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Kitzingen
"Ich dachte, Schwulsein wäre etwas Krankes": Jans mutiger Weg zum Coming-out und seine Zerrissenheit
Immer wieder verleugnet Jan seine Homosexualität – zehn Jahre lang. Dann findet er in Kitzingen mit der Liebe auch sein Glück. Von einem langen Kampf, zu sich selbst zu stehen.
Jan steht in Kitzingen, seiner neuen Wahlheimat, vor seinem Stammlokal. Nach Jahren des Haderns und Zweifelns fühlt sich der 29-Jährige endlich 'angekommen'.
Foto: Daniel Peter | Jan steht in Kitzingen, seiner neuen Wahlheimat, vor seinem Stammlokal. Nach Jahren des Haderns und Zweifelns fühlt sich der 29-Jährige endlich "angekommen".
Sarah Gräf
 |  aktualisiert: 08.02.2025 02:36 Uhr

Fragt man Jan nach einem Ort für ein Treffen, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: sein Stammlokal in Kitzingen. Dort kennt er jeden, dort fühlt er sich wohl – in Kitzingen ist er "endlich angekommen", sagt er. Das war nicht immer so.

Groß geworden in einem sehr konservativen Umfeld, fiel es ihm mehr als ein Jahrzehnt lang schwer, sich anzunehmen – sein "Anderssein", wie er es im Gespräch wiederholt betitelt. Jan ist homosexuell. Eine Erkenntnis, die der 29-Jährige erst seit kurzem vollends umarmt.

Aufgewachsen ist Jan in der Nähe von Regensburg. Von da an wirft ihn seine persönliche Lebensgeschichte immer wieder an verschiedene Orte, in verschiedene Situationen. "Zu meiner Familie habe ich keinen Kontakt mehr", sagt er und schnauft dabei. "Will ich aber auch nicht." Die familiären Verhältnisse beschreibt Jan als schwierig, viele Konflikte habe es gegeben. Das Elternhaus: konservativ geprägt.

Die allererste Freundin und ein sonderbarer Arztbesuch

Der Körper verändert sich, die Hormone tanzen Cha Cha Cha – und nanu? Das andere oder eben auch das gleiche Geschlecht ist plötzlich auf eine andere Art und Weise interessant. Als Jan 16 Jahre alt ist, verliebt er sich das erste Mal – in ein Mädchen. Doch auch nach einem Jahr romantischer Beziehung und der großen Lust, sexuell gemeinsam neue Erfahrungen zu sammeln, "ging da absolut gar nichts", erzählt der 29-Jährige.

Ein Arztbesuch sollte Klarheit bringen, berichtet Jan. Stattdessen sei er als damals 16-Jähriger mit Tausenden Fragenzeichen im Kopf nach Hause gestapft. Und auch mit etwas Wut im Bauch. "Versuch es doch mal mit Männern", habe der Arzt ihm mitgeteilt. Bis dahin war in seinem Kopf kein Platz für solche Ideen – nicht zuletzt wegen seiner "sehr konservativen" Erziehung, wie Jan erzählt. "Ich war wütend und total dagegen. Ich dachte, Schwulsein wäre etwas Krankes, etwas Abartiges."

Das erste Mal mit einem Mann: Wow!

Jan lebte jahrelang in der festen Überzeugung, mit ihm stimme etwas nicht.
Foto: Daniel Peter | Jan lebte jahrelang in der festen Überzeugung, mit ihm stimme etwas nicht.

Es dauerte ein paar Tage, bis er diesem Gedanken und sich selbst wohlgesonnener begegnen konnte und all seinen Mut zusammennahm. "Naja, warum nicht?" sagte er sich und installierte eine Dating-App. "Dann hatte ich meine erste sexuelle Erfahrung mit einem Mann. Ich hatte wirklich große Angst davor, aber wow!"

Mit strahlenden Augen berichtet er von diesem Aha-Erlebnis. "Da habe ich wirklich Liebe gespürt, und ab da wusste ich, wo ich hingehöre."

Doch der Floh im Kopf saß da immer noch: So schön sich diese Erfahrung für Jan anfühlte, so destruktiv wirkte sie sich auf sein Selbstwertgefühl aus. "Okay, jetzt bin ich krank", war die Schlussfolgerung des damals 17-Jährigen. "Da war eine große Abneigung gegen mich selbst."

Das Coming-out: der Bruch mit der Familie

Und das in seinen Augen Schwierigste stand ihm noch bevor: Wie sag ich's meinem Vater? Zur Mutter, geschieden vom Vater, hatte Jan zu dieser Zeit schon keinen Kontakt mehr. Der 17-Jährige wollte die neue Erkenntnis zeitig, direkt und ehrlich kommunizieren. Obwohl er ahnte, "dass mein Vater nichts mehr mit mir zu tun haben will, wenn ich mich oute".

Tatsächlich folgte auf das nervenaufreibende Gespräch mit seinem Vater der totale Bruch mit der Familie: Jan haute von zu Hause ab. Er kam zunächst bei Verwandten unter, mal bei Freunden, mal mietete er eine eigene Wohnung. "Das einzige, was ich hatte, war so ein Mini-Reisekoffer." Die Zeit beschreibt Jan als turbulent und unsicher. "Mit 17 Jahren musste ich erst mal lernen, wie das Leben funktioniert."

""Manchmal dachte ich sogar daran, meine Sexualität zu verstecken und heterosexuell zu leben."
Jan

Mit Anfang 20 führte die Liebe Jan nach München, das erste Mal raus aus dem gewohnten Umfeld. Die inneren Kämpfe aber ließen ihn nicht los. Die Beziehung, die er dort mit einem Mann führte: eine harte Probe. "Ich hatte auch Momente, da lehnte ich meinen Partner ab, wollte nicht berührt werden, sagte ihm, wir wären falsch", erzählt er. "Manchmal dachte ich sogar daran, meine Sexualität zu verstecken und heterosexuell zu leben."

Innerer Kampf zwischen Selbsthass und Selbstliebe 

Hatte sein erster fester Partner wenig Verständnis für den Konflikt zwischen seinen Werten und seinem Sein, so konnte sein zweiter Partner in Nürnberg das Chaos in seinem Kopf besser nachvollziehen, erzählt Jan. Das sei eine entscheidende Erfahrung gewesen und habe bei ihm "das Eis gebrochen". Jemand der ihn versteht, jemand der das gleiche erlebt hat, jemand, mit dem er darüber reden konnte. "Und er hat mir gezeigt, dass ich als Mensch geliebt werde, egal was ist."

Ein gutes Gefühl, und trotzdem holten Jan Depressionen ein. Der Leidensdruck hielt an, eine Therapie sollte Erleichterung bringen. Drei Jahre Behandlung, in der der junge Erwachsene alles aufarbeiten konnte, haben ihm "gut getan, sehr gut sogar", wie Jan betont. Gleichwohl er in den Sitzungen den Schmerz aufwühlte, der durch die Trennung von seiner Familie in ihm nachhalle, ein Schmerz, den er auch heute zuweilen noch spürt, konnte er dadurch seine Homosexualität "leben und mich selbst akzeptieren".

Jan und sein Partner, der auch Jan heißt, sind seit einigen Monaten ein Paar.
Foto: Sarah Gräf | Jan und sein Partner, der auch Jan heißt, sind seit einigen Monaten ein Paar.

Heute lebt der 29-Jährige in Kitzingen – zusammen mit seinem Freund. "Ich habe einen Job, meine Stammkneipe und neue Freunde gefunden", erzählt Jan. "Jetzt bin ich echt angekommen. Man wird hier aufgenommen." Ein Happy End. "Nach all den Jahren voller Pech" sei er "dankbar, so einen Menschen gefunden zu haben", der ihn nie "hängen lässt" und immer für ihn da ist. Das Glück, es ist in sein Leben zurückgekehrt.

Wie die Rosa Hilfe Würzburg Betroffene unterstützt

426 Anfragen verzeichnete die Rosa Hilfe Würzburg, eine Beratungsstelle für queere Männer, im Jahr 2024. Menschen, die um Rat suchen, können sich dort anonym und niederschwellig melden. 
Als zweithäufigsten Grund einer Anfrage nennt die Rosa Hilfe Würzburg "Selbstzweifel und Depression". Diese Themen müssen dabei nicht zwangsläufig in Zusammenhang mit der Sexualität stehen. 
61 der insgesamt 426 Beratungsgespräche haben sich um das Thema Depression oder Selbstzweifel.
Dennoch berichtet die Rosa Hilfe, es gebe häufig Menschen, die "mit ihrer sexuellen Orientierung hadern, nachdem sie bereits in die queere Community vorgewagt haben".
Quelle: Rosa Hilfe Würzburg
 
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Kommentare
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  • Christine Gerhardt
    Sehr traurig dass es hier sofort wieder passiv-aggressive Kommentare gibt. So ein Artikel kann anderen Menschen, die sich vielleicht ähnlich fühlen, viel vermitteln, es ist sehr mutig von dem jungen Mann sich öffentlich zu erklären. Wen es nicht interessiert der kann doch einfach einen anderen Artikel lesen. Zum Beispiel einen, in dem sich heterosexuelle Menschen bei den Eltern outen und.. Ach stimmt so etwas gibt es ja nicht. Übrigens ist im Artikel keinerlei Anklage zu finden, es geht um den Kampf mit sich selbst. Wirklich, mancherlei Ignoranz hier ist kaum auszuhalten!
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  • Michael Riedner
    Sie haben sich sicherlich mit 16 geoutet.
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  • Michael Riedner
    Warum bekommen diese Minderheiten oder anders lebende Menschen ständig von der Mainpost eine so große Plattform?
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  • Georg Wohlfart-Mitznegg
    Damit die sich als Mehrheit Fühlenden immer wieder daran erinnert werden, daß unsere Gesellschaft aus individuellen Personen besteht und keine gesichtslose homogene Masse ist!?
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  • Ulrike Schneider
    Mit 17 Jahren muss wohl jeder lernen, wie das Leben funktioniert. Egal welcher sexueller Ausrichtung.

    Was erwarten all die "coming out" von der Allgemeinheit? Eine Sonderbehandlung? Wenn ja, warum? Fühlen sie sich etwa als etwas besonders? Das sind sie nicht. Jeder sollte so leben wie er es möchte. Ohne mediale Aufmerksamkeit zu suchen.
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  • Martin Deeg
    Googeln Sie doch mal den Begriff "Sonderbehandlung", Frau Schneider!

    Sie sind entweder sehr unbedarft oder Sie provozieren sehr gezielt.
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  • Harald Raiger
    Leben und leben lassen …. Finde es toll Jan wie du damit umgehst und akzeptiert wirst, sollte auch selbstverständlich sein, finde ich ! Und wenn deine Familienangehörigen nicht zu Dir halten , dann ist ein Bruch die bessere Wahl, auch wenn es schade ist . Es ist dein Leben, und nur Du bestimmst, wer Dir guttut und wer nicht.
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  • Norbert Meyer
    Leider verstößt der Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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