Das Stück ist nicht nur etwas für Theaterfans, sondern erhellt einige heutige Selbstverständlichkeiten in der Stadt. Und es zeigt, dass die Lebensumstände in den vergangenen 1300 Jahren immer wieder mal denen der Gegenwart ähneln.
Der Sommer 1471 war ähnlich heiß und trocken wie der des Jahres 2022. Baumaterialien hatten die Maurergehilfen rund um Meister Markus damals zuhauf. Allerdings kein Wasser, um den Mörtel anzumischen. Wirt Lambeck empfiehlt den Handwerkern, für den Bau des Falterturms Wein zu verwenden. Gesagt, getan – und noch heute ist die Mär vom beschwipsten Wahrzeichen der Stadt allgegenwärtig. In der Häckerchronik werden Legenden wie diese lebendig.
Das Grauen des Bürgerkriegs
Keine Legende, und in manchen Gesellschaften heute immer noch üblich, ist die Zwangsverheiratung Minderjähriger. Mit zwölf kam Hedwig von Andechs 1186 zur Erziehung ins Benediktinerinnenkloster nach Kitzingen, wo sie auf die Hochzeit mit Heinrich I., Herzog von Schlesien, vorbereitet werden sollte. Die Geschichte der 1267 Heilig gesprochenen Hedwig ging gut aus. Nicht so die der 58 Kitzinger Bürger, die sich 1525 Florian Geyers "Schwarzer Schar" im Bauerkrieg angeschlossen hatten und wegen ihres Aufrührens auf Befehl von Markgraf Casimir von Ansbach geblendet wurden. Wer in der Kitzinger Altstadt vom Falterturm kommend in Richtung Main am Leidenhof vorbeikommt, wo diese grauenvolle Tat geschah, kann das auf einer Schautafel nachlesen.
Unter der bewährten Regie von Helmut Fuchs, der seit 1981 das von Engelbert Bach ins Leben gerufene Stück inszeniert, heißt es keinesfalls "keine Experimente" – die Geschichte wird immer wieder neu interpretiert. So wurde die Szene rund um den schwierigen Rathausbau im Jahr 1563 um einige Dialoge erweitert. Wer schon einmal selbst gebaut hat, fühlt sich dabei sofort an aktuelle Genehmigungsverfahren erinnert.
Immer wieder Kriege
Immer wieder auf der Tagesordnung des aktuellen Kitzinger Stadtrates stehen der Bahnhof in Kitzingen und sein Umbau. Heute ist es selbstverständlich, dass man in Kitzingen zusteigen kann und schnell in Würzburg oder Nürnberg ist. Das war um 1860 keinesfalls so, als Eisenbahner und Rangschiffer um ihre Interessen stritten.
Kriege gab es immer. Der schlimmste von allen im 20. Jahrhundert, der am 23. Februar 1945 auch Kitzingen in Schutt und Asche gelegt hat. Die dazugehörige Szene veranschaulicht das eindrucksvoll. Es sind Momente wie diese, die dem Zuschauer des alle fünf Jahre aufgeführten Spiels immer wieder einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Nicht nur, weil unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine gerade diese Episode noch einmal tiefer geht. Sondern auch, weil das Ensemble aus rund 80 Laiendarstellern sich in den 15 Szenen als wandlungsfähig und einfühlsam erweist. Dabei wird penibel auf die Kostüme geachtet, die das Schauspiel auch zu einem Fest für die Augen machen.
Interaktiv wird’s auch – als die "Hill Billy"-Bar das Party-Epizentrum der Stadt wird und die Menschen zu "Rock around the clock" tanzen, holt das Ensemble auch das Publikum auf die Bühne. Nach rund fünf Stunde Spielzeit eine schöne Abwechslung. Sitzfleisch braucht man nämlich, um dieses Schauspiel nahezu wagnerianischem Ausmaßes genießen zu können. Oder eben die Bereitschaft, sich auf die lehrreiche Geschichtsstunde einzulassen, die Kitzinger Laien mit viel Hingabe darbieten.
Ein Drittel des Stabs ist in diesem Jahr zum ersten Mal dabei – viele schon seit über 40 Jahren. Das gilt auch für das Kolping Musik Corps, das von Anfang an der Häckerchronik mit Trommeln, Pfeifen und Fanfaren treu zur Seite steht. Harfenistin Julia Rosenbeger verzaubert die Umbaupausen mit ihrem Instrument.
Häcker Reinhard Hüßner, frisch gebackener Pensionär, der als langjähriger Leiter des Kirchenburgmuseums Mönchsondheim in seiner Darstellerrolle plötzlich selbst zum musealen Objekt wird, ist die unsterbliche Leitfigur des Spiels, die durch die Jahre führt. Diese Mischung aus alten Hasen und jungen Hüpfern macht´s aus und sorgt dafür, dass die knapp fünf Stunden nur selten mal langweilig werden. Es lohnt sich auf jeden Fall.
Weitere Aufführungen: Mittwoch, 27. Juli, 19.30 Uhr, Freitag, 29. Juli, 19.30 Uhr, Samstag, 30. Juli, 19.30 Uhr sowie Sonntag, 31. Juli, 19.30 Uhr.