Arme Schweine: Was gibt es nicht für Vorurteile über die Borstentiere. Etwa, dass sie sich mit größtem Vergnügen im eigenen Dreck suhlen. "In Wirklichkeit sind es sehr reinliche Tiere", korrigiert Helmut Döhler. Der Agraringenieur aus Untermerzbach arbeitet zusammen mit seiner Frau Susanne als Unternehmensberater für Landwirte mit Schwerpunkt Umweltschutz und Umwelttechnik. Und erklärt, dass Schweine, wenn sie denn können, ihr Geschäft keinesfalls dort verrichten, wo sie sich den lieben langen Tag sonst so aufhalten. Nur, dass sie in herkömmlichen Ställe praktisch dazu gezwungen sind.
Das will Döhler verändern: Er hat mit einem österreichischen Partner einen Stall entworfen, in dem die Bewohner "ihr Sauberkeitsverhalten ausleben können". Dabei geht es aber keinesfalls allein ums Tierwohl. Es geht um Klima- und Umweltschutz. Und um Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz.
Gülle-Problem: Geruch, Methan und Ammoniak
Mastschweine in landläufiger Zucht leben auf Spaltenböden, bei denen sich Balken mit schmalen Spalten abwechseln. Die Öffnungen haben den Zweck, dass die Paarhufer möglichst wenig mit ihren eigenen Exkrementen in Berührung kommen: Durch die Spalten fließen die Ausscheidungen mehr oder weniger gut in die unter den Böden befindlichen Güllekanäle ab, von wo sie meist in Außenbehälter transportiert werden. Allerdings: Kot und Urin werden nicht getrennt, es entstehen Gülle und Mist, die nicht nur stinken, sondern die auch Ammoniak und Methan emittieren - beides Gase mit erheblicher Relevanz für Umwelt, Klima und Gesundheit.
Noch sind sie bei weitem in der Minderzahl, doch es gibt sie bereits: Ställe, die keine durchgehenden Spaltenböden haben, bei denen Fress- und Liegebereiche mit Stroh eingestreut und lediglich die Flächen zum Koten und Urinieren perforiert sind. Genau so sieht es der Außenklimastall mit offenen Seitenwänden und Windschutznetzen vor, den im Wesentlichen Döhlers Geschäftspartner, die in Oberösterreich ansässige Schauer Agrotronic GmbH, konzipiert hat. In der Mitte befindet sich das "Wohnzimmer", ein gekapselter Komfortbereich, der im Winter heizbar und im Sommer kühlbar, mithin klimatisierbar, ist. Um den Komfortbereich herum liegt die Fress-und Aktivitätszone mit Futterautomaten und Beschäftigungselementen. Und aufs Klo gehen sollen die Tiere – "und das lernen sie ganz schnell", wie Helmut Döhler versichert – auf einem schmalen Streifen entlang der Außenwände. Nur hier ist der Boden perforiert.
Kot und Urin werden getrennt
Das mit der für die Schweine sympathischen Raumaufteilung mit Tageslicht und Frischluftzufuhr im überdachten Auslauf ist nur ein Aspekt der modernen Stallhaltung, ein anderer wäre, dass die Kühlung im Sommer über ein aus Regenwasser gespeistes Verdunstungssystem erfolgt, mithin umweltfreundlich ist. Döhlers Anteil am Stall der Zukunft ist aber vor allem die Trennung von Kot und Harn und ihre Aufbereitung dergestalt, dass am Ende weder Gülle noch Mist zurückbleiben.
Wenn Kot und Urin nicht mehr aufeinander einwirken können, im Stall oder anderswo, hemmt das die Faulungsprozesse, bei denen sich praktisch immer Methan bildet – ein Gas mit hohem Treibhauspotential, das maßgeblich zur globalen Erwärmung beiträgt. Die Methanemission lasse sich durch die mechanische Trennung der Exkremente mit Schiebern, Spül- und Sprühleitungen um bis zu 90 Prozent reduzieren, erklärt Ingenieur Döhler; der Geruch werde ebenfalls deutlich, um bis zu 70 Prozent, gemindert.
Harnstoff-Stabilisierung durch Schwefelsäure oder Calciumhydroxid
Aber auch für sich alleine genommen ist der Urin problematisch, weiß der 62-Jährige. Der darin enthaltene Harnstoff beginnt schon nach kurzer Zeit, sich unter Einwirkung von Wasser (Hydrolyse) zu zersetzen, wobei Ammoniak entsteht. Das Gas, eine Verbindung aus Wasserstoff und Stickstoff, riecht nicht nur stark stechend, es ist auch giftig und wirkt erstickend. Viele Gründe also, die Ammoniak-Entstehung einzudämmen.
Und hier hat sich Döhler ein Verfahren patentieren lassen, bei dem er den Urin durch Zugabe von Schwefelsäure (Ansäuerung) oder Calciumhydroxid (Alkalinisierung) stabilisiert. Im Vergleich zum herkömmlichen Stall rechnet Döhler mit einer Reduzierung der Ammoniak-Emission von bis zu 70 Prozent. Ein weiterer Vorteil: Zumindest mit der Alkalinisierung lassen sich wertvolle Nährstoffe wie Calcium, Magnesium und Phosphor aus dem Urin zurückgewinnen. Was im Labor schon bestens geklappt hat, braucht auch in der Realität nur wenig Platz. Für die gesamte Technik zur Urinaufbereitung dürften 20 Quadratmeter Grundfläche reichen, meint der Erfinder. Sie könnte unter freiem Himmel, aber auch in einem Container ablaufen.
Kot als Gärsubstrat in die Biogasanlage
Der Kot aus Döhlers Stall der Zukunft wird nicht wie sonst üblich gelagert, sondern wandert in erster Linie als Gärsubstrat in Biogasanlagen. Erste Test hätten gezeigt, dass bei der Energieerzeugung zwei Tonnen Kot eine Tonne Mais ersetzen können, bei der Gülle seien es hingegen acht Tonnen. Den Urin mit dem stabilisierten Harnstoff kann der Bauer gezielter als Gülle auf dem Acker ausbringen. In Gedanken ist Helmut Döhler schon einen Schritt weiter: Ein zusätzliches Verfahren konzentriert die flüssigen Ausscheidungen auf 20 Prozent ihrer ursprünglichen Masse. "Wir haben ein einfaches System entwickelt, um alle negativen Effekte zu erschlagen", fasst es der Experte zusammen.
Helmut Döhler: Stall der Zukunft auch wirtschaftlich konkurrenzfähig
Für seine Firma, die Döhler Agrar Unternehmensberatung, geht es nun darum, das moderne Stallkonzept unter die Leute, sprich unter die Landwirte zu bringen und am Lizenzverkauf zu verdienen. Rund eine Million Euro kostet den Entwicklern zufolge ein Standardstall für 1500 Schweine, eineinhalb Millionen Euro sollen es grob über den Daumen gepeilt für die Niedrigstemissionsvariante sein – die Technik zur Urinstabilisierung eingeschlossen. Trotz der Preisdifferenz hält Döhler sein Konzept, an dem unter anderem auch die Technische Universität Berlin mitgewirkt und das die Deutsche Bundesstiftung Umwelt bei einzelnen Projektschritten gefördert hat, für wirtschaftlich konkurrenzfähig. Zum Beispiel, weil sich der Landwirt viel Geld für Güllelagerung spart und die Geräte zur Ausbringung nicht mehr so groß sein müssen. Und erst recht mit Blick in die Zukunft, wenn Schweinehaltung wie bisher nicht mehr erlaubt sein werde, sprich bei Neubauten Abluftreinigungsanlagen Vorschrift würden.
In der Nähe von Schwäbisch Hall entsteht ein erster Niedrigstemissionsstall
In der Nähe von Schwäbisch Hall baut ein Landwirt gerade hierzulande den ersten Stall nach den Vorstellungen von Döhler und seinem Geschäftspartner Schauer Agrotronic. Der Untermerzbacher Ingenieur selbst arbeitet derzeit intensiv am Prototypen für die Urinaufbereitung. Hier wären Fördermittel von Bund oder Land höchst willkommen, auch damit der landwirtschaftliche Betrieb in Baden Württemberg nicht mit allzu hohen Kosten dafür bestraft wird, dass er die Vorreiterrolle in Sachen tier- und umweltfreundlicher Stallhaltung übernimmt.
So viel Gülle produziert ein Mastschwein