
Ein kleines Dorf am Meer. Als die Dettelbacherin Ingrid Turetschek vor 50 Jahren dort ankam, spürte sie sofort eine besondere Zuneigung zu dem Ort in Griechenland. Hier, am Golf von Korinth, hat sie mittlerweile seit vielen Jahren ihren griechischen Wohnsitz. Doch auch ihren deutschen möchte die weitgereiste 81-Jährige nicht aufgeben.
Zu Besuch bei ihrer Schwester Annette Fernandes erzählt die frühere "Spiegel"-Mitarbeiterin mit Blick auf den Kitzinger Main von einem Leben zwischen Delphi und Dettelbach, göttlichen Fügungen und dem Gefühl von Heimat in der Fremde.

Ingrid Turetschek: Wenn ich in Griechenland bin, denke ich: Hier bin ich daheim. Wenn ich in Deutschland bin, dann spüre ich meine Wurzeln, meine Verbindungen zu den Menschen. In Griechenland vermisse ich die Verlässlichkeit und Bequemlichkeit Deutschlands und das medizinische System. Bin ich in Deutschland, vermisse ich das Meer und die Natur. Vielleicht kann man es so sagen: Griechenland ist mein Sehnsuchtsort, meine selbstgewählte Heimat, mein Paradies.

Turetschek: Aus purem Zufall. In den 1970er-Jahren bin ich mit meinem damaligen Mann durchs Land gereist. Einmal, als es besonders heiß war, haben wir auf der Karte die näheste Verbindung zum Meer gesucht – und sind in dem kleinen Ort Marathias gelandet, zu dem damals nicht mal eine richtige Straße führte. Es war wunderschön dort. Wir waren die einzigen Fremden – aber für mich hat es sich angefühlt wie heimkommen.
Turetschek: Ja! Dieses ursprüngliche Leben dort, die unberührte Natur, das klare Wasser, der tiefblaue Himmel. Vom Meer aus ist man innerhalb kurzer Zeit mitten in den Bergen und bei antiken Stätten. Ich habe gedacht, hier gehöre ich hin.

Turetschek: Ja. Aber zuerst wohnten wir in einem alten Steinhaus, halb zerfallen. Es hatte keine Toilette. Das Wasser schöpfte man aus einer Quelle nebenan und trug es in Eimern ins Haus. Anfangs haben wir unter einem Maulbeerbaum geschlafen. Mein damaliger Mann hat Fische mit der Harpune gefangen, die wir auf einem Gaskocher gebraten haben. Es war faszinierend, mit wie wenig man auskommen und doch glücklich sein kann. Ein Marmeladenbrot oder ein Joghurt zum Frühstück hat völlig gereicht.

Turetschek: Mein Haus heute hat modernen Komfort, Wasch- und Spülmaschine, heißes Wasser von einer Photovoltaikanlage, einen Kamin für den Winter. Nach wie vor faszinieren mich die Natur, das Meer, die Berge, die historischen Zeugen der Geschichte. Allerdings ist der Klimawandel in Griechenland schon viel deutlicher zu spüren als in Deutschland. Bereits im Juni hat man mittlerweile radikale Hitzewellen. Im nahen Athen halten es die Leute im Hochsommer kaum noch aus. Unser Dorf hat im Winter 300 Einwohner, im Sommer flüchtet halb Athen zu uns, alle Strände sind rappelvoll.

Turetschek: Die Griechen sind wahnsinnig gastfreundlich, fragen immer "Ti kanis", wie geht's dir? Wenn sie direkt mit mir reden, bin ich die Ingrid, sobald ich mich aber umdrehe, bin ich die "Germanitha", die Deutsche. Ich bin heute gut integriert, aber anfangs mochten sie es nicht, wenn Fremde sich bei ihnen breitmachten. Als mein erster Mann und ich uns scheiden ließen, habe ich eine Weile wieder in Deutschland als Geschichtslehrerin gearbeitet. Seit gut 20 Jahren verbringe ich aber den Großteil meiner Zeit in Griechenland, die Krise 2015 habe ich live miterlebt. Und mich nicht wirklich darüber gewundert! Denn Steuern hat hier kaum jemand gezahlt. Viel mehr wundere ich mich darüber, dass die Geschichte im "Land der Götter" mich deutlich stärker packt als viele Griechen.
Turetschek: Manchmal spüre ich an Grabungsstätten eine ganz besondere Energie und Atmosphäre. Wahrscheinlich kommt das ein Stück weit von meinem Opa Franz, der uns als Kindern immer Geschichten und antike Sagen erzählt hat.

Turetschek: Benjamin, mein Sohn, hat immer wieder gesagt: "Jetzt schreib' das doch alles endlich mal auf." Entstanden ist keine Autobiografie, sondern ein Roman über Liebe, Krieg und Frieden, Griechenland, Deutschland, Dettelbach. Aktuelles wird mit der Geschichte verwoben: Der Zustand der Welt ist besorgniserregend, das können die Götter im Olymp nicht ignorieren. Also beschließen sie, dass eine Priesterin des Apollon, eine Pythia, den Menschen den Weg zeigen soll.

Turetschek: So ist der Plan der olympischen Götter, die im Buch christliche Verbündete bekommen. Und am Ende spielt sogar Tom Hanks eine Rolle.
Turetschek: Sagen wir so: In dem Buch steckt viel von meiner Lebenserfahrung. Überall, wo ich gelebt habe, war eines immer gleich: Wenn man mit offenem Herzen friedlich auf die Menschen zugeht, reagieren diese ebenso friedfertig. Eigentlich will jeder einfach nur in Frieden leben.