
Seinen künftigen Schwiegervater beklauen – man sollte es nicht für möglich halten. Genau das aber tut der 28-Jährige vergangenen März: Nachdem er wieder einmal im Elternhaus seiner Freundin übernachtet hat, ist die Gelegenheit da. Griffbereit liegt sie da, die Brieftasche des Schwiegervaters in spe. Darin die EC-Karte. Dazu praktischerweise auf einen Zettel handgeschrieben die dazugehörige PIN. Ohne zu überlegen greift der junge Mann zu. Keine Hemmungen, keine Gewissensbisse, nichts.
Jetzt, fast ein Dreivierteljahr später, versucht er dem Gericht zu erklären, was im ersten Moment kaum zu erklären ist. Der Angeklagte erzählt von seiner damaligen Spielsucht. "Ich war", betont er, "nicht ich selbst." Dabei ging es vor allem um Sportwetten. Es war so schlimm, dass er am Tag der Gehaltsüberweisung das Geld sofort verspielte. Irgendwie an Geld kommen – nur noch darum ging es. Hemmungen gab es zu der Zeit längst keine mehr.
Ein junger Mann, abgetaucht in die Welt der Sportwetten
Angefangen hatte alles 2015. Das Tippen von Fußballergebnissen wird immer mehr zur Leidenschaft. Ein Tipp hier, eine Wette da. Der junge Mann taucht in die Welt der Sportwetten ab. Aus Leidenschaft wird schleichend eine Sucht. Spätestens 2019 sei es dann "richtig schlimm" gewesen. Immer mehr, immer wilder. Kein Tag ohne. Die Schulden wachsen. Am Ende sind es nach eigenen Angaben 20.000 Euro. Vielleicht auch 25.000 – so genau ist das selbst heute noch nicht klar.
Irgendwann macht der Spieler so ziemlich alles, um an Geld zu kommen. Das bekommt schließlich auch der Vater seiner Freundin zu spüren. Mit der geklauten EC-Karte hebt er überwiegend an den Kassen von Einkaufsmärkten Geld ab. Erst sind es fünf Kleinbeträge, am Ende dann auf einen Schlag 2000 Euro. Eine Überwachungskamera hält das fest – der Spuk ist vorbei. Der Gesamtschaden liegt bei gut 2700 Euro.
Freundin trennt sich nach hinterhältigem Diebstahl
Als er aufgeflogen ist, ändert sich alles. Der 28-Jährige, der sich bis dahin seine Spielsucht "nie eingestanden" hat, wacht auf. Vielleicht auch, weil die Freundin sich nach dem hinterhältigen Diebstahl in der eigenen Familie von ihm trennt. Er geht zur Beratung. Lässt sich online freiwillig bei allen Spielportalen sperren.
Seither – wir reden von einem guten halben Jahr – habe er nie wieder gespielt, versichert er dem Gericht. Inzwischen weiß er, dass Spielsucht eine Erkrankung ist. Die hat er sich eingestanden. Und das, was er getan hat, nennt er "nicht verzeihlich".
Er tut alles, damit vielleicht doch irgendwann Verzeihen möglich wird, ist auf striktem Wiedergutmachungskurs. Die ergaunerten 2700 Euro haben seine Eltern vorgestreckt, um dem Opfer schnell den Schaden ersetzen zu können. Er arbeitet, nimmt die Lohnpfändungen hin. Dazu ein kleiner Nebenjob. Zwar nur 150 Euro im Monat – aber auch das Geld fließt in die Schadenswiedergutmachung. Alles Aktionen, die sein Pflichtverteidiger so zusammenfasst: "Er ist bemüht!"
Den Arbeitgeber beklaut und auf Ebay zu Geld gemacht
Ob dieses Bemühen reicht, um in Freiheit zu bleiben, ist lange unklar. Denn da ist die andere Seite, die hammerharte Vergangenheit. Fünf Vorstrafen haben sich angesammelt, Körperverletzungen wechselten sich ab mit Diebstählen. Zum Zeitpunkt des Diebstahls der EC-Karte stand er unter Bewährung. Die hatte er sich – mit einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe im Hintergrund – eingefangen, weil er seinen früheren Arbeitgeber bestohlen hatte. Dabei handelte es sich um ein Arbeitsgerät, das später bei Ebay verkauft werden sollte – für 350 Euro, die schon für die nächsten Wetten verplant waren.
Die Bewährung wurde also im Wortsinn verspielt – so sieht es die Staatsanwaltschaft und plädiert auf eine 15-monatige Haftstrafe. Der Verteidiger hofft auf "das Zudrücken aller Augen". Sein Mandant habe "erkannt, dass es um alles geht". Man könne "einen Wandel" erkennen. Der Angeklagte "bemüht sich nach Kräften", den blindlings angerichteten Schaden irgendwie auszugleichen, was letztlich zielführender sei als eine Haftstrafe.
Das Urteil gibt dem Spielsüchtigen – was er ein Leben lang bleiben wird, weil es sich um eine chronische Erkrankung handelt – die Möglichkeit, weiter an seinem Wandel zu arbeiten. Die verhängte 15-monatige Freiheitsstrafe wird zu vier Jahren Bewährung umgemünzt. Samt diverser Auflagen: Es gibt einen Bewährungshelfer, zudem muss die Therapie fortgeführt werden.
Dass sich die Anstrengung lohnt, zeigte der Auftritt des seinerzeitigen Schwiegervaters in spe: Der nahm die Entschuldigung des ehemaligen Freundes seiner Tochter an – samt ein paar aufmunternder Worte für den weiteren Lebensweg.