen Zeit setzte sich in Unterfranken der Weinbau mehr und mehr durch. "Wein konnte hier besser gelagert werden", sagt der Museumsleiter.
Ein typisches fränkisches Wirtshaus ist heute noch der Brauereigasthof Düll in Gnodstadt (Lkr. Kitzingen), zu dem auch die Hausbrauerei der Familie nebst Landwirtschaft gehört. "Manche Leute meiden das Wirtshaus in diesen Zeiten", sagt Seniorchef Sebastian Rank. "Aber die große Masse geht wieder in die Wirtschaft. Zum Glück." An jedem zweiten Dienstag gibt es Schlachtschüssel mit deftigen Würsten, selbstgemachtem Kartoffelbrei und Sauerkraut - inzwischen eben mit Abstandsregeln und Schutzmaßnahmen. An Schlachtschüssel-Tagen sei "die Bude voll", freut sich der Wirt. Doch natürlich habe die Pandemie und der Lockdown auch den Brauereigasthof getroffen.
Im März hatten zur Eindämmung des Coronavirus alle Lokale in Bayern ihre Gasträume schließen müssen. Möglich waren wochenlang nur noch Take-Away, Drive-In und Lieferdienste. Erst Mitte Mai durften Gaststätten unter Auflagen ihre Biergärten wieder öffnen, eine Woche später auch die Innenbereiche. Auch der Gnodstadter Wirt bot Speisen zum Mitnehmen an. "Viele holen auch jetzt noch das Essen lieber ab", sagt Rank. Dabei sei es doch viel geselliger, Sauerbraten, Ochsenbäckchen oder Karpfen an den großen blankgescheuerten Holztischen zu verzehren.
Die fränkische Wirtshauskultur wird überleben
Laut einer aktuellen Umfrage des Deutschen Hotel und Gaststättenverbands bangen 59 Prozent aller gastgewerblichen Unternehmer im Freistaat um ihre Existenz. "Nach zehn Wachstumsjahren in Folge verzeichnet die Branche coronabedingt seit Anfang März Umsatzverluste noch nie dagewesenen Ausmaßes“, sagt Dehoga Bayern-Präsidentin Angela Inselkammer. Bedeutet das das Aus für die traditionellen Dorfgaststätten?
Wenn Wirtin Ursula Roth vom Gasthaus Hochspessart an den bevorstehenden Winter denkt, wird ihr mulmig zumute. "Viele Gäste meiden Innenräume. Sie kamen auch im Sommer nur, wenn sie draußen sitzen konnten." Außerdem suchten die Leute in diesen Zeiten nicht unbedingt Geselligkeit. Niemand würde sich zu anderen Leuten an die Tisch setzen, sagt Roth: "Das schadet unserem Geschäft."
Einfallsreichtum der Wirt ist gefragt
Mit jedem Wirtshaus sterbe auch ein Stück fränkische Tradition, sagt Dehoga-Bezirksgeschäftsführer Michael Schwägerl. Aber er ist sicher: "Die fränkische Wirtshauskultur mit ihren fränkischen Produkten wird Bestand haben." Die Gäste wollten im Gasthaus Produkte aus der Region genießen. "Solche Gaststätten werden immer gesucht und geschätzt." Wirtshauskultur sei auch eine Haltung, sagt Schwägerl. "Die Gäste aus dem In- und Ausland, aber auch wir Einheimische, wollen fränkisches Lebensgefühl und Gastfreundschaft erleben." Umso mehr seien jetzt Herzlichkeit und Einfallsreichtum der Wirte gefragt - und treue Gäste. "Um das Wirtshaussterben in Zeiten von Corona zu verhindern, müssen viele gemeinsam anpacken."
Die beschriebene Geselligkeit war allerdings mit dem Rauchverbot vorbei.
Man hätte das damals auch anders lösen können, schade.