
Einundsiebzig. Fünfeinhalb. Und anderthalb. Das können Idealmaße sein. Zumindest, wenn man eine Autobahnbaustelle ist. 71 Kilometer. 5,5 Jahre Bauzeit. 1,5 Milliarden Euro Kosten. Was da auf der A 3 zwischen den Kreuzen Biebelried und Fürth/Erlangen gerade passiert, gab es so noch nie. Deutschlands größte Autobahnbaustelle sprengt alles Dagewesene – und mitunter auch die Vorstellungskraft.
Nähert man sich dem großen Ganzen vorsichtig und fängt mit einer kleinen Sache an, ist da zum Beispiel ein Regenrückhaltebecken. Neu gebaut, direkt an der Autobahn zwischen Wiesentheid und Geiselwind im Landkreis Kitzingen. Nur ist es eben so, dass selbst vermeintlich Kleines bei diesem Mammutprojekt eine ungeahnte Größe, eine schwer vorstellbare Dimension, hat. Zum Betonieren der Bodenplatte dieses Regenrückhaltebeckens wurden Mitte Mai mal eben 3600 Kubikmeter Beton verbaut. An einem Samstag angekarrt auf einen Rutsch von 450 Lastern.
Thomas Schwenzer hat einige solcher Beispiele parat, die die Maßstäbe gewaltig verschieben. Offiziell ist er Geschäftsführer der Projektgesellschaft A 3 Nordbayern GmbH & Co. KG und damit auch der Chef der XXL-Autobahnbaustelle. Hinter der Projektgesellschaft stehen mit den Firmen Bunte und Eiffage zwei Baugiganten, die sich extra für dieses Projekt zusammengeschlossen haben. Zum einen, um den über 71 Kilometer langen, durchgehend sechsstreifigen Ausbau zu stemmen. Wobei dafür die bestehende Autobahn vollständig zurückgebaut und komplett neu sechsstreifig angelegt wird. Zum anderen geht es um den Betrieb und den Erhalt der Strecke in den nächsten 30 Jahren.

Modelle wie dieses gibt es aus verschiedenen Gründen. Einfach zusammengefasst könnte man sagen: Der Staat ist beim Autobahnausbau an seine Grenzen geraten. Damit es zügiger geht und ein Großteil von privater Seite vorfinanziert werden kann, wurde die Öffentlich-Private-Partnerschaft (ÖPP) erfunden. Inzwischen gibt es ein Dutzend in Deutschland, vier davon in Bayern. Unter anderem für die A 8 zwischen Augsburg und München und die A 94 von München nach Passau. Das mit Abstand größte ÖPP-Projekt aber: die Runderneuerung der fränkischen A 3.
Baubeginn war am 1. Mai 2020
Das 71-Kilometer-Projekt startete am 1. Mai 2020, zumindest was den Baubeginn anbelangt. Die Anfänge liegen um einiges weiter zurück: Der Staat hatte den Ausbau schon seit Jahrzehnten geplant. Am Planfeststellungsverfahren wurde stetig gearbeitet, von der Umweltverträglichkeit bis hin zum Lärmschutz wurde alles durchgeprüft – das Ergebnis lag fertig in der Schublade.

Normalerweise hätte der Staat irgendwann diese Schublade geöffnet, die ehemalige Autobahndirektion Nordbayern und jetzige Autobahn GmbH Niederlassung Nordbayern hätte sich an den Ausbau gemacht. Hier jedoch wurde entschieden, das Projekt in die Hände eines Konsortiums zu geben. Was zu einer ungewöhnlichen Ausschreibung führte: Wer in gut fünf Jahren 71 Kilometer Autobahn bauen könne und zunächst einmal die Hälfte der Kosten tragen würde, möge sich melden. Drei Konsortien hoben im Herbst 2016 die Finger. Ein langer Prüfungs- und Verhandlungsprozess begann, bis Ende Februar 2020 die Projektgesellschaft A 3 Nordbayern den Zuschlag bekam.

In diesen dreieinhalb Jahren hatte die Arbeitsgemeinschaft so getan, als hätte sie den Auftrag bereits. Es sei, wie Geschäftsführer Schwenzer betont, tatsächlich ein Arbeiten auf Verdacht gewesen. Die endgültigen Planungen wurden so vorangetrieben, dass es beim Erhalt des Zuschlags tatsächlich sofort losgehen konnte. „Einen fliegenden Start hinlegen“, nennt der ARGE-Chef das. Nur so könne das mit den angepeilten fünfeinhalb Jahren und mit voller Wucht klappen. Zum Vergleich: Der Ausbau auf sechs Streifen zwischen Biebelried und der hessischen Landesgrenze, der etwa die gleiche Dimension hatte, zog sich über 20 Jahre hin.
Alles aus einer Hand und alles auf einmal
Zur Schnelligkeit trägt auch bei, dass „alles aus einer Hand“ kommt, wie Schwenzer sagt. Nicht Klein-Klein. Nicht nach und nach. Nicht in Fünf-Kilometer-Schritten denken - sondern alles auf einmal. Nicht ein Ingenieurbüro macht die Ausführungspläne, es sind 30 aus ganz Deutschland. Nicht Jahr für Jahr viele Auftragsvergaben an viele Firmen durch die öffentliche Hand. Sondern einmal alles und alles auf einmal. Das beschleunigt den Ausbau - damit Ende 2025 alles erledigt ist und eben nicht erst im Jahr 2040.

Und was anderswo schon mal gerne auf Autobahnbaustellen passiert – dass die Arbeiter verschollen scheinen und man als genervter Pendler geneigt ist, eine Vermisstenmeldung aufzugeben -, wird hier kaum vorkommen: Die Arbeitsgemeinschaft hat 600 eigene Leute vor Ort, dazu kommen im Schnitt 200 Mitarbeiter von Fremdfirmen. In Spitzenzeiten können auch mal bis zu 1000 Arbeiter gleichzeitig am Werk sein, sagt Thomas Schwenzer. Ein ganzes Dorf also.
Für diese Dorf an Arbeitern wurden Ferien- und Monteurwohnungen in der Region auf Jahre angemietet, zudem entstanden 300 Wohneinheiten in Containerbauweise, 130 davon in Geiselwind. Gearbeitet wird Montag bis Freitag im Einschichtbetrieb, dazu kommen etliche Nachteinsätze an Wochenenden.
Großbrücken, Grünbrücken und Überführungen
Neben den sechs neuen Streifen über 71 Kilometer entsteht einiges mehr. Acht Anschlussstellen müssen ebenso gemacht werden wie zwei Großbrücken: über das Aurachtal mit 295 Metern und im Aischgrund mit 127 Metern. Dazu kommen zwei Grünbrücken für Tiere bei Wiesentheid und bei Erlangen samt durchgängigem Wildschutzzaun, ähnlich wie im Spessart.
Und zusätzlich: 22 Überführungsbauwerke für kleinere Straßen über die Autobahn. Bis zu 80 Meter lange Stahlträger, die rund 250 Tonnen wiegen können, werden dafür neben der Autobahn zusammengebaut und dann zusammengeschoben. Was die Autofahrer davon mitbekommen: dass die Autobahn in der Nacht auf Sonntag gesperrt ist. Allein dafür sind 66 Sperrungen vorgesehen - jeweils zwischen Samstagabend, 20 Uhr, und Sonntagmorgen, 10 Uhr.
Dazu kommen etliche Unterführungen für kleinere Straßen. Plus der ganze Rest: 137000 Quadratmeter Lärmschutzwände, einige Rastplätze, die Beschilderung, sämtliche Betriebstechnik wie Zählschleifen, ungezählte Leitplanken und ganz am Ende noch an die Markierungen.
Gebaut wird immer auf vier Abschnitten
Gebaut wird felderweise: Ein Abschnitt aktuelle Baustelle darf dabei nicht länger als 15 Kilometer sein, dann müssen fünf Kilometer zum Durchschnaufen kommen, also "Erholungsabschnitte“. In jedem Jahr werden vier Bauabschnitte in Angriff genommen, jeder einzelne für sich ein Großprojekt. Jetzt im Juni sind die Bauabschnitte 13,5 Kilometer, 10,7 Kilometer, 8,8 Kilometer und 2,5 Kilometer lang.
Auf diese Weise ist zu jeder Zeit die Hälfte der 71 Kilometer langen Strecke unter Bau. Und 250 Baumaschinen, 40 Kleinfahrzeuge und ungezählte Lastwagen sind dort permanent im Einsatz.

Noch eine gewaltige Zahl: Wenn es jetzt im Sommer mit dem Asphaltieren losgeht, werden pro Tag bis zu 3000 Tonnen eingebaut. 100 Sattelschlepper rücken dann innerhalb von ein paar Stunden mit je 30 Tonnen Ladung an. Bei den Planern gilt das als „mittlere Größe“. Um das zu stemmen, sind schon vor Jahren alle erreichbaren Asphaltfirmen unter Vertrag genommen worden. Das „frühzeitige Sichern von Kapazitäten“, wie es Schwenzer nennt, soll Engpässe erst gar nicht entstehen lassen. Zumal neben Asphalt ähnliche Mengen an Holz, Stahl, Sand und Schotter benötigt werden.
Bis zu 40 Millionen Euro pro Monat werden verbaut
Und das Geld? Generell gilt: Beim Bau kommen 50 Prozent aus der Bundeskasse, die andere Hälfte sind private Gelder. Veranschlagt sind 1,5 Milliarden Euro. Umgerechnet auf die 5,5 Jahre werden also pro Monat schon mal 30 bis 40 Millionen Euro verbaut. Für Betrieb und Erhaltung der Strecke ist das Konsortium insgesamt 30 Jahre zuständig und bekommt dafür einen fixen Betrag - so lautet der Deal.
Nach den 30 Jahren, also am 1. Mai 2050, wird der Bund übernehmen. Dann ist es wieder eine "normale" Autobahn.

Für Thomas Schwenzer ist die XXL-Baustelle übrigens noch einmal eine schöne Herausforderung. Seit 2004 kümmert er sich um Projekte der Öffentlich-Privaten-Partnerschaft. Jetzt, mit 58 Jahren, betreut er federführend das Filetstück unter den ÖPP-Autobahnen. Für den Staat, sagt er, sei das „ein Rundum-Sorglos-Paket zum Festpreis“. Wie sich das Ergebnis anfühlen wird, kann er jetzt schon täglich auf der Heimfahrt erleben: Auf der A 3 nach Frankfurt zu fahren sei ein Traum.