Der "Europäische Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen", der am 5. Mai stattfand, soll nach und nach Hürden aus dem Weg räumen. Unter dem Namen "Zukunft barrierefrei gestalten" machte der Landkreis Haßberge daraus gleich eine ganze Aktionswoche. Und dabei soll es nicht bleiben: Neben verschiedenen Veranstaltungen zum Thema errichteten die Besucher eine Mauer aus noch vorhandenen "Barriere-Steinen" aus Pappkarton – und rissen diesen Wall symbolhaft zum Abschluss der Aktionswoche ein. Was aber hat sich hier in der Vergangenheit bereits getan? Und welche Projekte zur Förderung der Barrierefreiheit sind in nächster Zeit geplant?
Die Aktionswoche war auch optisch omnipräsent: "Zukunft barrierefrei gestalten!" und "Auf welche Barrieren stoßen sie im Alltag?" konnte man in großen Lettern im Eingangsbereich des Landratsamtes lesen. Alle Bürgerinnen und Bürger – mit oder ohne Behinderung – hatten eine Woche lang Zeit, auf ihre Mauersteine Barrieren und Hindernisse einzutragen, die ihnen täglich begegnen und das Leben erschweren. Was dabei herauskam, soll so in die Öffentlichkeit getragen und von den Verantwortlichen in Gesellschaft und Politik in die Tat umgesetzt werden. Das zumindest ist der ambitionierte Plan. Denn es gibt reichlich Nachholbedarf.
Eine lange Liste an Wünschen für mehr Barrierefreiheit
Die Wunschliste begann mit baulichen Maßnahmen: "weniger Treppen" oder "breite Gehwege in Ortschaften", "mehr Auffahrrampen an Gehwegen und Straßen" sowie "Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden, in der Gastronomie und Hotels mit Übernachtungen". Aber auch "bessere Straßenquerungen", "Grünphase an Ampeln zu kurz", "Ampel mit Tönen" und "Gehwege von Werbung freihalten" wurden angemahnt. "Mehr ÖPNV für alte und gebrechliche Menschen", "Behinderten-WC für das UBIZ" waren Wünsche, die in einem "Veranstaltungsprogramm auch für Behinderte" mündeten.
"Barrieren in den Köpfen und Vorurteile" wurden ebenfalls angesprochen, und mehrmals hieß es, man wolle "nicht nur digitale Angebote, sondern weiterhin analoge Angebote". In der Stadt wünschte man sich zudem "Begegnungszonen", die für alle Bürger gelten sollten.
"Unsere Aktionswoche zeigte eine gute Beteiligung und wir konnten den Besuchern in vielen Fragen rund um das Altern und um Barrieren weiterhelfen", freut sich der Beauftragte im Landkreis für Menschen mit Behinderung, Edwin Oppelt. "Eine Frau kam mit ihrer Muskelerkrankung nicht zurecht und wir informierten sie über eine Selbsthilfeorganisation, wo man sich austauschen und Hilfe holen kann. Selbst die schwere Krankheit Autismus in der Familie kam zur Sprache."
Verantwortliche sehen erfolgreiche Aktionswoche
Auch bei den beteiligten Organisationen – der Lebenshilfe, der Rummelsberger Diakonie und dem Verein Lebens(t)raum –sei die Aktionswoche auf ein sehr positives Echo gestoßen. Deren Mitarbeiter stellten fest, dass sich in einem solchen Rahmen Menschen mit Behinderung ganz anders öffnen. "Wir können somit das Resümee ziehen, dass sich das Projekt voll gelohnt hat. Damit soll es aber nicht getan sein. Wir haben schon viel auf dem Weg zur Barrierefreiheit geschafft, aber es gibt auch noch viel zu tun", so Oppelt.
Mitunter, auch das war Tenor der Veranstaltung, "mahlen die Mühlen langsam". Am Beispiel des Bahnhofs Haßfurt zeigte etwa Michael Schulz, Beauftragter für Menschen mit Sehbehinderung, wie lange die Umsetzung einer Forderung dauern könne. Und dass es immer wieder auch einen langen Atem brauche. "Beim Bahnhof in Haßfurt dauerte dies über zehn Jahre."
Am Ende steht ein Vorzeigeprojekt
Lange hätten sich der Seniorenbeirat mit Eva-Maria Schwach, August Werner und ihm um die Barrierefreiheit bemüht, fährt Schulz fort, zumal er selbst zweimal pro Woche mit dem Zug nach Würzburg fuhr, wo er im Beratungszentrum des Bayerischen Blindenbundes tätig war. "Ich habe erst versucht, bei der Bahn einen Ansprechpartner zu finden. Aber da tut man sich schwer. Sogar Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee, Ministerpräsident Seehofer und andere Politiker habe ich eingeschaltet, weil wir ja die Kriterien für die Barrierefreiheit erfüllten. Aber dann fehlte einmal das Geld, ein andermal gab es nur eine Förderung für Bahnhöfe in Gemeinden unter 1000 Einwohner", erinnert sich Michael Schulz weiter.
Den "Knackpunkt" habe er dann mit dem einstigen Bayerischen Innenstaatssekretär Gerhard Eck aus dem benachbarten Donnersdorf erreicht, der auch oft mit dem Zug gependelt sei, von Haßfurt nach München. "Er hat es möglich gemacht, dass nach zehn Jahren Bewegung in die Sache kam und dann der Bau reibungslos über die Bühne ging." Mit Stolz spricht Michael Schulz von der errichteten Unterführung, der Erhöhung der Gleise und Bahnsteige um 75 Zentimeter, so dass Passagiere nun ebenerdig einsteigen können. Auch Aufzüge gibt es.
Behindertenbeauftragter Edwin Oppelt spricht mit Blick auf den Haßfurter Bahnhof ebenfalls von einem "Vorzeigeprojekt", bei dem der Fußabdruck von Michael Schulz zu sehen sei. "Es war nicht einfach, aber es hat funktioniert und er ist komplett barrierefrei."
Haßfurter Uferpromenade als Ort der Begegnung
Der langjährige Sehbehindertenbeauftrage Schulz stellt zudem positiv fest, dass in letzter Zeit in Haßfurt schon einiges geschehen sei, etwa Pflaster aus Straßen und Gehwegen genommen wurde. Dies mache Gehbehinderten und Rollstuhlfahrerinnen das Leben leichter, aber es sei auch noch Luft nach oben. "Wir brauchen aber mehr Behindertenparkplätze und wollen weitere öffentliche Behindertentoiletten", so seine Forderung. Fünf solcher Toiletten gebe es schon: am Bahnhof, am Arbeitsamt, im alten Bürgerhaus, dem Rathaus und beim Sozialverband VdK. "Aber wir wollen auch noch, dass die Toilette im ehemaligen Beinhaus dauerhaft offen ist und auch am Gries dafür gesorgt wird, aber mit einer entsprechenden Rampe."
Für Michael Schulz gilt die Strandpromenade ohnehin als "Filetstück" der Stadt Haßfurt. "Da sollten sich außer Hunden auch Menschen gemütlich niederlassen können und sich wohlfühlen", schlägt er vor. Dabei unterstützt ihn auch seine Frau Waltraud Schulz. Sie spricht von einer "Begegnungszone" mit Tischen und Stühlen oder Bänken und vielleicht sogar mit einem Kiosk. Einen guten Platz für eine weitere "Ruhe- und Begegnungszone" sehen beide im "alten Friedhof" neben der Ritterkapelle. "Es wäre schön, wenn dort Stelen oder Tafeln mit Texten aufgestellt würden, um Besinnung zu halten oder sich auch mit anderen Mitbürgern auszutauschen." Schließlich sollte man versuchen, alte Gasthäuser wiederzubeleben, die für Begegnungen ebenfalls wichtig seien.
Geplante Maßnahmen im Landkreis
Das Große Ziel ist und bleibt die "barrierefreie Kommune", doch dorthin ist es noch ein weiter Weg. Manchmal, das zeigt die Vergangenheit, sind Kompromisse nötig. Wie etwa am Freibad in Ebern mit seinem Hanggelände. Bürgermeister Jürgen Hennemann spricht von einer Planung, die allein für den Nichtschwimmerbereich auf 800.000 Euro veranschlagt wurde. "Wir hätten gerne etwas gemacht, aber nicht in diesem Kostenrahmen. Dafür könnte man einen Mitarbeiter einstellen, der Behinderte auf ihrem Weg begleitet", so das Stadtoberhaupt. Man leiste hier Hilfestellung und im Hallenbad gebe es einen Rollstuhl, mit dem man ins Wasser könne. Fraglich nur, ob Menschen mit Behinderung immer auf die Unterstützung von anderen angewiesen sein wollen. Darüber hinaus, so Hennemann weiter, sei der Kindergarten komplett barrierefrei und auch beim Altstadtpflaster wolle man noch einiges verbessern.
Edwin Oppelt liegt ein umfangreicher Maßnahmenplan aus dem Landkreis vor, der mit dem Ausbau von Ortsdurchfahrten und Dorfmaßahmen im Straßen- und Gehbereich beginnt. Auf der Liste stehen hier etwa die Ortsdurchfahrten in Eichelsdorf, Friesenhausen, Wagenhausen und Dankenfeld. Auch Bushaltestellen in Rentweinsdorf und Weißbrunn sollen entsprechend für den Einsatz von Niederflurbussen gestaltet werden. Drei Unternehmer haben schon solche Busse angeschafft. In Burgpreppach geht es beim Ausbau der Kreisstraße HAS 40 um die barrierefreie Anbindung der geplanten Arztpraxis.
In Prölsdorf und Knetzgau macht man sich derweil beim Neu- oder Umbau der Kindergärten Gedanken über eine gute barrierefreie Planung und in Ebern soll der Umbau am Krankenhaus zur Kurzzeitpflege mit Außenanlagen zu einem Projekt werden, das einmalig ist und auch nach außen wirken soll.