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Dettelbach
"Ich habe gedacht, hier gehöre ich hin": Vom Glück einer Auswanderin zwischen Dettelbach und Delphi
Ingrid Turetschek ist vor 50 Jahren nach Griechenland gezogen. Hier erzählt sie vom Schlafen unterm Maulbeerbaum, von Glück ohne Geld und von einer ganz besonderen Energie.
Ingrid "Ina" Turetschek auf Exkursion im antiken Kalydon. Sie liest gern die historischen Schriften an den Originalschauplätzen.
Foto: Ingrid Turetschek | Ingrid "Ina" Turetschek auf Exkursion im antiken Kalydon. Sie liest gern die historischen Schriften an den Originalschauplätzen.
Redaktion
 |  aktualisiert: 29.01.2025 02:40 Uhr

Ein kleines Dorf am Meer. Als die Dettelbacherin Ingrid Turetschek vor 50 Jahren dort ankam, spürte sie sofort eine besondere Zuneigung zu dem Ort in Griechenland. Hier, am Golf von Korinth, hat sie mittlerweile seit vielen Jahren ihren griechischen Wohnsitz. Doch auch ihren deutschen möchte die weitgereiste 81-Jährige nicht aufgeben.

Zu Besuch bei ihrer Schwester Annette Fernandes erzählt die frühere "Spiegel"-Mitarbeiterin mit Blick auf den Kitzinger Main von einem Leben zwischen Delphi und Dettelbach, göttlichen Fügungen und dem Gefühl von Heimat in der Fremde.

Von Turetscheks Terrasse aus hat man einen herrlichen Blick in den Garten.
Foto: Ingrid Turetschek | Von Turetscheks Terrasse aus hat man einen herrlichen Blick in den Garten.
Ist Griechenland Ihr Zuhause oder doch Deutschland, Frau Turetschek?

Ingrid Turetschek: Wenn ich in Griechenland bin, denke ich: Hier bin ich daheim. Wenn ich in Deutschland bin, dann spüre ich meine Wurzeln, meine Verbindungen zu den Menschen. In Griechenland vermisse ich die Verlässlichkeit und Bequemlichkeit Deutschlands und das medizinische System. Bin ich in Deutschland, vermisse ich das Meer und die Natur. Vielleicht kann man es so sagen: Griechenland ist mein Sehnsuchtsort, meine selbstgewählte Heimat, mein Paradies.

Eine Idylle, nicht immer so menschenleer: Eine der Badebuchten in Ingrid Turetscheks griechischer Heimat Marathias.
Foto: Ingrid Turetschek | Eine Idylle, nicht immer so menschenleer: Eine der Badebuchten in Ingrid Turetscheks griechischer Heimat Marathias.
Wie haben Sie dieses Paradies gefunden?

Turetschek: Aus purem Zufall. In den 1970er-Jahren bin ich mit meinem damaligen Mann durchs Land gereist. Einmal, als es besonders heiß war, haben wir auf der Karte die näheste Verbindung zum Meer gesucht – und sind in dem kleinen Ort Marathias gelandet, zu dem damals nicht mal eine richtige Straße führte. Es war wunderschön dort. Wir waren die einzigen Fremden – aber für mich hat es sich angefühlt wie heimkommen.

"Unser Dorf hat im Winter 300 Einwohner, im Sommer flüchtet halb Athen zu uns."
Ingrid Turetschek über ihre Wahlheimat Marathias
Heimkommen – 2000 Kilometer weit weg von Dettelbach, wo sie aufgewachsen sind?

Turetschek: Ja! Dieses ursprüngliche Leben dort, die unberührte Natur, das klare Wasser, der tiefblaue Himmel. Vom Meer aus ist man innerhalb kurzer Zeit mitten in den Bergen und bei antiken Stätten. Ich habe gedacht, hier gehöre ich hin. 

Im griechischen Bergland finden sich viele antike Stätten, bekannte und unbekanntere. Hier sind die Relikte des Tempels der Artemis und des Apollon von Kalydon zu sehen.
Foto: Ingrid Turetschek | Im griechischen Bergland finden sich viele antike Stätten, bekannte und unbekanntere. Hier sind die Relikte des Tempels der Artemis und des Apollon von Kalydon zu sehen.
Also haben Sie sich Land gekauft?

Turetschek: Ja. Aber zuerst wohnten wir in einem alten Steinhaus, halb zerfallen. Es hatte keine Toilette. Das Wasser schöpfte man aus einer Quelle nebenan und trug es in Eimern ins Haus. Anfangs haben wir unter einem Maulbeerbaum geschlafen. Mein damaliger Mann hat Fische mit der Harpune gefangen, die wir auf einem Gaskocher gebraten haben. Es war faszinierend, mit wie wenig man auskommen und doch glücklich sein kann. Ein Marmeladenbrot oder ein Joghurt zum Frühstück hat völlig gereicht. 

In ihrem eigenen Garten erntet Ingrid Turetschek mit ihren Helfern jedes Jahr viele Säcke Oliven, aus denen sie Olivenöl presst.
Foto: Ingrid Turetschek | In ihrem eigenen Garten erntet Ingrid Turetschek mit ihren Helfern jedes Jahr viele Säcke Oliven, aus denen sie Olivenöl presst.
Wie ist das heute?

Turetschek:  Mein Haus heute hat modernen Komfort, Wasch- und Spülmaschine, heißes Wasser von einer Photovoltaikanlage, einen Kamin für den Winter. Nach wie vor faszinieren mich die Natur, das Meer, die Berge, die historischen Zeugen der Geschichte. Allerdings ist der Klimawandel in Griechenland schon viel deutlicher zu spüren als in Deutschland. Bereits im Juni hat man mittlerweile radikale Hitzewellen. Im nahen Athen halten es die Leute im Hochsommer kaum noch aus. Unser Dorf hat im Winter 300 Einwohner, im Sommer flüchtet halb Athen zu uns, alle Strände sind rappelvoll. 

Ingrid Turetscheks griechisches Paradies: In diesem Haus lebt die gebürtige Dettelbacherin.
Foto: Ingrid Turetschek | Ingrid Turetscheks griechisches Paradies: In diesem Haus lebt die gebürtige Dettelbacherin.
Sind Sie nach so vielen Jahren im Dorf voll integriert?

Turetschek: Die Griechen sind wahnsinnig gastfreundlich, fragen immer "Ti kanis", wie geht's dir? Wenn sie direkt mit mir reden, bin ich die Ingrid, sobald ich mich aber umdrehe, bin ich die "Germanitha", die Deutsche. Ich bin heute gut integriert, aber anfangs mochten sie es nicht, wenn Fremde sich bei ihnen breitmachten. Als mein erster Mann und ich uns scheiden ließen, habe ich eine Weile wieder in Deutschland als Geschichtslehrerin gearbeitet. Seit gut 20 Jahren verbringe ich aber den Großteil meiner Zeit in Griechenland, die Krise 2015 habe ich live miterlebt. Und mich nicht wirklich darüber gewundert! Denn Steuern hat hier kaum jemand gezahlt. Viel mehr wundere ich mich darüber, dass die Geschichte im "Land der Götter" mich deutlich stärker packt als viele Griechen. 

Was bedeutet das?

Turetschek: Manchmal spüre ich an Grabungsstätten eine ganz besondere Energie und Atmosphäre. Wahrscheinlich kommt das ein Stück weit von meinem Opa Franz, der uns als Kindern immer Geschichten und antike Sagen erzählt hat. 

Die Kitzinger Künstlerin Annette Fernandes (links) hat das Titelbild für den Roman ihrer Schwester Ingrid 'Ina'  Turetschek gemalt.
Foto: Diana Fuchs | Die Kitzinger Künstlerin Annette Fernandes (links) hat das Titelbild für den Roman ihrer Schwester Ingrid "Ina"  Turetschek gemalt.
In die Welt der Götter entführt auch Ihr erster Roman, den Sie heuer veröffentlicht haben. Warum wird man mit 81 Jahren zur Buchautorin?

Turetschek: Benjamin, mein Sohn, hat immer wieder gesagt: "Jetzt schreib' das doch alles endlich mal auf." Entstanden ist keine Autobiografie, sondern ein Roman über Liebe, Krieg und Frieden, Griechenland, Deutschland, Dettelbach. Aktuelles wird mit der Geschichte verwoben: Der Zustand der Welt ist besorgniserregend, das können die Götter im Olymp nicht ignorieren. Also beschließen sie, dass eine Priesterin des Apollon, eine Pythia, den Menschen den Weg zeigen soll.

Ingrid "Ina" und ihre Freundin Ursula, die im Roman Lisa heißt, tragen im antiken Theater von Kalydon das Mythos der Eberjagd vor, wie es bei Homer erwähnt wird.
Foto: Ingrid Turetschek | Ingrid "Ina" und ihre Freundin Ursula, die im Roman Lisa heißt, tragen im antiken Theater von Kalydon das Mythos der Eberjagd vor, wie es bei Homer erwähnt wird.
Es geht also um eine Götterbotin, die Frieden und Vernunft in die Welt bringt?

Turetschek: So ist der Plan der olympischen Götter, die im Buch christliche Verbündete bekommen.  Und am Ende spielt sogar Tom Hanks eine Rolle. 

Gibt es ein Happy-End?

Turetschek: Sagen wir so: In dem Buch steckt viel von meiner Lebenserfahrung. Überall, wo ich gelebt habe, war eines immer gleich: Wenn man mit offenem Herzen friedlich auf die Menschen zugeht, reagieren diese ebenso friedfertig. Eigentlich will jeder einfach nur in Frieden leben.

Ingrid Turetschek – Weltenbummlerin und Autorin

Die Autorin: Aufgewachsen als Ingrid Lehmann in Dettelbach, zog es die Fränkin früh hinaus in die Welt. Nach dem Abitur und einer Dolmetscherausbildung arbeitete sie unter anderem für die Main-Post in Würzburg und das Nachrichtenmagazin "Spiegel" in Hamburg. Sie studierte Geschichte, Politik und Archäologie, verbrachte je ein Jahr in China und Kolumbien – und immer wieder viel Zeit in Griechenland. Ingrid Turetschek arbeitete als Lehrerin in Frankfurt. Seit ihrer Pensionierung lebt sie den Großteil des Jahres in Griechenland. 
Das Buch: Unter dem Pseudonym Ina Lemko hat Ingrid Turetschek heuer den Roman "Wanted - Pythia gesucht" veröffentlicht. ISBN: 978-3-7597-0592-1, BoD, 18,99 Euro.
Quelle: ldk
 
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