Auf eines konnte man sich verlassen: War ein Zeitungsbericht über das Landratsamt oder über eine Kreistagssitzung erschienen, ratterte oftmals am gleichen Morgen das Faxgerät los. Meist waren es handschriftliche Anmerkungen oder Hinweise, gerne mit "Herzlichen Grüßen" versehen. Aufnotiert von Siegfried Naser direkt nach der Zeitungslektüre, wahrscheinlich noch am Frühstückstisch. Schnell reagieren – das war eine Kernkompetenz des damaligen Landrates, der an diesem Sonntag seinen 70. Geburtstag feiert.
Wie gut das Landratsamt sei, bekam man auf den Faxblättern und Formularen in den 90er-Jahren sicherheitshalber auch gleich schriftlich mitgeteilt: "Wir sind für Sie da: unbürokratisch, schnell, bürgerfreundlich". Für die damalige Zeit war das durchaus außergewöhnlich: Behörden kamen eher träge daher. Mit Siegfried Naser änderte sich das ab 1984 grundlegend. "Wir sind für Sie da" – neue Zeiten brachen an.
Nasers forscher Weg hatte sicher auch mit seinem Alter zu tun: Mit Anfang 30 war er blutjung ins Amt gekommen. Nach dem Abitur in Gaibach studierte er in Würzburg Rechtswissenschaften und trat Anfang der 80er-Jahre als Oberregierungsrat am Landratsamt in Kitzingen seinen Dienst an. Ein paar glückliche Umstände später saß der CSU-Mann auch schon auf dem Chefsessel. Dort sollte der Sommeracher 16 Jahre und vier Monate bleiben – bis weitere glückliche Umstände eintraten.
Naser als Glücksfall
Es waren zweifellos gute Jahre für den Landkreis; Naser erwies sich als Glücksfall. Ein Macher. Ein Perfektionist. Er brachte die Behörde auf Vordermann, sorgte für Effizienz, entwickelte ein Dienstleistungszentrum. Es gab seinerzeit das Gerücht, dass nirgendwo in Bayern die Bauanträge schneller bearbeitet werden. Modern, unkonventionell. Naser erfand die Frauenquote, als es das Wort noch gar nicht gab. Eine Portion Ungeduld und ein Selbstbewusstsein, so groß wie das Landratsamt selbst, beschleunigten diese Entwicklung.
Dazu passte der schriftliche Hinweis vor dem Sitzungssaal, man solle doch seine Worte wägen und nur etwas sagen, wenn man auch etwas zu sagen habe. Ein geflügeltes Wort Nasers damals war: "Was kann ich dafür, dass ich immer recht habe!" Der Mann traf oft den Ton, hatte das richtige Gespür für Situationen. Im Kreistag herrschte oft Einstimmigkeit. "Landrat aus Überzeugung" nannte er sich. Wobei im Briefkopf nur "Der Landrat" stand. Im Streben nach mehr kam 1996 dann noch "Präsident des Bayerischen Landkreistages" dazu, ein Posten, um den er sich redlich beworben hatte.
Damals sprach einiges dafür, dass Naser der ewige Landrat bleiben würde. "Bis 2020", sagte er Ende der 90er-Jahre mehrfach. Es hätte tatsächlich nicht viel gefehlt und Naser wäre erst vor wenigen Monaten als Landrat a. D. in Rente gegangen. Und womöglich hätte kaum jemand außerhalb des Landratsamtes gewusst, wer eigentlich Tamara Bischof ist. Es kam anders. Weil eben einiges dafür sprach, dass Naser zu Höherem berufen war. Und so stellten sich mit 49 Jahren die Weichen im Leben von Siegfried Naser noch einmal neu – in Richtung München.
Zeitenwende im Landratsamt
Gleichzeitig sorgte er mit seinem Weggang im Landratsamt Kitzingen für eine Zeitenwende und eine neue politische Arithmetik: Nasers Lücke war es, die letztlich den Aufstieg der Freien Wähler im Landkreis ermöglichte und die Kreis-CSU auf Jahrzehnte hinaus nachhaltig schwächte und zum Mitläufer und Begleitboot werden ließ.
Naser, begeisterter Jogger, wechselte mit dem neuen Lebensjahrzehnt die Strecke: Statt durch die heimischen Weinberge ging es für den ehrgeizigen Fünfziger ab Oktober 2000 in München durch den Englischen Garten – als Geschäftsführender Präsident des Bayerischen Sparkassen- und Giroverbands und später auch noch als Aufsichtsratsvorsitzender des Deutschen Sparkassenverlags und als Verwaltungsratsvorsitzender der BayernLB. Letzteres sollte bald schon für Verwerfungen sorgen. Auf dem rutschigen Finanzparkett vertraute er zunächst auf das, was ihm schon im Landratsamt Erfolg gebracht hatte: Die Sparkassen sollten moderner, multimedialer und kundennäher werden.
Den Watzmann hinauf
Auf zu neuen Höhen: Das galt nicht nur beruflich; auch das Hobby-Bergsteigen nahm jetzt größere Ausmaße an. Näher an die Alpen gerückt, stellte sich der Sommeracher immer neuen Herausforderungen und kraxelte im Sommer 2001 die anspruchsvolle Watzmann-Ostwand hinauf, später ging es sogar auf den Kilimandscharo. Durch die Höhenluft sah sich Naser nicht gefährdet: "Wer als Landrat nach 16 Jahren nicht übergeschnappt ist, schnappt auch hier nicht über", betonte er in seiner Anfangszeit in München.
Doch es zeigte sich: Ganz oben ist die Luft eben doch dünn. Das bekam Naser Ende 2009 zu spüren, als das München-Abenteuer abrupt endete und er zurücktrat. Absturz des Überfliegers, ein unrühmliches Ende – Naser war plötzlich der Unvollendete.
Es gibt zwei Lesarten, was damals passiert ist: Naser nimmt für sich in Anspruch, keine Fehler gemacht zu haben. Letztlich sei ihm die weltweite Finanzkrise 2008 – Stichwort: Pleite der Investmentbank Lehmann – dazwischengekommen. Die andere Lesart: Er war an entscheidender Position mittendrin in einem der größten Finanz-Debakel in Bayern und hatte als Oberaufseher ein Milliardengrab mit zu verantworten. Denn Naser war Chef-Kontrolleur an der Spitze des Verwaltungsrats, als die bayerische Landesbank (BayernLB) 2007 einen gigantischen Fehleinkauf tätigte: An der Übernahme der Hypo Group Alpe Adria-Bank (HGAA) wäre die BayernLB fast erstickt.
Pflichten "grob fahrlässig" verletzt
Das Abenteuer kostete den Steuerzahler geschätzte 3,7 Milliarden Euro. Was am Ende sogar zu der ungewöhnlichen Situation führte, dass die BayernLB 200 Millionen Euro Schadenersatz von ihrem früheren Oberaufseher und seinen Kollegen forderte. Die Bank urteilte seinerzeit, Naser habe "seine Überwachungspflichten gegenüber dem damaligen Vorstand in grob fahrlässiger Weise verletzt". Der Betroffene verteidigte sich: Der Kauf der Kärntner Bank sei "strategisch sinnvoll und richtig gewesen".
2011 dann der letzte große Auftritt von Naser: Ein Untersuchungsausschuss des Landtages sollte das Debakel aufarbeiten. Als Naser den Abgeordneten jede Auskunft verweigerte, wurde ihm Beugehaft angedroht. Das wirkte: Zwei Tage später stand Naser dem Ausschuss Rede und Antwort. Er blieb dabei, nichts falsch gemacht zu haben.
Danach gab es den öffentlichen Naser nicht mehr. Er zog sich ins Privatleben nach Sommerach zurück. Sein Gehalt soll er damals noch zwei Jahre weiter bezogen haben, von insgesamt 1,5 Millionen Euro war damals die Rede. Das ließ die Schlagzeilen über ihn nicht gerade freundlicher werden.
Die Kränkung darüber scheint bis zum heutigen Tag groß. Dieser Redaktion gegenüber ließ er ausrichten, nicht für einen Bericht zum 70. Geburtstag zur Verfügung zu stehen. Ein Interview gab er dennoch, in der Dezember-Ausgabe des Anzeigenblattes "Fundgrube" gewährte er Einblicke in seinen Kosmos, in dem weiterhin eines für ihn feststeht: Dass er einen Fehler gemacht hat, kann er nicht erkennen.
Wie er mit Fehlern umgeht, hatte Naser auch schon bei seinem Wechsel nach München einmal so beschrieben: "Über einen Fehler oder eine falsche Entscheidung kann man sich ärgern – aber das hat keinen Sinn." Um dann anzufügen: "Ich bin ein Mensch, der selten etwas bereut!"
Es gehört zu den Kuriositäten in diesem Fall, dass nie öffentlich wurde, wie die Forderung nach Schadenersatz ausgegangen ist. Bekannt wurde seinerzeit nur, dass sein damaliger Mit-Kontrolleur und Ex-Finanzminister Kurt Faltlhauser einen Vergleich mit der Bank schloss. Aus eigener Tasche dürfte Faltlhauser indes nicht gezahlt haben: Die BayernLB hatte eine Versicherung abgeschlossen, die bei Managementfehlern haftet.
Der ehemalige Kitzinger Landrat, so das deutliche Signal in dem Geburtstags-Interview, ist mit sich und der Welt im Reinen. Eine Welt übrigens, die sich Naser jetzt schon seit Jahren genau anschaut: Er reist zu entlegenen Zielen, ist auf Gletschern in Pakistan und an Lavaseen im Kongo. Natürlich gibt es nach wie vor die Bergtouren – übrigens will er seinen Geburtstag am Sonntag auch in den Bergen verbringen. Und es gibt jede Menge Ideen: Bis er den Löffel abgibt, so führte Naser in dem Interview aus, habe er eine ellenlange "Löffel-Liste", was er noch alles machen möchte. Einsicht zeigen gehört weiterhin nicht dazu.
eine sehr treffende Darstellung des öffentlichen Lebensweges zum Geburtstag von Dr. Siegfried Naser. Ich durfte Herrn Naser mit 18 Jahren bei einer Kandidatenvorstellung zum Landrat am Beginn seiner Karriere kennenlernen und verfolgte als junger Mensch seinen Werdegang als Landrat.
Sehr prägnant haben Sie auch den zweiten Lebensabschnitt dargestellt. Während bei Dr. Naser in seiner Kitzinger Zeit der Bezug zu den Bürgern und der Basis noch vorhanden war, hat er wohl in der Münchner Blase der Macht diesen Bezug verloren. Vielleicht mag man ihm juristisch keine Fehler nachweisen können, jedoch hat er unsere Steuergelder für ein größenwahnsinniges Projekt vernichtet. Dazu muss man nun bei einem solchen Desaster auch einstehen. Dies zeichnet eine wirkliche Persönlichkeit des öffentlichen Lebens aus.
Der letzte Satz "Einsicht zeigen gehört weiterhin nicht dazu" trifft den Nagel auf den Kopf.
In der MAIN-POST vom 02.01.2021 ist war folgende Meldung abgedruckt, die Hoffnung macht, dass mancher "Reisewütige" (aber wohl nicht Herr Dr. Naser) doch noch zur Vernunft kommt:
Frank Elstner (78), TV-Moderator, hat sein Reiseverhalten im Corona-Jahr überdacht. Er habe die Erfahrung gemacht, „dass bei näherem Hinterfragen 80 Prozent der Reisen unnötig sind“, erläuterte Elstner den „Badischen Neuesten Nachrichten“ in Karlsruhe. Dabei habe er anfangs die vielen Absagen noch bedauert.
Die in den letzten Jahrzehnten weltweit sehr stark gewachsene Mobilität ist eine der vielen Ursachen des Klimawandels Verantwortlich dafür ist eine Politik, die auf Konsumanreize setzt, immerwährendes Wachstum verspricht und die Welt ökonomisch in Gewinner und Verlierer spaltet. Für den Konsumrausch einer reichen Minderheit zahlen die Ärmsten den Preis.