
Fragt man Jan nach einem Ort für ein Treffen, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: sein Stammlokal in Kitzingen. Dort kennt er jeden, dort fühlt er sich wohl – in Kitzingen ist er "endlich angekommen", sagt er. Das war nicht immer so.
Groß geworden in einem sehr konservativen Umfeld, fiel es ihm mehr als ein Jahrzehnt lang schwer, sich anzunehmen – sein "Anderssein", wie er es im Gespräch wiederholt betitelt. Jan ist homosexuell. Eine Erkenntnis, die der 29-Jährige erst seit kurzem vollends umarmt.
Aufgewachsen ist Jan in der Nähe von Regensburg. Von da an wirft ihn seine persönliche Lebensgeschichte immer wieder an verschiedene Orte, in verschiedene Situationen. "Zu meiner Familie habe ich keinen Kontakt mehr", sagt er und schnauft dabei. "Will ich aber auch nicht." Die familiären Verhältnisse beschreibt Jan als schwierig, viele Konflikte habe es gegeben. Das Elternhaus: konservativ geprägt.
Die allererste Freundin und ein sonderbarer Arztbesuch
Der Körper verändert sich, die Hormone tanzen Cha Cha Cha – und nanu? Das andere oder eben auch das gleiche Geschlecht ist plötzlich auf eine andere Art und Weise interessant. Als Jan 16 Jahre alt ist, verliebt er sich das erste Mal – in ein Mädchen. Doch auch nach einem Jahr romantischer Beziehung und der großen Lust, sexuell gemeinsam neue Erfahrungen zu sammeln, "ging da absolut gar nichts", erzählt der 29-Jährige.
Ein Arztbesuch sollte Klarheit bringen, berichtet Jan. Stattdessen sei er als damals 16-Jähriger mit Tausenden Fragenzeichen im Kopf nach Hause gestapft. Und auch mit etwas Wut im Bauch. "Versuch es doch mal mit Männern", habe der Arzt ihm mitgeteilt. Bis dahin war in seinem Kopf kein Platz für solche Ideen – nicht zuletzt wegen seiner "sehr konservativen" Erziehung, wie Jan erzählt. "Ich war wütend und total dagegen. Ich dachte, Schwulsein wäre etwas Krankes, etwas Abartiges."
Das erste Mal mit einem Mann: Wow!

Es dauerte ein paar Tage, bis er diesem Gedanken und sich selbst wohlgesonnener begegnen konnte und all seinen Mut zusammennahm. "Naja, warum nicht?" sagte er sich und installierte eine Dating-App. "Dann hatte ich meine erste sexuelle Erfahrung mit einem Mann. Ich hatte wirklich große Angst davor, aber wow!"
Mit strahlenden Augen berichtet er von diesem Aha-Erlebnis. "Da habe ich wirklich Liebe gespürt, und ab da wusste ich, wo ich hingehöre."
Doch der Floh im Kopf saß da immer noch: So schön sich diese Erfahrung für Jan anfühlte, so destruktiv wirkte sie sich auf sein Selbstwertgefühl aus. "Okay, jetzt bin ich krank", war die Schlussfolgerung des damals 17-Jährigen. "Da war eine große Abneigung gegen mich selbst."
Das Coming-out: der Bruch mit der Familie
Und das in seinen Augen Schwierigste stand ihm noch bevor: Wie sag ich's meinem Vater? Zur Mutter, geschieden vom Vater, hatte Jan zu dieser Zeit schon keinen Kontakt mehr. Der 17-Jährige wollte die neue Erkenntnis zeitig, direkt und ehrlich kommunizieren. Obwohl er ahnte, "dass mein Vater nichts mehr mit mir zu tun haben will, wenn ich mich oute".
Tatsächlich folgte auf das nervenaufreibende Gespräch mit seinem Vater der totale Bruch mit der Familie: Jan haute von zu Hause ab. Er kam zunächst bei Verwandten unter, mal bei Freunden, mal mietete er eine eigene Wohnung. "Das einzige, was ich hatte, war so ein Mini-Reisekoffer." Die Zeit beschreibt Jan als turbulent und unsicher. "Mit 17 Jahren musste ich erst mal lernen, wie das Leben funktioniert."
Mit Anfang 20 führte die Liebe Jan nach München, das erste Mal raus aus dem gewohnten Umfeld. Die inneren Kämpfe aber ließen ihn nicht los. Die Beziehung, die er dort mit einem Mann führte: eine harte Probe. "Ich hatte auch Momente, da lehnte ich meinen Partner ab, wollte nicht berührt werden, sagte ihm, wir wären falsch", erzählt er. "Manchmal dachte ich sogar daran, meine Sexualität zu verstecken und heterosexuell zu leben."
Innerer Kampf zwischen Selbsthass und Selbstliebe
Hatte sein erster fester Partner wenig Verständnis für den Konflikt zwischen seinen Werten und seinem Sein, so konnte sein zweiter Partner in Nürnberg das Chaos in seinem Kopf besser nachvollziehen, erzählt Jan. Das sei eine entscheidende Erfahrung gewesen und habe bei ihm "das Eis gebrochen". Jemand der ihn versteht, jemand der das gleiche erlebt hat, jemand, mit dem er darüber reden konnte. "Und er hat mir gezeigt, dass ich als Mensch geliebt werde, egal was ist."
Ein gutes Gefühl, und trotzdem holten Jan Depressionen ein. Der Leidensdruck hielt an, eine Therapie sollte Erleichterung bringen. Drei Jahre Behandlung, in der der junge Erwachsene alles aufarbeiten konnte, haben ihm "gut getan, sehr gut sogar", wie Jan betont. Gleichwohl er in den Sitzungen den Schmerz aufwühlte, der durch die Trennung von seiner Familie in ihm nachhalle, ein Schmerz, den er auch heute zuweilen noch spürt, konnte er dadurch seine Homosexualität "leben und mich selbst akzeptieren".

Heute lebt der 29-Jährige in Kitzingen – zusammen mit seinem Freund. "Ich habe einen Job, meine Stammkneipe und neue Freunde gefunden", erzählt Jan. "Jetzt bin ich echt angekommen. Man wird hier aufgenommen." Ein Happy End. "Nach all den Jahren voller Pech" sei er "dankbar, so einen Menschen gefunden zu haben", der ihn nie "hängen lässt" und immer für ihn da ist. Das Glück, es ist in sein Leben zurückgekehrt.
Was erwarten all die "coming out" von der Allgemeinheit? Eine Sonderbehandlung? Wenn ja, warum? Fühlen sie sich etwa als etwas besonders? Das sind sie nicht. Jeder sollte so leben wie er es möchte. Ohne mediale Aufmerksamkeit zu suchen.
Sie sind entweder sehr unbedarft oder Sie provozieren sehr gezielt.