Das Dettelbacher Hallenbad ist derzeit ein unwirklicher Ort. Es schaut aus, als habe jemand den Stöpsel gezogen und als sei mit einem Mal sämtliches Leben entwichen. Harald Wanner findet kaum Worte, wenn er auf dieses Stillleben blickt. Seit 32 Jahren bringen er und seine Crew von der Wasserwacht Kindern das Schwimmen bei. Wie viele andere im Land sitzen aber auch sie gerade auf dem Trockenen. Seit Monaten ist das Landkreisbad in Dettelbach geschlossen, das Wasser im einzigen Becken abgelassen. Wanner fühlt sich wie ein Kapitän, dem man die Schlüssel für sein Schiff genommen hat. „Manche Eltern bombardieren mich mit Mails und Anfragen“, sagt er. „Aber ich kann sie nur vertrösten.“
Vier Hallenbäder gibt es im Landkreis Kitzingen – sie alle haben wegen der Pandemie seit November geschlossen. Ältere Menschen können nicht mehr zur Wassergymnastik, Familien fehlt eine Freizeitattraktion. Am härtesten trifft es allerdings die Jüngsten. Sie drohen im Strudel der Corona-Maßnahmen unterzugehen. Wanner sagt: „Ich sehe die Gefahr, dass diese Kinder durchs Raster fallen.“ Weil im vergangenen Jahr viele Schwimmkurse nicht stattfanden, ging auch die Zahl der Schwimmabzeichen um bis zu 70 Prozent zurück. Als Anfang November in Deutschland auf breiter Front die Schwimmbäder schlossen, sind diese Orte zu Lost Places geworden. In vielen ist das Wasser abgelassen.
Brief an die Kanzlerin: ganzes Kulturgut in Gefahr
Die ehemalige Weltklasseschwimmerin Franziska van Almsick sagte jüngst in einem Interview: „Das Element Wasser ist in Zeiten der Pandemie total unterschätzt worden.“ Nicht nur sie fürchtet „verheerende Auswirkungen“ und äußert die Sorge, „dass wir eine verlorene Generation von Kindern haben, die das Schwimmen gar nicht lernen“. Auch bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) verweist man auf diese Gefahr. Schon vor vier Jahren stellte DLRG-Pressesprecher Achim Wiese fest: "Deutschland wird zum Nichtschwimmerland." Und der Präsident des Deutschen Schwimmverbandes Marco Troll sieht in einem Brief an die Bundeskanzlerin sogar Schwimmen als Kulturgut in Gefahr.
Wie berechtigt diese Sorge ist, wird klar, wenn man mit Leuten in Wasserwacht und Vereinen spricht. Sie berichten von langen Wartelisten für Schwimmkurse schon vor Corona. Die Pandemie fördert also nicht nur neue Probleme, sie zementiert auch die alten. In Dettelbach bietet die Ortsgruppe der Wasserwacht normalerweise vier Anfänger-Schwimmkurse für insgesamt 80 Kinder an. Doch weder im vergangenen Jahr noch in diesem hat es bisher auch nur einen solchen Kurs gegeben.
Die Wartelisten, sagt Vorsitzender Harald Wanner, seien so lang, dass die Kurse schon jetzt bis Ende 2022 ausgebucht sind. Alle Termine, die er Eltern genannt habe, seien „ohne Gewähr“. Wanner fürchtet, der Rückstand in der Schwimmausbildung werde kaum aufzuholen sein. „Manche Kinder werden auf der Strecke bleiben.“
In Iphofen sind die Kurse für vier Jahre ausgebucht
In Iphofen hat Martina Taillefer-Schnepf im letzten Jahr gar keine Termine mehr angenommen. Dort ist die Situation ähnlich dramatisch. Sechs Kurse mit jeweils zwölf Kindern sind bereits ausgefallen, das Kontingent zweier ganzer Jahre. Taillefer-Schnepf, die seit 2009 bei der Wasserwacht Kindern das Schwimmen beibringt, hat Buchungen für die nächsten vier Jahre, und sie weiß nicht, ob und wie sie diese Listen abarbeiten kann.
Mehr Kurse anbieten? „Geht nicht“, sagt sie, ohne das Personal zu erhöhen oder die Qualität zu senken. „Wir müssen in jedem Kurs zwölf Termine anbieten, damit die Kinder überhaupt eine Chance haben, Schwimmen zu lernen.“ Und jedem Kind stehe in der Regel ein Betreuer zur Seite. Da ist die Schwierigkeit, das Bad für feste Zeiten in der Woche zu bekommen, noch gar nicht berücksichtigt.
So ist auch Taillefer-Schnepf derzeit ratlos, wie sie den Buchungsstau abarbeiten soll. „Es gibt keinen Plan B. Ich werde im Sommer die Familien abtelefonieren. Vielleicht lernen die Kinder ja bis dahin im Urlaub oder am Baggersee das Schwimmen.“ Eine vage Hoffnung. Es gibt sogar Experten, die solche Versuche für keine gute Idee halten. Manche rechnen mit einem arbeitsreichen Jahr für Rettungsschwimmer und Wasserwacht.
Denn schon vor Corona hat die DLRG einen besorgniserregenden Trend festgestellt. Demnach können sechs von zehn Kindern nicht richtig schwimmen, wenn sie die Grundschule verlassen. Ertrinken gehört in dieser Altersgruppe zu den häufigsten Todesursachen. So waren im vergangenen Jahr 23 der insgesamt 378 Badetoten hierzulande im Grund- und Vorschulkinder.
Es gibt schon zwei Jahrgänge, die Verluste aufholen müssen
Neben dem Jahrgang, der jetzt nicht schwimmen gelernt hat, gibt es noch eine zweite zu kurz gekommene Gruppe. „Nach so einem Kurs muss das Kind weiter an sich arbeiten – sonst verliert es die Kraft und Konzentration“, sagt Martina Taillefer-Schnepf. Kinder, die kurz vor der Pandemie das Seepferdchen gemacht haben – vom Beckenrand springen, 25 Meter Schwimmen, einen Gegenstand vom Beckenboden holen – konnten ihre erlernten Fähigkeiten nicht festigen.
Für die Schwimmtrainer ist das größte Problem gerade die fehlende Perspektive. „Keiner weiß, wie lange sich das alles noch hinzieht, wie lange die Bäder noch geschlossen bleiben“, sagt Martina Taillefer-Schnepf in Iphofen. Und selbst, wenn es jetzt wieder losginge – die Folgen dieser Krise dürften noch eine ganze Weile zu spüren sein. Die Ungewissheit nagt auch an den Helferinnen und Helfern der Wasserwacht, deren Einsätze sich vom Beckenrand verlagert haben: in Impfzentren, Altersheime oder Corona-Teststrecken.
Taillefer-Schnepf sieht noch ein anderes Problem: „Die Generation, die jetzt nicht schwimmen lernt, wird uns in zehn Jahren als Einsatzkräfte fehlen.“ Neben den Anfängern können auch die vielen Vereinsmitglieder derzeit nicht ins Schwimmbad kommen. „Wir haben etwa 100 Kinder im wöchentlichen Training, jetzt sind wir bei 0“, sagt Taillefer-Schnepf. „Für uns alle ist das im Moment echt hart.“
Im Sommer bot sich für kurze Zeit mal ein Lichtblick. Die Türen in die Hallenbäder gingen für einen Spalt auf, nachdem der Freistaat angekündigt hatte, dass Schwimmkurse unter Auflagen möglich seien. Während in Iphofen keiner ernsthaft darauf ansprang, sah man in Dettelbach seine Chance. „Wir hatten schon ein Hygienekonzept. Acht Kinder und zwei Betreuer standen in den Startlöchern“, erzählt Harald Wanner. „Gerade als wir loslegen wollten, kam der Lockdown.“
Meine zwei waren auch zum Schwimmkurs angemeldet. Waren auch 2 - 3 mal dort. Jedoch hat der Schwimmlehrer die beiden so in die Mangel genommen, das sie nicht mehr hin wollten. Wir wollten Ihnen das Schwimmen nun selbst bei bringen. Dank Corona natürlich nicht möglich.
Ich hoffe auch das bald die Schwimmbäder wieder öffnen.
und beurkundeten Schwinnkurs kein öffentliches Bad mehr betreten darf. Es würde mich jedenfalls nicht wundern....
Möchte man sein Kind für einen Ferienspaß o.ä. anmelden, der auch nur ansatzweise was mit Wasser zu tun hat, muss das bronzene Schwimmabzeichen als Nachweis vorgelegt werden.