Auf seine summenden Mitarbeiterinnen kann sich Ralph Peckmann verlassen. In zehn Bienenstöcken am Rande des Firmengeländes wird unermüdlich Honig produziert. Gut für die Umwelt und bestens geeignet als Gastgeschenk an die Kundschaft. Was dazu führt, dass sich der Dettelbacher Honig längst auf der gesamten Welt verteilt hat. Wie groß diese Welt ist, zeigt sich beim Blick in einen Schrank im Aufenthaltsraum der Firma Lindner in Dettelbach: Eine gepflegte Sammlung von Flaggen aus aller Herren Länder liegt dort bereit, um der ausländischen Kundschaft entgegenzuwehen und für eine persönliche Note bei der Begrüßung zu sorgen.
Überraschungen dieser Art lauern in der Firma im Dettelbacher Industriegebiet Ost überall. Was schon bei der schieren Dimension des Unternehmens beginnt. In welcher Liga Lindner spielt, lässt sich von außen nicht ansatzweise erahnen. Wer auf der vielbefahrenen Staatsstraße an dem Gewerbegebiet vorbeikommt, erkennt dort nicht so viel. Ein paar Silos, drei Hallen – das war's.
Vom ersten Eindruck her meint man jedenfalls nicht, dass es sich um die Niederlassung eines Bauunternehmens handelt, das zu den größten in Deutschland gehört und seine Produkte auf der ganzen Welt verbaut. Die Strategie dahinter: den kompletten Innenausbau aus einer Hand anbieten. Boden-, Decken- und Wandsysteme sowieso, dazu Schreinerarbeiten, Leuchten und Trockenbausysteme oder sogar die Gebäudehülle.
Die Zahlen dazu: Das 1965 gegründete Unternehmen mit Hauptsitz im niederbayerischen Arnstorf hat gut 7500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit. Umsatz 2022: 1,3 Milliarden Euro. Neben Dettelbach gibt es mehrere weitere Standorte in Deutschland sowie Niederlassungen auf der ganzen Welt. Mit den Jahren kamen artfremde Unternehmungen dazu. So haben sich unter der inhabergeführten Lindner Gruppe inzwischen auch Hotels, eine Bio-Landwirtschaft, ein Weingut und mehrere Brauereien vereinigt. Die Hans Lindner Stiftung engagiert sich im sozialen Bereich und betreibt zwei Mehrgenerationenhäuser genauso wie eigenständige Stiftungen in Uganda und Rumänien.
Den ehemaligen Sanierungsfall Norit auf Vordermann gebracht
Die Dettelbacher Erfolgsgeschichte begann mit einer Übernahme: 1998 wurde Ralph Peckmann mit der Frage losgeschickt, ob sich die sechs Jahre zuvor gegründete und inzwischen angeschlagene Dettelbacher Firma Norit mit ihren 65 Mitarbeitern sanieren und vielleicht übernehmen lässt. Peckmann kam, sah, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, räumte auf – und blieb. Er brachte den Sanierungsfall auf Vordermann. Von Anfang an mit im Team: Winfried Aschern, ein promovierter Tüftler und stiller Macher, wobei auf seiner Visitenkarte offiziell "Geschäftsführer Boden" steht.
Lindner in Dettelbach befindet sich seither im Steigflug. Es wurde erweitert, erneuert, angebaut. Investitionen im Millionenbereich. Heute sind in der Niederlassung 222 Menschen beschäftigt, davon 140 Produktionsmitarbeiter, 70 Angestellte und zwölf Azubis, die vom Baustoffprüfer bis zum Maschinen- und Anlagenführer in acht unterschiedlichen Berufen ausgebildet werden.
40 Prozent der Mitarbeiter sind nach zehn Jahren noch da - eine Zahl, auf die man stolz ist, denn sie spricht für das gute Klima im Unternehmen. Das Betriebsgelände umfasst 90.000 Quadratmeter mit drei großen Werkhallen. Gearbeitet wird bis zu sieben Tage pro Woche im Drei-Schicht-Betrieb.
Wasserdampf in der Luft und automatisierte Prozesse
Wer an einem kühlen Nachmittag durch die großen Fertigungshallen läuft, wird von wohliger Wärme empfangen. Menschen trifft man allerdings nur wenige. Was daran liegt, dass die Prozesse in dem Werk mittlerweile weitgehend automatisiert ablaufen. Es gibt Leitstände mit blinkenden und piepsenden Diagrammen, ständig aktualisierten Zahlen, Maßen und Temperaturen. Feinster Wasserdampf liegt in der Luft, über große Bänder rauschen dünne Platten, denen nach und nach die Feuchtigkeit entzogen wird. Es ist ein nie abreißender Strom, der ein Stück weiter vorne, am Eingang zur Halle, entspringt.
Gespeist wird die Quelle aus stapelweise Altpapier und Altkartons, die ein zuckelndes Förderband emporlaufen, zermalmt werden und in einem Silo unter Zugabe von Wasser zu einem dickflüssigen Brei verarbeitet werden – mit der wichtigste Rohstoff für die späteren Gipsfaserplatten. Sie gehen dann an Schulen, Universitäten, Krankenhäuser oder Flughäfen, auch schon mal in Projekte wie die Hamburger Elbphilharmonie, nur selten in den privaten Wohnungsbau.
Mehr als 6000 unterschiedliche Plattentypen lassen sich auf der modernen Anlage herstellen: Standardware ebenso wie Maßanfertigungen, wenn die Kundschaft das wünscht. Anderthalb Fußballfelder ließen sich mit dem täglichen Ausstoß belegen.
Dass es in Dettelbach so gut laufen würde, sei ihm schnell klar gewesen, betont Ralph Peckmann heute. Er sei damals "gekommen, um zu bleiben". Den Erfolg schreibt er nicht zuletzt der Firmen-Philosophie zu: "Was will der Kunde? Wir haben die Lösung!"
Beim Gips-Recycling geht Lindner jetzt einfache, aber neue Wege
Eine Lösung scheint die Firma auch für das Recycling-Problem gefunden zu haben. Eine Hauptrolle spielt dabei Winfried Aschern, der Macher und Tüftler. Der Volkacher zettelt zusammen mit der Forschungsabteilung und durch das Zusammenwirken der unterschiedlichen Abteilungen gerade eine Revolution an.
Die Revolution kommt scheinbar simpel daher. Kein großes Ding, denkt man im ersten Moment – ähnlich wie beim ersten Blick auf die Firma. Und doch: Es bahnt sich etwas an, das so manches in der Branche verändern dürfte. Es geht, vereinfacht gesagt, um die Wiederverwertung. Bisher war es bei alten Gipsplatten so: Es wurde geradezu verbissen darum gekämpft, die verschiedenen Stoffe wieder voneinander zu trennen. Mit viel Aufwand, einem überschaubaren Wirkungsgrad und zu Kosten, die alles andere als günstig sind.
Alte Gipsplatten werden eingeschmolzen und wiederverwertet
Der neue Ansatz: die Platten – wie sie sind – einschmelzen. Bildlich gesprochen: Ab in den Kochtopf, Druck draufgeben und erhitzen. Die entstandene Masse bildet die Grundlage für neue Gipsplatten. In Zeiten schwindender Ressourcen ein Volltreffer. Derzeit laufen die Vorbereitungen, das neue System, auf das man inzwischen ein Patent hat, in den Betrieb einzubauen und damit 50 Prozent der wertvollen natürlichen Rohstoffe zu ersetzen.
Das kostet zunächst einmal viel Geld, allein die 20-prozentige Förderung durch den Staat liegt bei 3,3 Millionen Euro. Und weil das viel Geld und ein neuer Ansatz ist, war zuletzt die Politik zum Mitfreuen da: Im Februar 2023 schaute Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) vorbei, im Juni war CSU-Landtagsabgeordnete Barbara Becker zum Standortjubiläum vor Ort und im Juli waren zur Förderscheckübergabe unter anderem die CSU-Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber, Landrätin Tamara Bischof und Bürgermeister Matthias Bielek (beide FW) gekommen. Gegangen sind alle wieder mit einem Glas Honig und der Erkenntnis, dass das Ding mit dem Schnellkochtopf wirklich wegweisend für die Zukunft sein könnte.